Das achtjährige Gymnasium in BW wird abgeschafft. Zu stressig, sagen viele. Das G9 kehrt zurück. Und mit ihm wohl auch eine neue Grundschulempfehlung, über die viel diskutiert wird.
Es war ein großes Bibbern. Kurz nach Ende des ersten Halbjahres war früher für Eltern und Kinder eine nervenaufreibende Zeit. Da gab es in der vierten Klasse nämlich die verbindliche Grundschulempfehlung. Die Lehrkräfte in der Grundschule entschieden darüber, ob es für das Gymnasium reicht oder nicht. Nicht wenige der Schulkinder nahmen Nachhilfe. Umso größer war die Enttäuschung, wenn die Lehrerin oder der Lehrer den Daumen senkte. Es flossen nicht selten Tränen.
Seit 2012 entscheiden Eltern in Baden-Württemberg selbst
Dann hatte die grün-rote Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein Einsehen. Seit dem Schuljahr 2012/2013 ist die Empfehlung der Lehrkräfte nicht mehr verbindlich, die Eltern entscheiden selbst. Bis vor wenigen Jahren stand Kretschmann noch hinter dieser Reform. Das Grundgesetz sehe eben vor, dass die Erziehung der Kinder das "natürliche Recht der Eltern" sei, argumentierte er.
Empfehlung soll "verbindlicher" werden
Doch jetzt zeichnet sich das Comeback der verbindlichen Grundschulempfehlung ab. Ob sie dann auch genau so heißt und so aussieht wie damals, darüber wird in der grün-schwarzen Koalition noch gerungen. Denn eigentlich passen schon die Wörter "verbindlich" und "Empfehlung" nicht zusammen. Klar ist nur: Die Grundschulempfehlung soll wieder "verbindlicher" werden, wie es Kretschmann unlängst formulierte.
Neunjährige Gymnasien könnten überrannt werden
Die Rückkehr des von vielen Eltern ungeliebten Instruments ist eine Folge der Rolle rückwärts beim Gymnasium. Nach über 20 Jahren soll auf Druck einer Elterninitiative das neunjährige Gymnasium in Baden-Württemberg wieder Standard werden. Das G8 soll nur noch die Ausnahme sein. Nun fürchtet die Regierung, dass das neunjährige Gymnasium - das weniger stressig sein soll - überrannt wird.
Laut internen Prognosen könnten nach der geplanten G9-Einführung im Schuljahr 2025/2026 etwa 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler aufs Gymnasium streben. Bisher sind es 45 Prozent. Das würde bedeuten, dass die Gymnasien überlaufen und die Realschulen und berufliche Gymnasien austrocknen würden. In der Regierung sind sich die führenden Köpfe bei Grünen und CDU einig, dass hier eine bessere Steuerung nötig ist, um eine solche Entwicklung zu verhindern.
Schule BW: Neun Jahre Gymi - so soll es umgesetzt werden
Dass Baden-Württemberg wieder zurück zum neunjährigen Gymnasium (G9) will, steht schon länger fest. Jetzt gibt's Pläne.
SPD gegen "Grundschulabitur" in BW
Auch bei den Gesprächen der Bildungsallianz von Regierung, SPD und FDP ist die Grundschulempfehlung Thema. Nach Ostern soll es einen weiteren Termin geben - aber ob man sich tatsächlich auf Bildungsreformen einigen kann, die über die nächste Landtagswahl hinaus Bestand haben, gilt als äußerst unsicher. Auch bei der Grundschulempfehlung zeichnet sich eine Kontroverse ab.
Die SPD hält schon aus sozialen Gründen nichts von einer strengeren Empfehlung. "Das Letzte, das wir in dieser Situation insbesondere nach Jahren von Unterrichtsausfall durch Corona brauchen, ist eine Art 'Grundschulabitur'", sagt Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion dem SWR. Die Grundschulstudie IGLU habe schon 2007 gezeigt, "dass Arbeiterkinder oder Kinder mit Migrationshintergrund sich deutlich mehr anstrengen müssen, um die gleiche Grundschulempfehlung wie Kinder aus Akademikerhaushalten zu erhalten. Das hat nichts mit Bildungsgerechtigkeit zu tun." Fulst-Blei ergänzte: "Ich habe von daher ehrlich gesagt noch kein Modell vorgestellt bekommen, das mich überzeugt."
Test soll bei Uneinigkeit Ausschlag geben
In der Regierung wird konkret über eine "Zwei-aus-Drei"-Regelung nachgedacht: Wenn die Empfehlung der Grundschule nicht zum Willen der Eltern passt, soll es einen Test geben. Bei SPD und der Gewerkschaft GEW heißt es, eine solche Regelung sei doch unter dem Strich nichts anderes als die Rückkehr zur früheren verbindlichen Grundschulempfehlung.
Damals konnten die Eltern die an den Noten in Mathematik und Deutsch orientierte Empfehlung nur dadurch infrage stellen, dass sie ihr Kind in ein Beratungsverfahren schickten. Ergab dies auch keine Einigung, mussten die Kinder an einer landeseinheitlichen Aufnahmeprüfung mit einem schriftlichen und einem mündlichen Test teilnehmen.
Zur Erinnerung: Für den Übertritt in die Realschule sollte das Kind in Deutsch und Mathematik im vierten Schuljahr einen Schnitt von mindestens 3,0, für das Gymnasium von wenigstens 2,5 haben.
Umfragen an Realschulen und Gymnasien Lehrkräfte in BW für Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung
Seit 2012 dürfen Eltern in Baden-Württemberg selbst entscheiden, auf welche weiterführende Schule ihre Kinder nach der Grundschule gehen. Viele Lehrkräfte befürworten das nicht.
Immer mehr Eltern entscheiden anders als von der Grundschule empfohlen
Die jetzige Regelung ist selbst aus Sicht des Landeselternbeirats nicht das "Gelbe vom Ei". Denn: Immer mehr Eltern entscheiden sich gegen den Vorschlag der Grundschullehrer beim Übergang ihrer Kinder auf eine weiterführende Schule. Etwa jedes zehnte Kind, das im Schuljahr 2022/2023 auf ein Gymnasium wechselte, hatte keine Empfehlung dafür.
Thorsten Bröckel, Leiter der Alleenschule, einer Grund- und Werkrealschule in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen), bestätigt diesen Trend. Er beobachte, dass etwa jedes zehnte Kind eine andere Schule besuche als empfohlen. Manche Eltern gingen so weit zu sagen: "Ich kenne mein Kind schließlich besser als die Lehrer." Er sei für eine verbindlichere Empfehlung, sagte der Schulleiter im SWR. Ihm schwebt eine erweiterte Klassenarbeit vor, um das Wissen in Grammatik, Grundrechenarten und bei Geometrie zu überprüfen. Dass das mehr Arbeit für die Schule bedeuten würde, nehme er in Kauf. Bei einer strengeren Grundschulempfehlung sieht Bröckel die Gefahr, dass Eltern rechtlich dagegen vorgehen - das erlebe man auch bei Ordnungsmaßnahmen. "Eltern sind sehr schnell mit dem Rechtsanwalt."
Landeselternbeirat macht Reformvorschlag
Sebastian Kölsch, Vorsitzender des Landeselternbeirats, hat schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, den Notenschnitt fürs Gymnasium ähnlich wie in Thüringen und Sachsen auf 2,0 zu setzen und einen zusätzlichen Test an der weiterführenden Schule einzuführen, wenn ein Kind gegen die Empfehlung dort angemeldet wird. Doch wie verbindlich wäre dann der Test? Laut Kölsch soll der Test zwischen Eltern und Lehrkräften besprochen werden. Dem Vernehmen nach kann sich auch Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) eine solche Regelung vorstellen. Doch ob das CDU-Fraktionschef Manuel Hagel reicht, der auf eine "klare Steuerung" pocht? Noch vor Kurzem sagte er: "Wir leiden bis heute unter anderem an der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und den ideologischen Bildungsexperimenten der SPD."
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Widerstand bei Grünen gegen harte Lösung
Bei all diesen "Bildungsexperimenten" waren die Grünen zwischen 2011 und 2016 dabei. In der Grünen-Fraktion gibt es auch Widerstand gegen eine harte Lösung bei der Grundschulempfehlung. Thomas Poreski, bildungspolitischer Sprecher der Fraktion, hat über Jahre die hartnäckige Forderung der FDP nach einer Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung wortreich abgewehrt. Noch im November erklärte er: "Die Champions des PISA-Bildungsvergleichs der OECD halten die Idee einer verbindlichen Grundschulempfehlung für absurd."
Berufsverbände bei Grundschulempfehlung nicht einig
Die Berufsverbände sind sich bei dem Thema ebenfalls nicht grün. Der Philologen- und der Realschullehrerverband pochen beide schon lange auf eine Rückkehr zur Verbindlichkeit. Sie zitieren eine Studie, wonach eine strikte Unterscheidung nach Leistung beim Schulübergang bei allen Schülerinnen und Schülern zu einem höheren Leistungsniveau führe.
Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Monika Stein, hält dagegen nichts von einer Rolle rückwärts. "Alle weiterführenden Schulen stehen vor der Herausforderung, mit der Vielfalt in ihren Klassen umzugehen und die Kinder und Jugendlichen so gut wie möglich zu fördern." Statt stärker zu selektieren, solle das Land den Schulen lieber die Mittel geben, diese Förderung hinzubekommen.
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