Ein schwerer Unfall, der plötzliche Tod eines Familienmitglieds – für Menschen, die so etwas erleben, gibt es die Notfallseelsorge der Kirchen und des DRK in Karlsruhe. Die Zahl der Einsätze steigt.
Von einer Sekunde auf die andere kann sich das Leben völlig ändern, sei es aufgrund eines schweren Unfalls oder eines anderen Schicksalsschlags. Menschen, die so etwas erleben, als Betroffene oder als Zeugen, brauchen unmittelbar nach einem Unglück oft professionelle Hilfe. Die Notfallseelsorge Karlsruhe bietet diese Hilfe seit 20 Jahren an - für Angehörige, aber auch für Einsatzkräfte.
Notfallseelsorge ist Erste Hilfe für die Seele
Simone Fellhauer ist eine von 50 Notfallseelsorgenden bei der Notfallseelsorge Karlsruhe. Sie alle leisten, so sagen sie selbst, Erste Hilfe für die Seele.
SWR-Reporter Henning Mohr hat mit Notfallseelsorgerin Simone Fellhauer über ihre Arbeit gesprochen:
Die Notfallseelsorge Karlsruhe ist hauptsächlich ehrenamtlich organisiert. Die Notfallseelsorgenden arbeiten in den unterschiedlichsten Berufen, es gibt Hausfrauen, Theologen, Lehrer. Simone Fellhauer ist eigentlich Betreuungsfachkraft an einer Schule. Zur Notfallseelsorge kam sie über ihr Engagement bei der Feuerwehr.
Die meisten der 50 Notfallseelsorgenden bekommen für ihre Arbeit lediglich einen Fahrtkostenzuschuss. Die Leiter der Notfallseelsorge sind bei den Kirchen angestellt und haben im Rahmen ihrer eigentlichen Tätigkeit eine 25-Prozentstelle bei der Notfallseelsorge.
Nicht jeder ist geeignet für die Notfallseelsorge
Um als Notfallseelsorgende zu arbeiten, durchläuft man eine dreijährige Ausbildung. Sie besteht aus Hospitanzen – bei Simone Fellhauer auf einer Palliativstation und auf einer Station für Hirn-Traumata – und der Ausbildung zum Notfallseelsorgenden.
Die Notfallseelsorge Karlsruhe hat ein Auswahlverfahren, eine Art Assessment-Center, dem sich Bewerbende vor ihrer Ausbildung stellen. Dabei geht es vor allem darum zu schauen, ob jemand der Aufgabe gewachsen ist. Das ist nicht nur wichtig für die Arbeit als Seelsorgenden, sondern auch, um Bewerbende gegebenenfalls vor einer Fehleinschätzung zu schützen.
Zahl der Einsätze für die Notfallseelsorge in Karlsruhe deutlich gestiegen
Rund 600 Einsätze hatten die Notfallseelsorgenden vergangenes Jahr, eine Steigerung um 50 Prozent in den letzten drei Jahren. Das liegt nicht daran, dass es davor den Bedarf nicht gegeben hätte. In den letzten Jahren ist die Akzeptanz der Notfallseelsorge bei den Einsatz- und Rettungskräften gestiegen.
Darum werden die Notfallseelsorgenden immer häufiger gerufen: zu den Einsätzen, um Angehörige und Betroffene zu betreuen, und zur Nachsorge für Einsatzkräfte. Die Zeiten, in denen der Feuerwehrmann und die Notfallsanitäterin stark sein und alles aushalten müssten, seien Gott sei Dank vorbei, erzählt Simone Fellhauer.
Notfallseelsorge: Anteil nehmen, aber nicht mitleiden
Als Notfallseelsorgende nehme man Anteil, fühle mit und halte den Schmerz der Betroffenen aus, erzählt Simone Fellhauer. Man leide aber nicht mit den Betroffenen.
Sonst könne man seine Arbeit als Notfallseelsorgende nicht machen. Diese Abgrenzung ist wichtig: Mitleid hilft den Betroffenen nicht weiter. Und niemand hat etwas davon, wenn die Notfallseelsorgenden an ihrer Arbeit zerbrechen.
Es braucht Rituale, um Grenzen zu ziehen
Notfallseelsorgende sind in ihrer täglichen Arbeit enormen psychischen Belastungen ausgesetzt. Das geht nur, wenn sie Beruf und Privatleben strikt trennen. Dabei helfen Rituale.
Thomas Christl, Diakon und Polizeiseelsorger, erzählt, dass er gedanklich einen Raum betritt, wenn er zu einem Einsatz fährt. In diesem Raum betreut er dann die Betroffenen. Er baut ein Netzwerk für die Betroffenen auf und organisiert die Nachsorge. Wenn seine Arbeit getan ist, verlässt er diesen Raum wieder. Simone Fellhauer dagegen zieht als erstes ihre Dienstkleidung aus, wenn sie nach Hause kommt, unter anderem die Jacke mit dem Symbol der Lebenshilfe Karlsruhe. Notfallseelsorge geht nur mit Abgrenzung.
Die Betroffenen sind sehr dankbar
Viele Notfallseelsorgenden sprechen von einer großen Dankbarkeit der Betroffenen nach den Einsätzen, sei es von Angehörigen oder von Einsatzkräften. Simone Fellhauer erzählt, einmal hätten Angehörige, die sie betreut hat, den Kontakt zu ihr gesucht - um sich mit Blumen zu bedanken. Weil sie im Moment der Krise da gewesen sei und "mit ausgehalten" habe.
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