Pandemie ist jetzt Endemie

Klinikum Stuttgart nach drei Jahren Corona: "Es war eine wilde Zeit"

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer

Überfüllte Intensivstationen, fehlende Beatmungsgeräte, schnell errichtete Impfzentren: Vor drei Jahren brachte Corona das Klinikum Stuttgart an den Rand der Belastungsgrenze. Eine Bilanz.

Vor drei Jahren wurde der erste Corona-Fall in Deutschland gemeldet. Die erste Welle kam ins Rollen, Corona wurde zur Pandemie erklärt und erreichte auch die Menschen in Baden-Württemberg mit Wucht. Am Klinikum Stuttgart gab es gleich mehrere Corona-Stationen parallel.

Oberarzt am Klinikum Stuttgart: Corona spielt nur noch eine Nebenrolle

Daniel Räpple hat als Leiter einer Corona-Intensivstation die Pandemie-Hochphase hautnah miterlebt. Jetzt steht er auf der Intensivstation des Stuttgarter Klinikums in einem Behandlungszimmer und kontrolliert das Beatmungsgerät bei einem Corona-Patienten. Schutzkleidung trägt der leitende Oberarzt nicht.

"Dieser Patient ist nicht mehr ansteckend. Daher können wir ihn inzwischen wieder ohne Vorsichtsmaßnahmen behandeln", sagt er. Dass er sich die komplette Schutzkleidung anziehen muss, komme nur noch ein- bis zweimal am Tag vor. Zu Hochzeiten von Corona musste Räpple sich täglich 10 bis 20 Mal umziehen. Auf der Intensiv-Station, auf der Räpple jetzt arbeitet, liegen Patienten mit unterschiedlichsten Krankheiten. "Es ist in unserem Alltag immer noch der eine oder andere Patient da, der wegen Corona intensivmedizinische Betreuung braucht. Aber es ist selten geworden." Corona spielt hier nur noch eine Nebenrolle.

Daniel Räpple, leitender Oberarzt am Klinikum Stuttgart
Daniel Räpple, leitender Oberarzt am Klinikum Stuttgart, steht auf der Intensivstation. Während der Pandemie hat er auch die Corona-Intensivstation geleitet.

Beginn der Corona-Pandemie: Zeit voller Unsicherheiten

Vor drei Jahren war das anders, erinnert sich Räpple. "In der ersten Welle waren wir noch, wie der Begriff Welle auch sagt, überwältigt von dieser Krankheit Covid." Man habe Corona noch nicht einschätzen können. "Wir hatten natürlich auch die erste Zeit selbst das Risiko einer eigenen Infektion. Das darf man auch nicht vernachlässigen, dass diese Gedanken auch immer eine Rolle gespielt haben." Kann man sich auf der Arbeit infizieren? Bringt man Corona womöglich mit nach Hause? Diese Fragen haben Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende umgetrieben.

Auch Jan Steffen Jürgensen, medizinischer Leiter des Klinikums Stuttgart, erinnert sich noch gut an die Anfangszeiten. "Es war eine wilde Zeit, es war eine anstrengende Zeit", sagt Jürgensen im SWR. "Das haben die wenigsten so kommen sehen." Es habe zwar Vorläufer wie die Vogelgrippe gegeben, aber dieses Ausmaß sei neu gewesen. "Wir hatten das Glück, dass wir gerade gebaut haben und Geräte bestellt hatten, deren Lieferung wir vorgezogen hatten." So sei man schnell schon gut ausgerüstet gewesen.

Jan Steffen Jürgensen, medizinischer Vorstand am Klinikum Stuttgart
Jan Steffen Jürgensen, medizinischer Vorstand am Klinikum Stuttgart, sagt über drei Jahre Corona: "Es war eine wilde Zeit."

Corona: Tragische Schicksale und Kontaktbeschränkungen

Nicht vergessen können die Mitarbeitenden aber die tragischen Schicksale, die sich auf den Corona-Stationen abgespielt haben. "Es gehört zu unserer Arbeit, mit tragischen Vorgängen zu tun zu haben", sagt Oberarzt Räpple. Vor allem, wenn man wie er selbst eine der Corona-Intensivstationen geleitet hat. "Aber die Pandemie war natürlich eine Extremsituation mit einer Häufung von diesen Schicksalen. Das hat viele Spuren hinterlassen."

"Wir haben sehr viele tragische Schicksale miterlebt, auch von jungen Patienten, die hier an Corona verstorben sind."

Außerdem waren da die Angehörigen, die zu den Patienten wollten. "Da waren wir vergleichsweise großzügig", sagt Klinikums-Chef Jürgensen. "Wir haben Seelsorger und eine Ethikkommission im Haus, mit denen wir uns abgestimmt haben." Es sei die Ausnahme gewesen, wenn Angehörige sich nicht von sterbenden Covid-Patienten verabschieden konnten. "Da waren wir im Rahmen der Sicherheitsauflagen durchaus bereit, ein bisschen ins Risiko zu gehen, um das zu ermöglichen."

"Sich nicht verabschieden zu können - das ist irreparabel und nicht nachholbar."

Impfstoff nach einem Jahr: "Wichtiger Meilenstein"

Die Situation veränderte sich. Mit Zunahme der Studien und mit zunehmender Erfahrung sei eine gewisse Sicherheit mit Corona eingetreten. "Wir konnten die Krankheit einschätzen", erzählt Räpple. Eine Art Normalität stellte sich ein. Man habe gelernt, mit Corona im Alltag umzugehen. Und: "Wir konnten außerordentliche medizinische Schritte miterleben - die Impfung zum Beispiel nach einem Jahr als wichtiger Meilenstein - auch für uns selbst."

Andererseits hatte man auch mit den Menschen zu kämpfen, die diesen medizinischen Fortschritt nicht annehmen wollten. "In der dritten Welle gab es auch Situationen, wo wir mit Unverständnis konfrontiert waren. Da sind Patienten schwer erkrankt, die die Möglichkeit einer Impfung nicht wahrgenommen haben." Geräte und Betten seien dadurch knapp geworden.

Um genügend Impfdosen verabreichen zu können, wurde zwischenzeitlich Hilfe von der Bundeswehr angefordert.
Um mehr impfen zu können, hatte die Bundeswehr das Klinikum Stuttgart in einer Impfstation in der Stuttgarter Königsstraße unterstützt. (Archiv-Foto)

Drei Jahre Corona: Große Anstrengung und Stolz auf Mitarbeiter

"Zurückblickend auf die drei Jahre waren das sehr anstrengende Jahre", sagt Oberarzt Räpple. Er habe immer großes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und des Klinikums gehabt. "Mir ist manchmal nur ein bisschen die Sorge gekommen, wie wir diese Dauerbelastung durchhalten."

Jan Steffen Jürgensen kann der anstrengenden Zeit aber auch etwas Positives abgewinnen. "Das war eine Zeit, in der ich dankbar war oder gesehen habe, wie gut Teams miteinander arbeiten können", sagt er. "Da bin ich auch stolz auf die Kolleginnen und Kollegen im Haus." 500.000 PCR-Analysen habe das Klinikum in drei Jahren durchgeführt, so Jürgensen weiter. "Knapp eine Million Impfungen haben wir in zwei verschiedenen Impfzentren verabreicht." Aber man habe auch immer wieder demütig lernen müssen, dass sich die Situation verändert. "Zum Beispiel Medikamente, auf die man gehofft hatte, die am Ende aber nicht wirksam genug waren."

Rückblick: Was bleibt von Corona?

Im Rückblick auf drei Jahre Corona wirkt die Diskussion und die Situationen, an die man sich erinnert, schon fast wie ein Blick ins Geschichtsbuch - als ob Corona vorbei wäre. Die Aussage, man sei in der Endemie und nicht mehr in der Pandemie, fällt immer häufiger. Aber was bleibt von Corona? "Der Eindruck ist übrig geblieben, wie rasch auch unser Gesundheitssystem an die Belastungsgrenze gebracht werden kann", sagt Daniel Räpple.

"Auf der anderen Seite: Wie schnell sich die Forschung und die Wissenschaft organisieren kann, hochwertige Studien, funktionierende hochwertige Impfungen in kürzester Zeit auf die Beine zu stellen." Für ihn bleibt aber jetzt, wo die Zeiten wieder besser werden, die Frage stehen: "Wie können wir die Arbeit in der Intensivmedizin sowohl im pflegerischen als auch im ärztlichen Bereich attraktiv halten - nach diesen Erlebnissen, die wir durchgemacht haben."

"Bei allem Leid, ist doch das Grundvertrauen in die Medizin und die Forschung nicht verloren gegangen."

Was hat das Klinikum Stuttgart aus Corona gelernt?

Jan Steffen Jürgensen sagt, man habe aus der Pandemie gelernt. So habe man sieben Prozent mehr Pflegekräfte im Klinikum und man habe die Ausbildungskapazitäten erhöht. "Wir haben unverändert Patienten mit Corona im Haus." Das seien aber normalerweise Patientinnen und Patienten, die wegen anderer Krankheiten eingeliefert werden.

Die neue Intensivstation, die schon zu Pandemiezeiten im Bau war, habe man direkt pandemiegerecht eingerichtet - mit Schleusen und Isolationszimmern. "Und wir haben gelernt, dass Schnelltests und PCR-Tests an jeder Ecke sinnvoll sind, nicht nur für Covid, auch für Influenza oder RSV."

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