Seit 1. Januar müssen Gastrobetriebe wie Tankstellen und Bäckereien Mehrweggeschirr anbieten. Funktioniert das im Alltag? Was sagen Wirte, Kunden und Umweltschützer?
Rund 100 Tage nach Einführung der Angebotspflicht für Mehrweg in der Gastronomie ziehen viele Unternehmen eine positive Bilanz. Auch etliche Kundinnen und Kunden sind begeistert. Von einer Umweltschutzorganisation kommt hingegen heftige Kritik.
Viele Kunden waren zu Beginn skeptisch
Marlen Hess wollte nicht warten. In der Metzgerei Hess in Leonberg-Höfingen (Kreis Böblingen) wird Essen in Mehrwegverpackungen schon seit Sommer 2021 angeboten - mehr als ein Jahr früher als gesetzlich vorgeschrieben. Die täglich anfallenden Berge von Styropor und Aludeckeln waren ihr ein Graus.
Am Anfang seien die Kundinnen und Kunden eher skeptisch gewesen, erinnert sich Marlen Hess: "Was der Bauer nicht kennt, mag er nicht so gern." Doch mittlerweile nutzen 75 bis 80 Prozent ihrer Stammkundinnen und -kunden das Pfandsystem, schätzt sie. Beim Ausliefern von Essen setzt die Metzgerei sogar auf 100 Prozent Mehrweggeschirr.
Essen wird auch weiterhin in Einweggeschirr verkauft
Zum Verständnis: Die aktuell geltende Mehrwegpflicht heißt nicht, dass nur noch Essen in Mehrwegverpackung verkauft werden darf. Die Regelung sieht lediglich vor, dass Gastrobetriebe diese anbieten müssen. Deswegen gibt Metzgerin Hess auf Wunsch auch weiterhin Essen in Wegwerfverpackungen aus Styropor und Aluminium heraus. "Viele Handwerker, die auf dem Bau nichts mit dem Mehrweggeschirr anfangen können, nehmen weiter Einweg."
Nicht nur der Umweltschutz ist Marlen Hess wichtig. Da Mehrwegverpackungen nur einmal angeschafft werden muss, rechnet sich die Umstellung auch finanziell, sagt die Metzgerin. Aludeckel und Styropor-Gefäße mussten jedes Mal neu gekauft werden.
Gastwirt: "Mehrweg ist eine schöne Alternative zu bösem Plastik"
Auch Philipp Schmall, stellvertretender Küchenchef Karls Kitchen in Stuttgart, waren die Einwegverpackungen ein Dorn im Auge. Sein Fazit nach rund 100 Tagen Mehrwegpflicht: "Wir haben eine schöne Mehrwegalternative zu dem bösen Plastik gefunden. Und die Gäste nehmen das supergut an."
DEHOGA: Kunden entscheiden, ob es mehr Mehrweg gibt
Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA war zu Beginn gegen die Mehrwegpflicht. Nach rund 100 Tagen zieht Pressesprecher Daniel Ohl eine recht positive Bilanz. "Wir haben durchaus gute Rückmeldungen, also Betriebe, die das auch als Chance sehen, die Gästebindung zu erhöhen. Vor allem in der Speisegastronomie."
Wie viele Essen und Getränke seit Beginn des Jahres in Mehrweg- und wie viele in Einweg-Geschirr verkauft wurden, darüber liegen dem DEHOGA-Sprecher keine Zahlen vor. Die Pflicht, Mehrweg anzubieten, liege beim Gastronomen. Die Möglichkeit, die Mehrwegquote signifikant zu erhöhen, die liege aber bei den Gästen, so DEHOGA-Sprecher Ohl weiter.
Kunde zu Mehrweggeschirr: "Ich find es toll, weil ich weniger Müll erzeuge."
Mehrweg-Verpackungen kosten im Schnitt fünf bis zehn Euro Pfand. Das schreckt viele Kundinnen und Kunden aber nicht ab. Ein Kunde in der Höfinger Metzgerei Hess sagt: "Ich find es toll, weil ich weniger Müll erzeuge. Ich komme fast jeden Tag hierher und jeden Tag so eine Plastikschale in den Müll schmeißen, ist auch blöd." Und eine Kundin ergänzt: "Die Mülltonnen füllen sich mit Plastikmüll. Wenn man das so machen kann, ist das doch perfekt."
BUND: Mehrwegpflicht ist kompliziert und umständlich
Nicht überall wird das Mehrwegangebot gut angenommen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat deswegen eine Webseite gestartet, auf der Betriebe gemeldet werden können, die gegen die Mehrweg-Angebotspflicht verstoßen. Auch die Umweltschutzorganisation BUND findet die bisherige Regelung alles andere als ausreichend. Sie sei gut gedacht, funktioniere aber nicht, sagt Volker Molthan. Denn wenn die Menschen die Wahl hätten, warum sollten sie dann erst einmal Pfand für ein Mehrweggeschirr ausgeben und dann nach dem Essen oder Trinken erneut anstehen, um den Behälter wieder abgeben?
Die Umweltschutzorganisation kritisiert außerdem, dass es unterschiedliche Anbieter gibt und jedes Gastrounternehmen nur verpflichtet ist, die Behälter zurückzunehmen, die es selbst anbietet. Wenn das System funktionieren soll, dann müsse es auch überall unkomplizierte Rückgabemöglichkeiten geben, so der BUND-Sprecher, der sich zum Beispiel Automaten auf Bahnhöfen oder an größeren Kreuzungen vorstellt.
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Umweltschützer fordert: Mehrwegverpackungen sollen Pflicht werden
Deswegen fordert der BUND ein einheitliches System, bei dem Pfand-Behälter überall zurückgegeben werden können. Darüber hinaus spricht sich die Umweltschutzorganisation für eine Pflicht aus, bei dem alle To-go-Essen in Mehrweggeschirr verkauft werden.
Stuttgarter Gastwirt kann sich Mehrweg ohne Einweg vorstellen
Auch Michael Neef, Leiter der Breuninger Gastronomie in Stuttgart, kann sich vorstellen, diesen Weg zu gehen: "Ich bin der Meinung, dass Einweg so keine Daseinsberechtigung hat, weil es wunderbare Mehrwegkonzepte gibt und die funktionieren und die Gäste nutzen es und leben es."
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