Interview mit Politikwissenschaftler Thomas König

Kommunalwahl in Mannheim: "Jetzt ist es unübersichtlich"

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Matthias Wiest
Matthias Wiest

Nach der Gemeinderatswahl in Mannheim sind die Mehrheitsverhältnisse unklar. Der Mannheimer Politologe Thomas König über das Ergebnis, Ursachen und Folgen der Kommunalwahlen.

SWR Aktuell: Herr König, schauen wir zunächst auf die Mannheimer Gemeinderatswahl. Die CDU ist die Siegerin, die Grünen als Gewinner der letzten Wahl sind massiv abgestürzt, aber vielleicht nicht ganz so deutlich, wie das aus deren Sicht zu befürchten war. Hat Sie insgesamt das Ergebnis dieser Kommunalwahl in Mannheim überrascht?

Thomas König: Nein, überrascht hat mich das nicht. Und wenn man die Ergebnisse mit der gleichzeitigen Europawahl vergleicht, dann fällt auf, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ja nicht bei der Gemeinderatswahl angetreten ist und die Unterschiede zwischen der Europawahl und der Gemeinderatswahl wahrscheinlich zumindest teilweise darauf zurückzuführen sind.

Mannheim

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Die CDU ist die Gewinnerin der Kommunalwahl in Mannheim. Nach Auszählung aller Stimmen liegt sie mit 21,6 Prozent knapp vor den Grünen. Die AfD erreichte 14,2 Prozent.

SWR Aktuell: Dass die CDU stärkste Kraft in Mannheim wird, war zu erwarten aus Ihrer Sicht?

König: Die CDU hat sicherlich von zwei Dingen profitiert: Zum einen natürlich vom allgemeinen Trend. Die CDU hat ja insgesamt zugelegt, also landesweit bei den Gemeinderatswahlen und europaweit, als Oppositionspartei. Es war ja doch ein Wahlkampf, der weder europapolitische noch kommunalpolitische Themen in den Vordergrund gestellt hat. Und bei den Grünen ist es natürlich genau andersherum. Die haben ja die größten Verluste hier zu tragen. Und von daher, denke ich, war das mit entscheidend. Hinzu kommt bei der CDU, dass sie ja den Oberbürgermeister stellt, also auch hier Rückenwind hatte.

SWR Aktuell: Bisher gab es im Gemeinderat in Mannheim die grün-rot-rote Mehrheit. Diese Mehrheit ist jetzt weg. Was bedeutet das für die Arbeit im Gemeinderat, geführt vom CDU-Oberbürgermeister? Hat der es jetzt viel leichter als vorher?

König: Vorher war ja klar, dass er als Oberbürgermeister gewissermaßen gegen eine linke Opposition regiert. Jetzt ist es etwas unübersichtlich.

Es ist nicht ganz klar, wie die Abstimmungen verlaufen werden, ob es zu Bündnissen kommt zwischen den Parteien.

Mannheimer Politologe König: Unklare Mehrheiten sind Chance und Risiko zugleich

SWR Aktuell: Wird es denn dann schwieriger? Oder wird es im Gegenteil vielleicht sogar einfacher, weil man sich jetzt besser an Sachfragen orientieren kann und sich nicht an parteipolitischen Leitlinien orientieren muss?

König: Das ist eine ganz gute Frage. Was man allgemein sagen kann, ist, wenn Sie so eine klare Opposition wie zuvor haben, dann bringen Sie auch bestimmte Dinge erst gar nicht ein. Dann ist von vornherein klar, dass Dinge nicht durchkommen werden. Das heißt, man beobachtet dann gar nicht das Scheitern. Wenn sie dagegen eine unübersichtliche Situation haben, dann kann es manchmal gelingen, aber manchmal eben auch nicht. Das heißt, es ist ein bisschen mehr Spielraum da, aber gleichzeitig auch mit mehr Risiko verbunden.

SWR Aktuell: Die AfD gehört sicher auch zu den Gewinnern dieser Wahl. Sie ist jetzt in Mannheim mit 14 Prozent und deutlich mehr Sitzen vertreten. War auch das zu erwarten?

König: Also wenn Sie die Arbeit und die Situation der AfD Mannheim betrachtet haben, dann war es sicherlich nicht zu erwarten. Dasselbe gilt ja auch für die Europawahl. Wenn Sie die Kandidaten und ihre Skandale berücksichtigen, dann war das nicht zu erwarten. Aber dadurch, dass man eben so eine Art Bundestagswahlkampf geführt hat, hat die AfD am Ende sehr stark davon profitiert, und das hat sich auch im Mannheimer Ergebnis niedergeschlagen. Das Ergebnis zwischen Gemeinderat und der Europawahl ist ja faktisch bei der AfD identisch.

Hatte der tödliche Mannheimer Messerangriff Einfluss auf die Wahl?

SWR Aktuell: Wenn man das Mannheimer Ergebnis der AfD mit dem in anderen Großstädten in Baden-Württemberg vergleicht, etwa Stuttgart oder Karlsruhe, dann fällt auf, dass in Mannheim die AfD etwas stärker zugelegt hat als in den beiden anderen Städten. Könnte das möglicherweise mit dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten durch einen Islamisten zusammenhängen?

König: Das ist sicherlich eine Erklärung, aber das ist sehr, sehr schwer einzuordnen. Andererseits muss man sagen, wenn man genauer hinschaut, wo die AfD gewonnen hat, dann sind das ja vor allem die früheren Arbeitergebiete, also eher bei der SPD ist sie sehr erfolgreich geworden, während sie in den bürgerlichen Bereichen keine Mehrheit gefunden hat. Also sieht man schon, wo da das Potenzial der AfD am Ende des Tages liegt. Und da ist Mannheim im Vergleich zu Stuttgart sicherlich von der Sozialstruktur her im etwas ärmeren Bereich angesiedelt.

SWR Aktuell: Das Gegenbeispiel aus der Region ist ja auch Heidelberg. Da ist es ja ganz deutlich, dass die soziale Struktur sich tatsächlich im Wahlergebnis widerspiegelt.

König: Genau, da ist es nämlich genau andersherum. Da haben Sie einen sehr hohen Akademikeranteil, und da konnte die AfD kaum Zugewinne verbuchen.

Heidelberg

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SWR Aktuell: Es gibt in den größeren Städten auch in der Region, also Heidelberg und Mannheim, eine Tendenz zu immer mehr Zersplitterung im Gemeinderat. In Mannheim sind es zwölf Gruppierungen oder Parteien, in Heidelberg ist die Zahl sogar auf 14 gestiegen. Woher kommt das? Und was bedeutet das für die Arbeit im Gemeinderat?

König: Also für die Arbeit im Gemeinderat bedeutet das, dass man sich natürlich Mehrheiten suchen muss. Und wir haben ja da teilweise Vereinigungen, die nicht so leicht einzuordnen sind. Das kann natürlich einen gewissen Handlungsspielraum mit sich bringen, aber auch das Risiko, dass man scheitert. Man steht da auf etwas sandigen Terrain, wenn man da von bestimmten Mehrheiten früher ausgehen konnte. Woran liegt das? Das ist eine sehr allgemeine Entwicklung, dass die Zufriedenheit mit den etablierten Parteien, und das trifft jetzt nicht nur auf die Gemeinderatswahlen zu, das ist insgesamt zu beobachten, geringer wird.

Hinzu kommen Situationen, die wir vor allem auch bei Jugendlichen finden, also eine gewisse Perspektivlosigkeit: Man hat nicht das Gefühl - das war ja ein starker Wahlkampf Richtung Ampel-Regierung - dass die Ampel-Regierung in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Und sobald man diesen Eindruck hat, diese Gemengelage, dass auf der einen Seite die Dinge nicht angegangen werden, so wie man sich das vorstellt, und einem auf der anderen Seite die Sachen unter den Nägeln brennen - wir sprechen von sehr emotionalisierter Politik im Moment - dann neigt man natürlich auch dazu, anderen Parteien, auch teilweise extremen Parteien, seine Stimme zu geben.

Warum war Volt so erfolgreich?

SWR Aktuell: Zwar nicht extrem, aber auch ein bisschen in diese Richtung passt der Erfolg von Volt zum Beispiel in Heidelberg, die jetzt mit drei Sitzen im Gemeinderat vertreten sind. Sind Volt so etwas wie die Grünen der Zukunft?

König: Volt, und das kam bislang in der Berichterstattung etwas zu kurz, war eine der wenigen Parteien, die, bezogen auf die europäische Dimension, sehr konkrete europapolitische Themen angesprochen hat. Beispielsweise die Forderung nach Einrichtung eines Vorschlagsrechts für das Europäische Parlament. Also das war eine der wenigen Parteien, die nicht Bundestagswahlkampf betrieben hat. Und Volt hat gewonnen, genauso wie auf der anderen Seite mit etwas pauschaleren, aber anti-europäischen Haltungen, BSW und AfD das getan haben. Also diejenigen, die sozusagen den Wähler abgeholt haben für die entsprechenden Wahlen, die konnten auch zulegen. Und da gehört Volt sicherlich dazu.

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