Eltern müssen in Baden-Württemberg mehr Schließtage und kürzere Öffnungszeiten hinnehmen als in vielen anderen Bundesländern. Expertinnen loben die hohe Qualität, doch diese ist in Gefahr.
- Kitas in Baden-Württemberg haben häufiger zu als anderswo
- Die Qualität stimmt, ist aber durch Fachkräftemangel gefährdet
- Kita-Notstand verschärft sich
Kitas häufig geschlossen
Berufstätige Eltern sind auf eine verlässliche Kinderbetreuung angewiesen. In Baden-Württemberg sind Kindertageseinrichtungen (Kitas) häufiger geschlossen als in anderen Bundesländern. Vergleicht man die täglichen Öffnungszeiten, sind die der baden-württembergischen Kitas bundesweit unter den kürzesten.
Das geht aus Daten der Bertelsmann Stiftung hervor, die das SWR Data Lab für Baden-Württemberg genauer ausgewertet hat. Demnach sind die Kitas im Median an 26 Tagen geschlossen. Nur Bayern kann das mit 27 Tagen übertreffen. Immerhin, die Qualität stimmt. Das allein reicht aber nicht aus, um eine für Kinder und Eltern optimale Betreuung sicherzustellen.
Schließzeiten treffen vor allem arbeitende Eltern
Die fehlenden Betreuungszeiten stellen vor allem Eltern, die ganztags arbeiten, vor Herausforderungen, berichten Julia Fischer und Heike Kempe. Beide sitzen im Vorstand der Landeselternvertretung baden-württembergischer Kindertageseinrichtungen (LEBK). Betroffene Eltern können sich mit ihren Problemen an sie wenden.
Besonders im vergangenen Jahr seien die Folgen des Personalmangels zu spüren gewesen, sagt Kempe: "Es waren nicht mehr nur einzelne Einrichtungen, die vorübergehend die Betreuungszeiten einschränken mussten, sondern teilweise sind ganze Städte strukturell rangegangen und haben die Ganztagsbetreuung zurückgefahren."
Manche Familien können die kürzeren Betreuungszeiten ausgleichen, indem Großeltern oder andere Familienmitglieder einspringen. Das ist aber längst nicht für jede und jeden möglich, weiß Julia Fischer. Zugezogene haben oft keine Ausweichmöglichkeiten und sind auf die Kita angewiesen. "Ich bin Ingenieurin, ich hätte es mir leisten können, meine Arbeitszeit knallhart von 35 auf 25 Stunden zu reduzieren. Aber es trifft doch gerade die Eltern, die nicht mal eben flexibel auf Teilzeit umstellen können.", sagt Fischer.
Lange Öffnungszeiten sind nicht immer besser
Dr. Beate Vomhof und Dr. Stephanie Karcher von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg weisen darauf hin, dass Kitas mit kurzen Öffnungszeiten und mehr Schließtagen nicht pauschal als schlecht einzustufen sind. Die Wissenschaftlerinnen lehren im Studiengang Bildung und Erziehung im Kindesalter, in dem Kindheitspädagoginnen und -pädagogen ausgebildet werden.
Die Frage nach den Öffnungszeiten beantworte sich je nach Perspektive unterschiedlich: "Für berufstätige Eltern ist eine zuverlässige und bedarfsgerechte Ganztagesbetreuung wichtig", sagt Stephanie Karcher. "Aus pädagogischer Sicht hingegen gibt es sehr deutliche Hinweise darauf, dass kleine Kinder vom Bildungsangebot der Kitas bei Betreuungsumfängen bis maximal sechs Stunden am besten profitieren können."
Je jünger ein Kind sei, umso mehr sei es auf stabile Beziehungen, auf Assistenz und auf Zugewandtheit angewiesen. Verbringe ein Kind den Großteil seiner Zeit in einem Kindergarten oder einer Krippe, müsse es deutlich mehr unterschiedliche Beziehungen eingehen. "Gefestigte Beziehungen zu Betreuerinnen und Betreuern steigern die Chance, dass ein Kind sich in der Kita wohlfühlen und etwas lernen kann", sagt die Expertin.
Auch die Anzahl der Schließtage gebe nicht zwangsläufig Rückschlüsse darauf, wie gut oder schlecht eine Kita ist. Gründe für Schließtage können neben Ferien und Feiertagen Bildungs- und Konzeptionstage sein. "In kaum einem anderen Arbeitsfeld wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so viel stetige Weiterentwicklung erwartet wie in den Kindertageseinrichtungen. Diese Zeitinvestition ist das, was wir in den Büchern und Studien als 'gute Kita-Qualität' wiederfinden", erklärt Karcher.
Spannungsfeld: Gute Qualität trotz Personalmangel
Ein großer Teil der Probleme fällt auf den Fachkräftemangel zurück. Der Spagat zwischen ausreichender Betreuungszeit und guter Kita-Qualität wird dadurch fast unmöglich. Ein Indikator für die Kita-Qualität ist der Personalschlüssel. Er sagt aus, wie viele Kinder rechnerisch auf eine Betreuungskraft kommen.
"Ein guter Personalschlüssel ist eine sehr relevante Prämisse für die pädagogische Arbeit", sagt Stephanie Karcher. Wissenschaftliche Empfehlungen, auch die der Bertelsmann Stiftung, lauten: Für Kinder unter drei Jahren 1 zu 3, also eine Betreuungskraft für drei Kinder, und für Kinder über drei Jahren 1 zu 7,5.
Die Daten zeigen: In Baden-Württemberg ist der Personalschlüssel für Kinder in Krippengruppen (0-3 Jahre) sehr gut und weicht nur in einigen Landkreisen von der wissenschaftlichen Empfehlung ab. Im Landesrecht gibt es dazu klare Regelungen. Um den akuten Personalmangel zu bekämpfen und den seit 2014 geltenden Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für alle Kinder über einem Jahr zu erfüllen, erließ die baden-württembergische Landesregierung jedoch eine "Übergangsregelung" für die Jahre 2022 bis 2025.
Darin ist festgelegt, dass bei Personalmangel eine Fachkraft durch zwei unausgebildete Zusatzkräfte ersetzt werden kann. Außerdem können in dieser Übergangsphase die Gruppen größer gemacht werden, also insgesamt mehr Kinder von weniger Personal betreut werden. Wissenschaftlerin Beate Vomhof sieht darin die Gefahr der Deprofessionalisierung, dabei strebe die Politik seit Jahren genau das Gegenteil an.
Kindertagespflege als ergänzende Alternative
Geht es um die Kinder-Betreuung, prallen Bedürfnisse aufeinander. Die Einrichtungen versuchen eine qualitativ hochwertige Bildung anzubieten, aber ihnen fehlt das Personal. Das führt zu kürzeren Öffnungszeiten, die Hürden für arbeitende Eltern darstellen.
Ein Lösungsansatz, der in der akuten Situation helfen könnte, ist die Ergänzung der Kita durch die Kindertagespflege. Darunter versteht man die Betreuung durch ausgebildete Tagesmütter oder -väter. "Es wäre wirklich hilfreich zweigleisig zu denken. Das könnte zum Beispiel so aussehen: Eine Einrichtung macht ein Angebot von sieben Stunden Betreuung am Tag und für diejenigen, die noch zusätzlichen Bedarf haben, wäre die Kindertagespflege eine Option", sagt Stephanie Karcher.
Arbeit in Kitas nach wie vor unattraktiv
Der Bedarf an Betreuungsplätzen steigt stetig und damit auch der Bedarf an Personal. Die Daten der Bertelsmann Stiftung verdeutlichen: In jedem deutschen Bundesland steht die Betreuungsquote dem Betreuungswunsch nach. Das heißt, es gibt viele Eltern, die einen Platz für ihr Kind wollen, aber keinen bekommen.
Der Personalmangel spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Arbeit in der Kita müsse aufgewertet werden, sagt Beate Vomhof. Fachkräfte müssten besser bezahlt werden, aber es müsse auch gesellschaftlich viel stärker transportiert werden, wie wichtig die Arbeit im Bereich der frühkindlichen Bildung ist. "Es geht nicht nur darum, dass Eltern wieder arbeiten können. Kinder haben in der Kita ganz andere Lernmöglichkeiten. Sie können soziale Beziehungen eingehen zu anderen Kindern", sagt die Expertin. In der Kita werde der Grundstein für das demokratische Verständnis gelegt, indem die Kinder lernen, in Gemeinschaft zu leben.
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