Die Kommunen fühlen sich vom Land im Stich gelassen. Viele Städte und Gemeinden werden bald in die roten Zahlen rutschen. Sie warnen Kretschmann und Co., wichtige Zukunftsprojekte könnten scheitern.
Angesichts der Finanzmisere drohen die Kommunen in Baden-Württemberg dem Land wegen mangelnder Unterstützung mit Klagen. Wenn das Land sich nicht bewege, werde man nicht davor zurückschrecken, "auch mal zu klagen", sagte Joachim Walter, Präsident des Landkreistags, am Montag in Stuttgart. Es müsse weiter das Prinzip "Wer bestellt, der bezahlt" gelten. Es gehe nicht an, dass das Land Städten, Gemeinden und Kreisen etwa im Schulbereich weitere Aufgaben zuweise und diese nicht komplett finanzieren wolle.
Steffen Jäger, Chef des Gemeindetags, bestätigte, in diesem Fall sei man "zu dieser Ultima Ratio gezwungen" und müsse vor Gericht ziehen. Ohne zusätzliches Geld für die Kommunen sei die Daseinsvorsorge und die Klima- und Verkehrswende in Gefahr. Da es Bund und Land wegen absehbar weniger starken Steuereinnahmen auch an Finanzmitteln fehle, müsse die Politik klären, was künftig Vorrang haben solle und was man stattdessen vernachlässigen könne.
Zwei Drittel der Kommunen drohen rote Zahlen
Mehr als zwei Drittel der Kommunen könnten im kommenden Jahr die Ausgaben nicht mehr mit ihren Einnahmen decken, hieß es von den kommunalen Landesverbänden. Die steigenden Kosten für Personal und Energie sowie immer neue Aufgaben, die nicht ausfinanziert seien, überforderten Städte, Gemeinden und Kreise. Hinzu kämen "riesige" Finanzlücken bei der Flüchtlingsunterbringung und den Krankenhäusern.
Walter sagte, die meisten Landkreise schafften ihre Aufgaben nur noch, indem sie ihre Rücklagen zusammenkratzen würden.
Die Kreise würden in die vollständige Handlungsunfähigkeit getrieben. "Es kann nicht sein, dass wir die Städte und Gemeinden ausplündern bis aufs Gerippe", so Walter.
Städte und Gemeinden wollen vor Ort nicht "wie Deppen" dastehen
BW-Städtetagspräsident Frank Mentrup (SPD) sagte, den Kommunen sei bewusst, dass das Geld auf allen staatlichen Ebenen knapp sei. Aber wenn der Bund Maßnahmen wie den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung beschließe, dürfe er die Kosten nicht auf Städte und Gemeinden abwälzen. Wenn es dann nicht funktioniere, bekämen die Kommunen den Ärger der Bürgerinnen und Bürger zu spüren. "Wir stehen vor Ort wie die Deppen da", sagte der Karlsruher Oberbürgermeister. Das Land verhandle mit dem Bund über die finanzielle Ausstattung der Kommunen. Man sei quasi "Untermieter des Landes". Deswegen müsse das Land auch einspringen, wenn der Bund die Kasse zuhalte. "Das Land begibt sich in eine Art Opferrolle, die es nicht einnehmen kann." Kommende Woche wird die Steuerschätzung für Bund, Länder und Kommunen erwartet.
Die Antwort der Landesregierung lässt nicht lange auf sich warten. Die Kommunen in BW seien im Bundesvergleich gut ausgestattet. Weiter heißt es vom Finanzministerium: "Auch das Land hat wie die Kommunen zusätzliche staatliche Aufgaben zu stemmen, die nicht alle ausreichend finanziert sind. Ein Beispiel dafür sind die Kosten für Geflüchtete. Insofern steht auch das Land vor einer ähnlichen Herausforderung wie die Kommunen." Der Sprecher von Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sagte aber auch: "Allerdings ist es ein berechtigtes Anliegen der Kommunen, dass staatliche Aufgaben und Leistungen kritisch überprüft und priorisiert werden müssen. Wenn die finanziellen Spielräume enger werden, muss es zwangsläufig Schwerpunkte und die Konzentration auf Kernaufgaben geben."
Auch wegen des Deutschlandtickets Schulden der Gemeinden in BW steigen um fast 15 Prozent
Die Verschuldung der öffentlichen Hand hat Ende 2023 zugenommen. Den größten Schuldenanstieg verzeichnen die Gemeinden, vor allem in Baden-Württemberg.
Kommunen warnen vor Erstarken der Rechtspopulisten
Landkreistags-Chef Walter erklärte, Baden-Württemberg habe in den vergangenen zwei Jahren mehr als 250.000 Geflüchtete aufgenommen. Die Kommunen hätten die Versorgung und Unterbringung übernommen und säßen auf Kosten von 1,2 Milliarden Euro. Die Landesregierung erkenne das zwar an, tue aber nichts. In Rheinland-Pfalz habe das Land die Bundeshilfe dagegen mit eigenen Mitteln ergänzt. Walter warnte, dass eine solche Weigerung in Baden-Württemberg "Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten" sei, besonders wenn wegen der Kosten für Flüchtlinge andere kommunale Leistungen gekürzt werden müssten.
Nothilfe für Krankenhäuser in Höhe von 300 Millionen Euro gefordert
Die Kommunalvertreter verwiesen zudem auf die dramatische Finanzlage der Krankenhäuser. Walter sagte, die Kreise müssten ihren Kliniken im laufenden Jahr 790 Millionen Euro an Unterstützung zukommen lassen. Dabei habe man in Baden-Württemberg schon die geringste Bettendichte in ganz Deutschland. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", sagte der CDU-Landrat. Er forderte ein Nothilfeprogramm des Landes in Höhe von 300 Millionen Euro.
Mentrup kritisierte die lahmende Umsetzung der auf Bundesebene geplanten Klinikreform. "Wenn wir weiter so vor uns hindümpeln, werden wir die ersten Insolvenzen sehen", warnte der SPD-Politiker. Er regte "eine Art Gipfel" an, um über die Klinikreform zu sprechen. Aber: "Man verweigert sich ein stückweit der Verantwortung."
Fachministerium für Prioritätensetzung?
Auch auf Landesebene müsse die grün-schwarze Regierung um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) klarer sagen, was für sie Vorrang hat. Mentrup schlug scherzhaft ein "Fachministerium für Prioritätensitzung" vor, weil die Kommunen derzeit aus allen Ressorts höre, es sei kein Geld da. Mittlerweile habe man den Eindruck Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sei der "heimliche Ministerpräsident", denn alle verwiesen bei finanziellen Forderungen immer nur auf ihn.
Kommunen sehen Klima- und Verkehrswende in Gefahr
Mentrup warnte das Land davor, ohne Finanzspritzen für die Kommunen seien zentrale Zukunftsprojekte in Gefahr. Allein in Karlsruhe steige das Defizit für den öffentlichen Personennahverkehr im kommenden Jahr auf über 120 Millionen Euro. Gleichzeitig wolle die Landesregierung aber das Angebot ausgebaut wissen, ohne die Kommunen dafür genügend Geld zur Verfügung zu stellen. „Ich komme zu dem Schluss, dass wir die Mobilitätswende maximal riskieren“, sagte Mentrup. Ähnliches gelte für den Klimaschutz und die geplanten Wärmenetze. "Auch das können wir allein aus unseren kommunalen Mitteln nicht machen."
Gemeindetagschef Jäger mahnte, Bund und Land müssten bei allen geplanten Reformen für Bildung und Betreuung auch die Finanzierbarkeit im Auge behalten. Die Grundrechenarten lassen sich nicht per Gesetzesbeschluss überwinden", sagte Jäger. "Wer Bildung stärken will, der wird um Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht umhinkommen." Der Gemeindetagspräsident appellierte an Bund und Land: "Lieber auf das Wesentliche konzentrieren, weniger versprechen, dafür aber einhalten."
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