Millionen Menschen werden in Deutschland zu Hause gepflegt. Was das für Angehörige bedeuten kann, erlebt Familie Kusterer aus Schömberg im Kreis Calw jeden Tag rund um die Uhr.
Was tun, wenn der Vater oder die Mutter pflegebedürftig wird und alleine leben einfach nicht mehr möglich ist? Dann stellt sich für die Angehörigen die schwierige Frage: Zu Hause pflegen oder in ein Heim bringen? Angelina Kusterer aus Schömberg im Kreis Calw hat sich entschieden, ihre Mutter zu Hause zu pflegen.
SWR-Reporter Peter Lauber hat Familie Kusterer in Schömberg besucht:
Pflege von Angehörigen ist ein Vollzeitjob
Tochter Angelina ist seit zehn Jahren jeden Tag für ihre Mutter da. Kerstin Kusterer leidet an Multipler Sklerose, einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems. Schon viele Jahre sitzt sie deswegen im Rollstuhl. Seit sie zudem noch mehrere Schlaganfälle hatte, braucht sie rund um die Uhr eine Betreuung. Auch sprechen kann die 62-jährige nur noch mühsam. Essen könne sie noch halbwegs alleine, erzählt sie. Bei allem anderen müssen Tochter Angelina und Vater Thomas helfen. Und das tun sie jeden Tag, rund um die Uhr.
Der Tag beginnt morgens um halb neun: Waschen, Anziehen, frische Windeln, Frühstück richten. Und auch tagsüber: immer wieder Windeln wechseln. Ihre Mutter benötige viel Aufmerksamkeit, sei sehr fordernd, wolle alle fünf Minuten etwas von ihr.
Kerstin Kusterer ist stuhlinkontinent und hat einen Blasenkatheter. Neben dem höhenverstellbaren Pflegebett steht auch eine Aufstehhilfe, die sie aber selten benutze, erzählt Angelina. Lieber hievt sie die Mutter mit einem kräftigen Ruck selbst aus dem Bett - das gehe schneller.
"Ein Heim kommt nicht infrage"
Kerstins Ehemann Thomas, inzwischen selbst gesundheitlich stark eingeschränkt, kümmert sich derweil um den ganzen Papierkram: Berichte für das Betreuungsgericht, Anträge auf Hilfsmittel oder Kurzzeitpflege, oder der ständige Austausch mit Pflege- und Krankenkasse.
Als die Mutter nach dem letzten Schlaganfall und einem Reha-Aufenthalt vor zehn Jahren in die höchste Pflegestufe eingruppiert wurde, stellte sich für Ehemann und Tochter die Frage: Was nun? Beide waren sich sofort einig: Ein Heim kommt nicht infrage. Erfahrungen aus der Kurzzeitpflege bestärkten sie darin. "Das war eine Katastrophe", sagt Angelina. Dort habe nichts, wirklich gar nichts funktioniert, sagt sie.
Um seine Frau zu Hause versorgen zu können, gab der 66-jährige seinen Job auf - schweren Herzens, wie er zugibt. Er habe für die Agentur für Arbeit Maßnahmen geleitet. Ein toller Job, in dem er voll aufgegangen sei. "Und dann war ich plötzlich selbst Kunde im Jobcenter", sagt Thomas Kusterer.
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Angehörige pflegen: Mit Kräften und Finanzen immer am Limit
Seit einem Jahr bezieht Thomas Kusterer seine Rente - wegen der Fehlzeiten jedoch mit Abzügen. Tochter Angelina versuchte zunächst noch, Pflege und Job unter einen Hut zu bekommen, bis es nicht mehr ging. Seit vergangenem Frühjahr bleibt auch sie zu Hause, lebt jetzt von Bürgergeld.
Einen Pflegesatz in Höhe von 947 Euro bekommt die Familie - das reiche gerade mal für die Hilfsmittel. Finanziell sei es eigentlich immer knapp, erzählen beide. Geht das Auto kaputt oder der Kühlschrank, stelle das die Familie vor große Probleme.
Aber auch kräftemäßig stoßen die Kusterers immer wieder an ihre Grenzen. Besonders Angelina, die sich inzwischen auch um den an Diabetes leidenden Vater kümmert. Für Freizeit und Hobbies, sagt die 34-Jährige, bleibe überhaupt keine Zeit mehr. Dafür hätte sie ohnehin keine Kraft, führt sie weiter aus. Sie sei schon zufrieden, wenn sie nachts mal in Ruhe durchschlafen könne.
Kerstin Kusterer ist sich bewusst, was ihre Angehörigen auf sich nehmen. Auch wenn sie sehr viel Mühe aufbringen muss, um es auszudrücken. Sie sei sehr, sehr froh, weiter hier wohnen zu können, sagt sie. Und dass sie ihre Familie liebe.
Wunsch nach mehr Unterstützung für die Angehörigen von Pflegebedürftigen
Von der Gesellschaft würde sich Thomas Kusterer mehr Anerkennung wünschen. Laut dem Statistischen Bundesamt gibt es in Deutschland etwas mehr als vier Millionen Pflegebedürftige. Davon würden mehr als drei Millionen zu Hause von Angehörigen betreut. Thomas Kusterer findet daher, sie sollten mehr in Entscheidungen eingebunden und mehr nach ihren Bedürfnissen gefragt werden.
Trotz allem: Die Entscheidung für die Pflege daheim haben Vater und Tochter Kusterer bis heute nicht bereut. "Wir würden es wieder tun", sind sich beide einig. "Das macht man halt einfach. Das ist unsere Mutti, unsere Familie."
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