Stellen in BW-Unternehmen lange unbesetzt

Im Handwerk oder in der Pflege: So sollen Fachkräfte gezielt Jobs in BW finden

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Johannes Böhler
Johannes Böhler

Bis 2040 könnten in Baden-Württemberg Zehntausende neue Jobs entstehen, aber Fachkräfte fehlen. Die sogenannte Chancenkarte soll dabei helfen, diese aus dem Ausland zu gewinnen.

Zahlreiche Wirtschaftszweige in Baden-Württemberg haben nach Angaben der Arbeitsagentur zunehmend Probleme mit der Besetzung von Stellen. Im April lag die Zahl der Vakanztage - also die Zeit in Tagen, die Unternehmen benötigen, um eine offene Stelle zu besetzen - bei durchschnittlich 146. Ein Jahr zuvor waren es 141 Tage. Das geht aus Zahlen der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart hervor.

Größte Spanne in Metallbau und Holzverarbeitung

Am höchsten war die Spanne zuletzt in der Fertigung. Dazu gehören unter anderem Berufe im Metallbau und in der Holzverarbeitung. Durchschnittlich dauerte es 220 Tage, bis in dem Bereich eine offene Stelle besetzt werden konnte. Es folgten Bau- und Ausbauberufe (198 Tage), Gesundheitsberufe (192 Tage) sowie Stellen in der Lebensmittelbranche und im Gastgewerbe (170 Tage). Einem Sprecher zufolge gehen in die Statistik nur die Werte zu jenen offenen Stellen ein, die der Agentur gemeldet werden. Über diese Daten könne man sich aber dem Fachkräftemangel in einzelnen Berufsgruppen nähern.

330.000 Arbeitsplätze fallen bis 2040 weg, 510.000 neue kommen hinzu

Nach Einschätzung der Arbeitsagentur wird der Fachkräftebedarf in den kommenden Jahren weiter steigen. Bis 2040 werden im Land rund 330.000 Arbeitsplätze wegfallen, aber mehr als 510.000 Stellen, insbesondere für Hochqualifizierte, neu entstehen. Die Zahlen stammen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Baden-Württemberg werde von dieser Entwicklung jedoch nur profitieren, wenn es gelinge, ausreichend gut qualifizierte Fachkräfte für die neuen Stellen zu sichern. Ein Hebel dafür sei die berufliche Aus- und Weiterbildung, ein anderer die Fachkräfteeinwanderung.

Start der "Chancenkarte" am 1. Juni

Dabei helfen soll laut Agentur die bundesweite Einführung der sogenannten Chancenkarte am 1. Juni. Sie ist Teil des im vergangenen Jahr beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und richtet sich an Menschen, die nicht aus der Europäischen Union stammen. Mit ihr können diese auch ohne einen Arbeitsvertrag einreisen und vor Ort nach einer Stelle suchen. Dafür müssen sie jedoch mehrere Voraussetzungen auf Grundlage eines Punktesystems erfüllen. Zu den Kriterien gehören unter anderem eine Ausbildung oder ein Hochschulabschluss sowie Sprachkenntnisse. Außerdem muss der Lebensunterhalt gesichert sein. Die Bewerberinnen und Bewerber erhalten die Karte für maximal ein Jahr.

Die Regionaldirektionschefin der Bundesagentur für Arbeit, Martina Musati, teilte mit: "Wenn Menschen Berufserfahrung und persönliches Potenzial mitbringen, haben sie nun gute Chancen, direkt und ohne großes bürokratisches Verfahren (...) auf Arbeitssuche zu gehen." Man konkurriere international um kluge Köpfe. "Damit sich Menschen aus dem Ausland für Baden-Württemberg entscheiden, brauchen wir eine noch stärker gelebte Willkommens- und Bleibekultur." 

Expertin: Erleichterung für Unternehmen, die im Ausland suchen

Grundsätzlich sei die Einführung der "Chancenkarte" eine gute Idee, sagte die Professorin für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Heidelberg, Melanie Arntz dem SWR. Sie sei ein Signal, dass Deutschland seine Türen für ausländische Fachkräfte weiter öffnen wolle. "Aber ob das auch in der Menge angenommen wird, wie von politischer Seite gewünscht, bezweifle ich", so die Arbeitsmarktexpertin weiter. Denn an den Pull-Faktoren des Standorts Deutschland verändere die Karte nicht viel. Die eigenen beruflichen Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt seien für Fachkräfte von außerhalb schwer zu beurteilen. Ohne konkretes Jobangebot von einem Unternehmen in Deutschland werde deshalb wohl kaum jemand das Risiko eingehen wollen.

Eine Sache leiste die "Chancenkarte" aber: "Sie erleichtert Unternehmen, die gezielt im Ausland nach Fachkräften suchen, diese einzustellen", so die Expertin. Diese Möglichkeit komme insbesondere für den medizinischen Bereich sowie für Pflege und Betreuung, aber auch für die Suche nach Ingenieuren und anderen MINT-Berufen in Betracht, denn dort sei der Bedarf und damit auch der Anreiz am größten. Für Jobs in der Fertigung kämen bereits in Deutschland angekommene Flüchtlinge eher in Frage - denn hier sei die Zugangsschwelle oftmals niedriger.

Arntz: Auch inländische Potenziale nutzen

"Gesteuerte Einwanderung ist zwar ein wichtiger Baustein, um den Fachkräftemangel aufzufangen, aber sie ist nicht der einzige und auch nicht der Hauptbaustein", so Arntz. Damit dies gelinge, müssten auch inländische Potenziale gehoben werden. "Wir haben noch immer zu viele junge Menschen ohne Ausbildung und Schulabschluss", sagt die Arbeitsmarktexpertin. Auch indem mehr Flüchtlinge - zum Beispiel aus der Ukraine - in Arbeit und mehr Frauen in Teilzeit in größere Stundenumfänge gebracht würden, sei noch deutlich mehr zu holen als über die sogenannte Chancenkarte.

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