Ehrenamtliche Richter entscheiden vor Gericht über Freiheit oder Knast. Wie das in der Praxis aussieht, berichten drei Menschen aus BW und RP.
Richter oder Richterin werden ohne Jurastudium - geht das überhaupt? Und ob! Denn als Schöffinnen und Schöffen, also ehrenamtliche Richterinnen und Richter, sitzen jedes Jahr tausende Menschen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu Gericht und fällen gemeinsam mit ihren hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen Urteile "im Namen des Volkes". Es ist ein Ehrenamt mit großer Verantwortung - schließlich entscheiden im Zweifel sie, ob ein Mensch ins Gefängnis muss - und wenn ja, wie lange.
Alle fünf Jahre werden die Posten als Haupt- und Ersatzschöffen für die Land- und Amtsgerichte neu besetzt - jetzt ist es wieder soweit. Und freie Stellen gibt es: Bei der aktuellen Schöffenwahl werden allein in Baden-Württemberg etwa 7.000 neue Schöffinnen und Schöffen gesucht. Drei ehrenamtliche Richter - zwei Frauen und ein Mann - haben sich auf SWR-Anfrage bereit erklärt, von ihren Erfahrungen bei Gericht zu erzählen.
Antje Weiss interessiert sich für die Hintergründe von Straftaten
"Ich hatte den Wunsch, Schöffin zu werden, schon viele Jahre", sagt Antje Weiss aus Leinfelden-Echterdingen (Kreis Esslingen). Neben den Abläufen bei Gericht interessiert sie sich insbesondere für die Menschen und ihre Beweggründe "etwas Falsches zu tun, aber auch eine Straftat anzuklagen". Doch lange habe das Ehrenamt nicht so richtig in ihr Leben gepasst - erst sorgte sie für ihre kleinen Kinder, dann machte sie sich als Kauffrau selbstständig. Vor fünf Jahren war die Zeit schließlich reif für ihre Bewerbung. Jetzt, mit 55 Jahren, ist sie seit vier Jahren Schöffin beim Landgericht Stuttgart - und will es bleiben.
"Hauptamtliche Richter begegnen mir auf Augenhöhe"
"Dass die hauptamtlichen Richter mich als Laiin total auf Augenhöhe behandeln, obwohl ich kein juristisches Vorwissen mitbringe - damit hätte ich echt nicht gerechnet", sagt sie. Die Richterinnen und Richter hätten sich stets korrekt verhalten und alles, was sie gefragt habe, sei ihr auch erklärt worden. Nicht zu unterschätzen sei hingegen der zeitliche Aufwand - bei größeren Prozessen habe sie auch schon über mehrere Wochen am Stück an jeweils zwei bis drei Tagen zu Gericht sitzen müssen.
Aber es habe sich gelohnt: "Es war sogar noch spannender als erwartet", sagt Weiss. Deswegen wolle sie auf jeden Fall weitermachen als Schöffin. "Ich habe dabei nicht nur gelernt, wie unser Justizsystem funktioniert, sondern auch, welche Grenzen es hat", sagt sie. Vorher sei sie oft empört gewesen über Urteile, über die in den Medien berichtet wurde. Durch ihre Tätigkeit als Schöffin wisse sie nun, dass die Ursache für ein als ungerecht empfundenes Urteil in der Regel nicht auf dem Richterstuhl, sondern im Gesetz zu finden sei.
Für die Zukunft wünscht sie sich, dass sich mehr jüngere Menschen trauen, Schöffinnen und Schöffen zu werden. "Kläger und Beklagte sind oft noch sehr jung - bei Gericht sitzen dagegen ansonsten vor allem ältere Leute." Die seien aber von der Lebensrealität der Jungen oft weit entfernt. "Da würde es sicher nicht schaden, wenn bei den Schöffen auch ein paar Junge dabei wären", sagt sie.
Marion Schneider wäre gern Juristin geworden
Für die 52-jährige Marion Schneider aus Dannstadt-Schauernheim (Rhein-Pfalz-Kreis) steht fest: "Ich hätte Jura studiert - wenn ich Abitur gemacht hätte." Stattdessen wurde sie Versicherungskauffrau. Dass sie von der Schule abgegangen sei, habe sie trotzdem nie bereut. Als Schöffin habe sie schließlich auch ohne Jurastudium Richterin werden können.
"Angeklagte, Zeugen, Polizisten - als Schöffin lernt man die Menschen in allen Facetten kennen", sagt sie. Insbesondere bei der Polizei habe sie den Eindruck gewonnen, dass die Beweggründe für die Berufswahl sehr unterschiedlich seien. "Manche Polizeibeamte machen den Job ganz klar aus Leidenschaft" sagt sie, aber bei einigen habe sie schon das Gefühl gehabt, das sie die Macht auskosteten, die ihnen ihr Amt verleihe.
Auch Schneider lobt den Umgang der hauptamtlichen Richter und Richterinnen mit ihr und anderen Schöffen. "Und im Gegensatz zu ihrem Ruf sind das eigentlich ganz milde Menschen", sagt sie. Sie versuchten in der Regel mit allen Mitteln, eine Resozialisierung zu erreichen.
So habe sie bereits miterlebt, wie ein Automechaniker in der Verhandlung behauptete, er sei völlig nüchtern gewesen, als er Vorwärts- und Rückwärtsgang verwechselt habe. Ein weiterer Angeklagter, in dessen Auto die Polizei neben Drogen auch noch einen Baseballschläger gefunden hatte, habe dem Gericht eine besonders dreiste Lügengeschichte aufgetischt: Den Baseballschläger hätte er nur im Auto gehabt, um damit beim Gassigehen mit seinem Hund im Wald Tannenzapfen durch die Luft zu befördern - das würde dem Tier immer so gefallen.
Am meisten Unbehagen bereitet ihr der Gedanke, "was das alles kostet". Ein Tag Haft verschlinge bereits 100 Euro - das sei "schweineteuer". Gelernt habe sie durch ihr Ehrenamt hingegen, dass Angeklagte per Gesetz dazu verpflichtet seien, die Kosten für ihren Pflichtverteidiger oder ihre Pflichtverteidigerin zurückzuzahlen - auch wenn das in den seltensten Fällen tatsächlich geschehe.
Rainer Buschkiel schaut auf die Opfer-Täter Beziehung
Rainer Buschkiel aus Pforzheim ist bereits in seiner zweiten Amtszeit als Schöffe beim Landgericht Karlsruhe - allerdings gab es zwischendurch eine Unterbrechung von acht Jahren. "Es wurde mir damals zu viel", sagt der 61-Jährige. Dabei habe er sich schon immer für Jura interessiert, auch in seinem Beruf als Sozialpädagoge gab es Berührungspunkte.
Besonders interessant findet er die menschlichen Verflechtungen zwischen Tätern und Täterinnen und ihren Opfern. "Nur ganz selten ist eine Straftat etwas, das aus dem Dunkel über jemanden hereinbricht", sagt er - oftmals stünden Beschuldigte und Betroffene in einer persönlichen Beziehung zueinander. "Die Grenze: Wer ist Täter, wer ist Opfer? In vielen Fällen ist das gar nicht so einfach zu sagen", meint er.
Beispielsweise habe es in Pforzheim einen Juwelierüberfall gegeben, den ein Drogensüchtiger wegen Schulden bei seinem Dealer begangen hatte. "Der Drogendealer hatte ihm im Auto die Pistole in die Hand gedrückt und ihn losgeschickt, seine Schulden zu begleichen", erzählt Buschkiel. Glücklicherweise habe die Polizei den verzweifelten Mann stoppen können.
In einem anderen Fall hatte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe für einen Mann beantragt - wegen Schwarzfahrens. "Das ist doch völlig übertrieben", habe er gedacht und gemeinsam mit dem anderen Schöffen darauf hingewirkt, die Strafe wenigstens zur Bewährung auszusetzen.
Schöffen durften Gefängnis besichtigen
Auch ein Gefängnis hätten die Schöffen besichtigen dürfen, um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, was es heiße, seine Freiheit zu verlieren. "Das war ein mulmiges Gefühl - wer das nicht erlebt hat, kann sich das schlecht vorstellen", erzählt Buschkiel.
Trotz alledem könne er ganz gut mit unserem Justizsystem leben, sagt Buschkiel. Gerechtigkeit gebe es vor Gericht leider nicht. "Aber die Justiz kann einen Ausgleich schaffen, mit dem alle leben können", fügt er hinzu. Wer sich für das Ehrenamt interessiere, dem empfiehlt Buschkiel, zur Probe einmal als Zuschauerin oder Zuschauer an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung teilzunehmen. "So kann man schnell erkennen, ob das was für einen ist", meint er.
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