Die Babyboomer gehen in Rente. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge Menschen, die in das System einzahlen. Viele werden wohl zusätzlich privat fürs Alter vorsorgen müssen.
Vor allem die geburtenstarken Jahrgänge ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die Babyboomer, treibt das Thema Rente um. Viele gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Es ist eine Belastung für das gesetzliche Rentensystem, die auch junge Menschen beunruhigt.
Selbstständige aus Baden-Württemberg sorgt sich um Rente
Montagmorgen in Friedrichshafen (Bodenseekreis): Hannah Längin steht in ihrer Backstube und rührt eine rote Kuchenmasse an. Die Backstube füllt sich mit Erdbeerduft. Die Masse wird eine von vielen Füllungen für eine Geburtstagstorte. Längin ist 26 Jahre alt und hat sich vor drei Jahren als Konditorin selbstständig gemacht. Seitdem beschäftigt sie sich auch mit ihrer Rente.
"Mein Vertrauen in das gesetzliche Rentensystem ist sehr gering", sagt Längin, während sie die nächste Füllung vorbereitet. Sie findet, man könne sich nicht mehr darauf verlassen. Doch als selbstständige Konditorin ist sie rentenversicherungspflichtig und muss sogar den vollen Beitrag in die Rentenkasse zahlen. Sie hat keinen Arbeitgeber, der sie anteilig unterstützt.
"Ich finde schon über 300 Euro eine hohe Summe monatlich und ich weiß hinterher nicht, was ich schlussendlich davon habe", sagt Längin. Im nächsten Jahr muss sie ihren Beitrag zudem verdoppeln, denn dieser ist nur in den Anfangsjahren der Selbstständigkeit reduziert. Viel lieber würde Längin das Geld selbst anlegen, zum Beispiel in ETFs am Aktienmarkt investieren. Dann hätte sie es selbst in der Hand.
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Die gesetzliche Rente reicht für viele nicht mehr aus. Landesfinanzminister Bayaz empfiehlt daher für die Altersvorsorge privat in Aktien zu investieren. Was ist davon zu halten?
Generationenvertrag: Ist die Rente noch sicher?
Längin zahlt mit dem gesetzlichen Beitrag nicht auf ein eigenes Rentenkonto ein, sondern ihr Beitrag finanziert die Rente von Menschen, die jetzt im Ruhestand sind. Die Grundlage unseres Rentensystems: Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einzahlen, finanzieren diejenigen, die im Ruhestand sind - im Rentensystem heißt das Generationenvertrag.
Der Generationenvertrag in der gesetzlichen Rentenversicherung gerät jedoch immer mehr in Schieflage. 1957 wurde unser heutiges Rentensystem entwickelt. Die Idee damals: Die Jungen zahlen die Rente der Alten. Nun gehen bald die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Während 1962 noch sechs Beschäftigte eine Rentnerin oder einen Rentner finanziert haben, werden es 2030 nur noch knapp eineinhalb Beschäftigte sein.
Finanzen im Alter: Junge Generation in BW besorgt
"Da sieht man schon ein bisschen schwarz in die Zukunft, weil nicht mehr die Menge nachkommt, die dann mal die Rente zahlt bei dem aktuellen System", sagt Längin. Die selbstständige Konditorin möchte selbst wissen, wie viel gesetzliche Rente sie später bekommt. Ihr Ziel: Sie will keine Angst davor haben, in Rente zu gehen, und ihren Lebensstandard auch in der Rente möglichst halten können.
Längin macht sich auf den Weg zur Beratung bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in Ravensburg. Es ist eines von vielen Beratungszentren in Baden-Württemberg, an denen die DRV kostenlose Beratungen zur Rentenversicherung anbietet.
Altersvorsorgeberater Manuel Schmutz macht den Check und hat ziemlich schnell einen konkreten Geldbetrag: Stand jetzt würde Längin 1.315 Euro Rente bekommen. "Jetzt kommen Sie ins Spiel und müssen sagen, sind die für mich gut oder sind die für mich schlecht", sagt Schmutz. "Schlecht", antwortet Längin und fügt hinzu: "Es ist bitter und tut weh, wenn man das schwarz auf weiß mal so sieht."
Rentenvorsorge: Was tun mit 30 Jahren?
Längin hat bis zur Rente noch ein paar Jahre Zeit und kann sich nun rechtzeitig darum kümmern. Jungen Menschen rät Altersvorsorgeberater Schmutz, zusätzlich privat vorzusorgen, etwa mit Aktienfonds, ETFs, Tages- oder Festgeldkonten. "Man sollte dort investieren, wo man sich wohlfühlt und sich auskennt", fügt Schmutz hinzu. Eine Möglichkeit wären ETFs - also Aktienfonds am Kapitalmarkt anzulegen.
Der Berater macht folgendes Rechenbeispiel auf: Eine Person investiert mit 30 Jahren monatlich 300 Euro in einen Aktienfonds. Bei einer Anlagedauer von mehr als 35 Jahren gibt es laut Schmutz Fonds, die im Schnitt über diesen Zeitraum fünf Prozent Rendite abgeworfen haben. Auf diese Art der Anlage wird zusätzlich die Kapitalertragssteuer erhoben. Damit ergibt sich ein Beitrag von mindestens 285.000 Euro auf dem Konto. Soll das Geld bis zum 92. Geburtstag reichen, ergäbe das eine monatliche Aufstockung für die Rente von rund 950 Euro netto. Allerdings könne die Summe auf dem Konto, je nachdem wie man die Anlage versteuert, auch höher ausfallen.
Rentenvorsorge: Was tun mit 50 Jahren?
Die meisten Menschen, die in die Beratung kommen, seien älter als 30 Jahre, sagt Schmutz. "Zwei Drittel sind schon eher in Richtung Rentenjahrgang gehend, um die 55 Jahre aufwärts." Bei der Beratung bekommen sie Tipps und Lösungen, wie sie ihre finanzielle Situation im Ruhestand vielleicht noch ein bisschen besser gestalten können.
Menschen über 50 Jahren haben etwas weniger Zeit, sich noch ein zusätzliches Vermögen aufzubauen. Hier rät Schmutz zu einer anderen Möglichkeit: "Für diese Altersgruppe könnten sichere Anlageformen wie Tagesgeld- oder Festgeldkonten eine gute Anlageform darstellen." Eine Alternative sei es, die Beiträge in die gesetzliche Rente mit einer Abschlagszahlung zusätzlich zu erhöhen.
Rentenberatung informiert in BW zur Rente mit 63 Jahren
Häufig gehe es in der Beratung auch um den Zeitpunkt, in Rente zu gehen. Bei einem früheren Renteneintritt, zum Beispiel mit 63, kann die monatliche gesetzliche Rente geringer ausfallen. Das passiert, wenn man weniger als 45 Jahre in die Rente eingezahlt hat. "Diese Differenz kann dann mit einer Abschlagszahlung ausgeglichen werden", sagt Schmutz. Für Menschen, die sich nicht mehr um eine Anlage kümmern möchten, sei dies oft eine gute Alternative. Für die Menschen sei das Geld bei der gesetzlichen Rente gut angelegt und sicher. "Man bekommt lebenslange Rente, ohne groß drüber nachdenken zu müssen", sagt Schmutz.
Bei der eigenen Rentenvorsorge gebe es viele verschiedene Konstellationen. Die Rente sei komplex und flexibel, daher liefen die Beratungen bei der DRV sehr individuell ab, sagt Altersvorsorgeberater Schmutz.
"Die wenigsten Menschen wissen, dass wir in der Rentenberatung auch die gesamte finanzielle Lebensplanung mit besprechen. Und das unentgeltlich und unabhängig", sagt Schmutz. Die Beraterinnen und Berater hätten keine Verpflichtung, die Menschen von einem Produkt zu überzeugen.
Rentenpaket II: So soll die Rente künftig funktionieren
Was man persönlich in der Rente bekommt, ist das eine. Das andere ist, wie viel Geld im Rentensystem in Zukunft sein wird. Denn mit dem demografischen Wandel leert sich auch der Rententopf und das wird für die Politik immer mehr zum Problem.
Die Bundesregierung hat im Mai das Rentenpaket II beschlossen. Der Plan sieht unter anderem eine Aktienrente, das sogenannte Generationenkapital, vor. Der Staat legt Geld in Aktienfonds an, die ab 2036 pro Jahr zehn Milliarden Euro in die Rentenkasse spülen sollen. Fachleute sagen, das sei viel zu wenig. Im Jahr waren im Topf der Rentenversicherung bislang rund 360 Milliarden Euro. Um auch zukünftige Renten auf diesem Niveau zu halten, könnten sich die Ausgaben in den kommenden Jahren mehr als verdoppeln - auf rund 802 Milliarden Euro bis 2045.
Konditorin Längin fände es gut, wenn auch Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete und alle Selbstständigen in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen müssten. "Ich würde mir mehr Gleichberechtigung wünschen", sagt sie. Nach der Rentenberatung ist ihr eine Sache klar: Ohne private Vorsorge will sie nicht in Rente gehen. Sie denkt über eine regelmäßige Investition in einen Aktienfonds nach.
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