Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Aras blickt im Gespräch mit SWR Aktuell auf ein schwieriges Jahr zurück - und verrät, was ihr trotz Krieg und Krise Hoffnung macht.
SWR Aktuell: Frau Aras, was hat Sie als Politikerin in diesem Jahr 2022 am meisten geprägt?
Muhterem Aras: Das Schwierigste war sicher der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Der 24. Februar, wo wir erschlagen waren von dieser Nachricht. Das war sicher das Schlimmste. Und die Folgen dieses Angriffskriegs prägen uns ja heute noch.
SWR Aktuell: Mit Blick auf Baden-Württemberg, woran erinnern Sie sich am meisten, wenn Sie an dieses Jahr zurückdenken?
Muhterem Aras: Es ist immer noch der Krieg und seine Folgen, aber auch der Zusammenhalt, den es in diesem Land glücklicherweise gibt. In Baden-Württemberg engagieren sich ja unglaublich viele Menschen ehrenamtlich. Und was mich unglaublich berührt hat: Wie viele Menschen in Baden-Württemberg ihre Häuser, ihre Wohnungen geöffnet haben. Dass sie Menschen aus der Ukraine nicht nur mit Geld unterstützt haben, sondern ihnen wirklich ein Zuhause gegeben haben. Dieses Potenzial, das in dieser Gesellschaft steckt, das gibt mir auch Zuversicht für die nächsten Jahre.
SWR Aktuell: Vor allem zu Beginn des Ukraine-Krieges hat es in Baden-Württemberg eine große Solidarität mit den Flüchtlingen von dort gegeben. Inzwischen sind mehr als 140.000 Ukrainerinnen und Ukrainer hierher gekommen. Zusammen mit weiteren Flüchtlingen aus anderen Ländern sind es deutlich mehr als im Krisenjahr 2015. Sehen Sie auch erste Risse in dieser angesprochenen großen Solidarität?
Muhterem Aras: Risse nicht, aber vielleicht eine Ermüdung. Es ist vielen von uns klar, dass wir einen langen Atem brauchen. Putin wird nicht einfach aufhören, sondern er wird das noch lange hinziehen. Die Folgen sind auch bei uns überall zu spüren: hohe Inflation, steigende Preise, Energiekrise und so weiter. Der Alltag wird für alle deutlich schwerer. Und trotzdem bin ich froh, dass es insgesamt immer noch eine große Bereitschaft gibt, sich für andere einzubringen. Dass selbst Menschen etwas abgeben, die wirklich wenig haben.
SWR Aktuell: Die AfD im Landtag sieht das völlig anders, macht immer wieder Stimmung gegen Geflüchtete, seien sie nun aus der Ukraine oder aus anderen Staaten. Wie schwer ist es dagegen zu halten, wenn zum Beispiel Asylsuchende unter Generalverdacht gestellt werden oder als Konsequenz aus dem Messerangriff von Illerkirchberg eine großangelegte Abschiebeoffensive gefordert wird?
Muhterem Aras: Entscheidend ist, dass man immer einen klaren Kopf behält. Dass man rational ist und denkt. Und wir Menschen, die in politischen Positionen und Ämtern sind, dürfen uns nicht von irgendwelchen populistischen Geschichten ablenken lassen, sondern es müssen Fakten zählen. Wir haben hier die Aufgabe, Probleme zu lösen. Nun deshalb ist entscheidend, dass man immer wieder mit Argumenten dagegen hält. Und ich glaube, dass die meisten Menschen auch offen sind für Argumente.
SWR Aktuell: Wenn wir noch mal auf Illerkirchberg zurückkommen, da hat sich auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) für Abschiebungen nach schweren Straftaten eingesetzt. Ist das auch nur Populismus?
Muhterem Aras: Das muss man schon differenziert sehen. Natürlich kann ich das schon verstehen, dass Menschen nach der Tat in Illerkirchberg wütend sind. Und trotzdem leben wir glücklicherweise in einem starken Rechtsstaat. Wenn Straftäter Straftaten begehen, dann antworten wir mit rechtsstaatlichen Mitteln - und das werden die Gerichte entscheiden. Und zum Glück sind die Richter auch unabhängig.
SWR Aktuell: Was werden im Jahr 2023 die größten Herausforderungen für die Politik in Baden-Württemberg sein?
Muhterem Aras: Ich glaube, die größte Herausforderung wird sein - aber das gilt ja in der ganzen Welt - die Energiekrise und die Inflation in den Griff zu kriegen. Dass wir dem Klimawandel endlich mit großen Schritten entgegenwirken können. Und in Baden-Württemberg wird eine der größten Herausforderungen sein, für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Dass wir wieder an die vorderen Plätze kommen. Wir sehen ja, dass die Bildungschancen immer noch von der sozialen Herkunft abhängig sind. Dass wir in Baden-Württemberg nicht dort sind, wo wir sein sollten, das kann uns nicht zufriedenstellen. Und daneben ist der Bürokratieabbau ein Riesenthema. Unsere Verfahren dauern einfach zu lang.
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