Kitas im Land sollen nach einem Beschluss des Kabinetts unter bestimmten Bedingungen von Personalvorgaben abweichen können. Damit dürften sie in Zukunft weniger Erzieher pro Gruppe einsetzen.
Wegen des großen Fachkräftemangels will das Land Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg erlauben, unter bestimmten Bedingungen von Personalvorgaben abzuweichen und den Betreuungsschlüssel zu senken - also die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher pro Gruppe zu senken. Laut einer Regierungssprecherin stimmte das Kabinett am Dienstag der Einführung eines "Erprobungsparagrafen" zu. Der Landtag soll sich noch im Herbst mit dem Gesetzentwurf befassen und abstimmen.
Ziel der neuen Regelung ist es nach früheren Angaben des Kultusministeriums, einen rechtssicheren Rahmen zur Erprobung neuer Ideen und Konzepte zu schaffen. "Mit dieser Neuerung ermöglichen wir Kindertageseinrichtungen, flexibler auf die individuellen Gegebenheiten vor Ort zu reagieren", sagte Volker Schebesta (CDU), Staatssekretär im Kultusministerium, am Dienstag in Stuttgart.
Maßnahme für ausreichend Betreuungszeiten
Mithilfe des neuen Paragrafen sollen Kitaträger vor Ort künftig selbst entscheiden dürfen, ob sie befristet Personalvorgaben lockern. Das geht aber nur, wenn das Konzept mit den Betroffenen vor Ort abgestimmt wurde. Das Landesjugendamt muss den Antrag dann prüfen. Soll das Modell nach der Erprobung weiter fortgesetzt werden, muss zudem die Wirksamkeit nachgewiesen werden. Das Land erhofft sich von der neuen Regelung, dass damit Kita-Plätze erhalten und geschaffen werden können sowie ausreichende Betreuungszeiten angeboten werden können.
Mit Minijobs und Freiwilligen Öffnungsklausel für Kitas soll Personalmangel in BW lindern
Es fehlen an allen Ecken und Kanten Erzieherinnen und Erzieher. Mancherorts wurden schon die Öffnungszeiten der Kitas gekürzt. Nun will das Ministerium weiter gegensteuern.
Staatssekretär: Bedarf an Kitaplätzen weiterhin hoch
Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem vergangenen Oktober fehlen im Jahr 2023 rund 57.600 Kitaplätze. Um diese Plätze zu schaffen, müssten die Kommunen als Kita-Träger zusätzlich 16.800 Fachkräfte einstellen. Die Stiftung schätzt die Kosten dafür auf mehr als 700 Millionen Euro jährlich - weitere Betriebs- und Baukosten noch nicht eingerechnet. "Obwohl wir seit Jahren massiv und sehr erfolgreich Ausbildungskapazitäten und Ausbildungswege für pädagogisches Fachpersonal in den Kindertageseinrichtungen ausgebaut haben, ist der Bedarf anhaltend hoch", sagte Staatssekretär Schebesta.
Personalmangel an Kitas könnte sich verschärfen
Die angespannte Lage unterstreicht auch ein aktueller Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Baden-Württemberg (IAB). Demnach könnte sich der Personalengpass in Kindertagesstätten in Baden-Württemberg noch verschärfen, obwohl die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher gestiegen ist. Nur zwei Drittel der Beschäftigten arbeiteten nach fünf Jahren noch in einem Beruf der Kindererziehung. Gleichzeitig gingen zahlreiche Erzierhinnen und Erzieher in Rente und der Betreuungsbedarf nehme zu.
95 Prozent der Beschäftigten in der Kinderbetreuung sind Frauen. Bei Männern ist der Effekt des Arbeitsplatzwechsels besonders deutlich: Nach fünf Jahren arbeite nur noch jeder dritte in dem Beruf, bei Frauen ist es noch etwas über die Hälfte. Die Bezahlung der Erzieher hat sich nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit verbessert, liegt allerdings mit 3.575 Euro monatlich noch etwa 240 Euro unter dem Durchschnittsgehalt aller Berufe im Land.
Eine verkürzte Ausbildung zum sozialpädagogischen Assistenten soll mehr Menschen im Land in einen Beruf in der Kinderbetreuung locken. Laut Arbeitsagentur haben etwa 600 Menschen den "Direkteinstieg Kita" mit einer erhöhten Ausbildungsvergütung von mehr als 2.000 Euro im September begonnen.
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