Zeit für eine Abrechnung: Die FDP-Spitze geht bei ihrem Landesparteitag mit der BW-Regierung hart ins Gericht. Eine große Mehrheit spricht sich zudem für mehr Atomkraft aus.
Die Landes-FDP hat der grün-schwarzen Regierung in Baden-Württemberg Stillstand vorgeworfen und den Grünen einen Wechsel zu einer Ampel nahegelegt. "Verlassen sie diese Koalition, die sowieso wie Mehltau bräsig dahindümpelt", sagte FDP-Landeschef Michael Theurer am Donnerstag beim Landesparteitag in Fellbach (Rems-Murr-Kreis). Das Land drohe wirtschaftlich und im Bereich Bildung zurückzufallen.
Kretschmann zog 2021 eine Koalition mit der CDU vor
Die Grünen müssten jetzt einen "politischen Aufbruch wagen". Theurer sagte: "Vielleicht wäre es auch der richtige Zeitpunkt für einen Generationenwechsel an der Spitze." Es wäre falsch, weitere drei Jahre für das Land zu vergeuden. Schon nach der Landtagswahl im Frühjahr 2021 wollten FDP und SPD mit dem grünen Wahlsieger eine Ampel bilden. Doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zog eine Neuauflage der Koalition mit der CDU vor.
Bildungspolitik der Regierung ist "das Schlimmste"
Angesichts schwacher Leistungen von Grundschülerinnen und -schülern in Baden-Württemberg warf FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke der Landesregierung schwere Fehler vor.
Die jüngsten Leistungsstudien Vera oder IQB zeigten, dass es bei der Qualität "steil bergab" gehe. "Überall ist Baden-Württemberg der Bildungsabsteiger", monierte Rülke. Aufsteiger sei Hamburg. Er finde es peinlich, dass sich Baden-Württemberg nun an der Hansestadt orientieren müsse: "Inzwischen sind wir soweit nach zwölf Jahren Winfried Kretschmann."
Er hielt dem Regierungschef vor, dieser sehe ein Qualitätsproblem beim Unterricht. "Das heißt: Die Lehrer sind schuld", sagte Rülke. Es sei sicher nicht das richtige Signal, den Lehrkräften nach der starken Belastung in der Corona-Zeit solche Vorwürfe zu machen.
"Mensch fängt nicht erst beim Abitur an"
Rülke hält auch Kretschmanns Erklärung für falsch, der hohe Anteil an Schülerinnen und Schüler mit ausländischen Wurzeln sei ein wichtiger Grund für das Absinken des Niveaus in den Grundschulen. Baden-Württemberg habe eine Migrantenquote von 30,9 Prozent, Hamburg aber von 34 Prozent. "Daran kann's nicht liegen. Das ist ein Migrationsmärchen", sagte Rülke. Die Hansestadt investiere fast doppelt so viel wie Baden-Württemberg in die Grundschulen. Hier müsse die Landesregierung nachlegen.
Die FDP dringt auf eine Imagekampagne für die berufliche Bildung. "Der Mensch fängt nicht erst beim Abitur an", sagte Rülke. "Handwerker und Facharbeiter sind genauso wichtig wie der Akademiker." Grün-Schwarz müsse auch die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einführen.
FDP stimmt für AKW-Laufzeitverlängerung
Aber auch andere Themen beschäftigen die FDP auf ihrem Parteitag. So forderte sie zum Beispiel in einem Leitantrag eine Verlängerung der Laufzeiten der drei verbliebenen Atomkraftwerke über den 15. April hinaus. Der Parteitag beschloss den Antrag mit großer Mehrheit. Darin fordern die Liberalen auch den Ankauf weiterer Brennelemente, um die Atomkraftwerke mindestens bis 2026 weiter betreiben zu können.
Landeschef Theurer hatte zuvor gesagt, aus geopolitischen Gründen müssten die Meiler Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland eigentlich bis 2030 weiter betrieben werden. Es sei unverantwortlich, mitten in der Energiekrise auf die drei verbliebenen Atommeiler zu verzichten. Es gehe nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um Versorgungssicherheit und bezahlbaren Strom, so Theurer.
In ihrem Leitantrag fordern die Liberalen außerdem neue Stresstests für die Stabilität der Stromnetze. Theurer sagte voraus, bei diesen Tests werde herauskommen, dass ohne die Atomkraftwerke Stromlücken drohten. Der Landesparteichef zeigte sich überzeugt, dass am Ende die guten Argumente zählen würden. "Dann kommen auch Robert Habeck und die Grünen auf den Trichter, dass wir eine Verlängerung der Laufzeiten brauchen."
Diskussion über Frauenanteil in der Partei
Außerdem hat sich die baden-württembergische FDP mit dem Frauenanteil in ihrer Partei beschäftigt. Die Mitgliederzahl des Landesverbands ist mit rund 9.700 stabil. Unter den neu eingetretenen Mitgliedern seien allerdings nur 20 Prozent Frauen.
Junge Liberale für "oben ohne"
Bürgerrechte sind ebenfalls Thema in Fellbach. So fordern die Jungen Liberalen, unterschiedliche Bekleidungspflichten von Männern und Frauen in Schwimmbädern abzuschaffen. Der Antrag wurde aus Zeitgründen allerdings nicht mehr debattiert. Die nicht beratenen Anträge werden an den Landesvorstand geleitet.
Antrag der Jungen Liberalen FDP-Parteitag befasst sich nicht mit "Free the Nipples"
Die Jungen Liberalen setzen sich beim Landesparteitag in Fellbach unter anderem für Oben-ohne-Schwimmen in Bädern ein. Fraktionschef Rülke sieht das skeptisch.