Manuel Hagel wollte sich bei seiner Wiederwahl in der Fraktion Rückenwind holen - stattdessen gab es einen Dämpfer. Dennoch gilt er CDU-intern weiter als erster Anwärter auf die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl.
CDU-Fraktionschefs sind in der Geschichte Baden-Württembergs schon oft Ministerpräsident geworden. Das war bei Lothar Späth so, bei Erwin Teufel, bei Günther Oettinger und Stefan Mappus. Doch nach Mappus war die 58 Jahre währende CDU-Dominanz vorbei. Ein Grüner namens Winfried Kretschmann wurde 2011 Regierungschef. Und doch schickt sich nun wieder ein CDU-Fraktionsvorsitzender an, ganz nach oben zu kommen: der 35 Jahre alte Manuel Hagel.
Aber ganz so weit ist es noch nicht, schließlich ist Kretschmann noch eine Weile im Amt. Und eigentlich sollte die Wiederwahl in der Fraktion an diesem Dienstag Rückenwind für weitere Aufgaben bringen. Doch stattdessen gab es einen Dämpfer. Von 41 Abgeordneten stimmten nur 31 für Hagel, wie der SWR aus der Fraktion erfuhr. Acht votierten mit Nein, zwei enthielten sich. Das entspricht einer Zustimmung von 80 Prozent, wobei bei der CDU die Enthaltungen nicht mitgezählt werden. Bei seiner ersten Wahl vor zwei Jahren hatte Hagel noch 95 Prozent bekommen.
Zur Erklärung hieß es aus der Fraktion, womöglich hätten sich einige Abgeordnete darüber geärgert, dass sie nicht politischer Staatssekretär im Innenministerium geworden sind. Diesen Posten soll Fraktionsvize Thomas Blenke übernehmen. Das Ergebnis zeigt, dass auch der junge Hoffnungsträger kämpfen muss, um seine Truppen hinter sich zu bringen. Spannend dürfte es werden, wenn Hagel tatsächlich als CDU-Landeschef kandidieren sollte. Würde er gewählt, wäre er wohl auch als Spitzenkandidat gesetzt.
Generationswechsel bei der Landes-CDU?
Die Entscheidung über den Generationswechsel fällt wohl am 18. November, beim Landesparteitag in Reutlingen. Im Moment heißt der CDU-Landesvorsitzende noch Thomas Strobl (63). Seit zwölf Jahren führt er den bundesweit zweitgrößten Landesverband nun, doch ob sich der Heilbronner noch länger halten kann, daran gibt es erhebliche Zweifel.
Schon vor zwei Jahren - kurz nachdem sich die CDU nach ihrer Wahlschlappe nochmal in eine Koalition mit den Grünen gerettet hatte - erhielt Strobl nur 66,5 Prozent. Nun kratzt die Affäre um sexuelle Nötigung durch den Inspekteur der Polizei an seinem Ruf als Innenminister und am Image der CDU als Partei für Recht und Ordnung.
Gegen den ranghöchsten Polizisten in Baden-Württemberg läuft ein Prozess wegen sexueller Nötigung. Ein Einzelfall? Nein, sagen eine Ex-Polizistin und ein Polizeiforscher.
Machtzentrum bei CDU hat sich verschoben
Seit Beginn der Affäre hat sich das Machtzentrum innerhalb der CDU verschoben: weg von Strobl, hin zu Hagel. Das sehen auch die Grünen so und bekommen es auch zu spüren. Denn der erst 35 Jahre alte Fraktionschef ist machtbewusst und scheut immer weniger den Konflikt mit dem Koalitionspartner. Vor kurzem räumte Hagel per Interview die von den Grünen geplante Solarpflicht für ältere Gebäude ab. Das Landesmobilitätsgesetz von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) schafft es absehbar nicht durch die CDU-Fraktion.
Krisentreffen mit Grünen am Montag Solaranlagen auf Landesgebäuden: CDU verlangt mehr Tempo
Am liebsten hätte Ministerpräsident Kretschmann eine Solarpflicht für alle Wohnhäuser. Doch das Land kommt bei den eigenen Gebäuden kaum voran. Nun macht ausgerechnet die CDU Druck.
Hagel gibt sich in der CDU als Brückenbauer
Hagel lässt keine Gelegenheit aus, seiner lange zerstrittenen CDU einzuimpfen: Nur wenn sich die Partei einig zeigt, habe sie die Chance, die Grünen bei der nächsten Landtagswahl als stärkste Kraft abzulösen. Schon vor einem Jahr machte der Fraktionschef deutlich, dass er es ernst meint: Anlässlich des 70. Geburtstags des Landes Baden-Württemberg lud er die aktuellen und früheren Landtagsabgeordneten zu einem Empfang ein. Es wurde eine illustre Runde in einem Café im Stuttgarter Schlossgarten: Teufel, Oettinger, Strobl, Mappus und Annette Schavan folgten seiner Einladung.
Damit war Hagel ein kleines Kunststück gelungen, denn die ehemaligen Spitzenpolitiker sprechen in dieser Konstellation kaum miteinander, geschweige denn treffen sie sich. Seit Oettinger im Jahre 2005 im Unfrieden die Nachfolge des damaligen Ministerpräsidenten Teufel angetreten hat, geht ein Riss durch die baden-württembergische CDU. Nach dem Verlust der Macht im Jahr 2011 ist die Landespartei bei Wahlen im Sinkflug. Zuletzt erreichte sie im März 2021 nur noch 24,1 Prozent und lag damit weit hinter den Grünen.
Das Ende der Ära Kretschmann ist absehbar
Doch inzwischen ist die Hälfte der Legislaturperiode vorbei und das Ende der Ära Kretschmann absehbar. Der 75-Jährige hat eine vierte Amtszeit ausgeschlossen. Viel wurde zuletzt darüber spekuliert, wer bei den Grünen dessen Erbe antreten könnte. Im Zentrum der Gerüchte: Cem Özdemir, 57, noch Bundeslandwirtschaftsminister.
Doch wer sich das Patt zwischen Grünen und CDU im Land bei den Umfragewerten anschaut und dabei einberechnet, dass beim nächsten Mal der Kretschmann-Bonus fehlen wird, der sollte die CDU nicht unterschätzen. Klar ist: Die CDU will ihr früheres Stammland wiedererobern und bürgerliche Wählerinnen und Wähler von den Grünen zurückholen.
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Wäre nächsten Sonntag bereits Landtagswahl, läge die CDU erstmals seit 2017 wieder vor den Grünen. Welche Probleme in Baden-Württemberg gerade drängen, zeigt die aktuelle Umfrage.
Bei den zwei vergangenen Landtagswahlen mussten die Grünen nur plakatieren: Grün wählen heißt Kretschmann wählen. Vor der nächsten Wahl ist das nicht mehr möglich. Hinzu kommt: Ein halbes Jahr vorher ist Bundestagswahl. Das Ergebnis in Baden-Württemberg wird somit auch vom Bundestrend abhängen. Landet die Ökopartei im Bund nur bei 15 Prozent, dürfte es auch in Baden-Württemberg schwer werden, wieder ganz vorne zu landen.
Hagel gibt sich auch als Anti-Grüner
Hagel und Kretschmann verstehen sich dem Vernehmen nach gut, der Regierungschef schätzt den CDU-Mann als verlässlich. Wenn es darauf ankommt, haken sich Grüne und CDU im Landtag bisher unter. Das war zum Beispiel so, als die FDP die CDU mit einem Antrag in Sachen Gendersprache auf ihre Seite ziehen wollte. Hagel brachte die CDU trotz Gegrummel auf Linie und hielt zu den Grünen. Aber wenn der Fraktionschef im Land unterwegs ist, hört sich das zuweilen ganz anders an.
Eine Kostprobe, als Hagel Mitte Mai bei der CDU-Basis in Remchingen (Enzkreis) war - die "Pforzheimer Zeitung" war dabei: "Man kann frei darüber entscheiden, welches Geschlecht man haben möchte, aber nicht mehr, wie man das eigene Haus heizt." Oder auch: "Gehen Sie eine rote Wurst essen, verkleiden Sie sich als Winnetou! Tun Sie es mit gutem Gewissen. Sie sind deswegen kein schlechter Mensch. Lassen Sie sich das nicht einreden!" Da hört man den CDU-Generalsekretär wieder heraus, der Hagel von 2016 bis 2021 war. Die CDU-Basis freut es jedenfalls.