Der Berufsschullehrerverband kritisiert die Rückkehr zu G9: Es gebe deshalb weniger Bewerbungen auf Lehrerstellen an Beruflichen Schulen. Auch Schulschwänzer seien ein Problem.
Der Berufsschullehrerverband (BLV) hat am Mittwoch die von der baden-württembergischen Landesregierung beschlossene Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) in Frage gestellt. Negative Auswirkungen zeigten sich bereits vor dem neuen Schuljahr: Jede dritte Lehrerstelle an Beruflichen Schulen könne nicht besetzt werden. Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber sei um ein Drittel gesunken.
Wegen der geplanten Rückkehr zu G9 gingen vor allem Bewerbungen von Lehramtsstudierenden mit Gymnasialabschluss zurück, stellte der Verband fest. Die stellvertretende Vorsitzende Michaela Keinath begründet dies mit der größeren Attraktivität des Gymnasiums. Viele Absolventinnen und Absolventen würden nach dem Referendariat lieber als Krankheitsvertretung arbeiten, bis nächstes Jahr schrittweise G9 eingeführt wird.
Verschwundene Schülerinnen und Schüler erschweren Arbeit der Lehrkräfte
Ein weiteres Problem für Berufliche Schulen ist nach Verbandsangaben, dass Lehrkräfte immer mehr Aufgaben übernehmen müssten, die nichts mit dem Unterricht zu tun hätten. Dazu gehöre, Lernende, die nicht im Unterricht auftauchten, aufzuspüren. "Es darf nicht die Aufgabe von Pädagoginnen und Pädagogen sein, verschwundene Schülerinnen und Schüler zu lokalisieren", so Keinath.
An beruflichen Gymnasien gehe es um etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler, in anderen Bereichen des beruflichen Schulsystems auch um bis zu 20 Prozent. Konkrete Zahlen nannte der BLV nicht. Die Lernenden tauchten landesweit ab, obwohl sie nach Abschluss oder Abbruch einer allgemeinbildenden Schule berufsschulpflichtig seien. Diese Entwicklung habe in den vergangenen ein bis zwei Jahren deutlich zugenommen.
Vermehrtes Fehlen im Unterricht: Folge der Corona-Pandemie?
Als Grund für das Fehlen der Schülerinnen und Schüler nannte die stellvertretende BLV-Chefin unter anderem die Folgen der Corona-Pandemie. Wegen psychischer Belastungen blieben zahlreiche Lernende dem Unterricht fern. "Viele können mit ihren Problemlagen nicht mehr umgehen. Es ist dann einfacher, tatsächlich zu Hause im Bett zu bleiben." Auch aus Unterrichtsgruppen für Geflüchtete tauchten immer wieder Schülerinnen und Schüler ab.
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Gewerkschaft fordert kreative Lösungen für Lehrkräftemangel an Berufsschulen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt den BLV zum Thema Lehrkräftegewinnung für berufliche Schulen und forderte am Mittwoch vom Kultusministerium mehr Engagement und Fantasie bei der Gewinnung von Lehrkräften: "Warum zum Beispiel nicht ein Programm mit Stipendien für Lehramtsstudierende starten, die sich verpflichten, anschließend in ländlichen Regionen zu unterrichten?", sagte Monika Stein, GEW-Landesvorsitzende in Stuttgart.
Michaela Keinath vom BLV bekräftigte, dass zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels dringend ein modernes Jobprofil notwendig sei. "Lehrkräfte und Schulleitungen brauchen mehr Entlastung. Nicht ohne Grund arbeiten zahlreiche Lehrkräfte heutzutage von Anfang an in Teilzeit, weil die Arbeitsbelastung an den Schulen in Vollzeit in den letzten Jahren zu groß geworden ist."
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