Einsatz gegen Gewalt an Frauen

Femizide: Was Menschen in BW dagegen tun

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Autor/in
Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild

Fast jeden Tag versucht in Deutschland ein Ehe- oder (Ex-)Partner, eine Frau zu töten. Aktivistinnen sehen ein strukturelles Problem. Härtere Strafen aber seien nicht die Lösung.

Jedes Jahr sterben 20 bis 30 Menschen in Baden-Württemberg durch Gewalt im Zusammenhang mit Partnerschaft und Trennung. 21 waren es 2021 - 18 von ihnen waren Frauen. Das geht aus Zahlen des Landeskriminalamts hervor, die dem SWR vorliegen. Häufig ist der Täter der Ehemann, Lebensgefährte oder Ex-Partner.

Als im Sommer 2022 in Stuttgart-Bad Cannstatt in einem Parkhaus eine tote Frau in einem Fahrzeug entdeckt wird, geht Kinga von Giökössy-Rudersdorf dorthin. Mit anderen Frauen legt sie Blumen ab, bekundet ihre Trauer, markiert den Ort, um auf das Verbrechen hinzuweisen. Die 32-jährige Getötete soll von ihrem Ex-Mann ermordet worden sein, er stellte sich später der Polizei. Für von Giökössy-Rudersdorf ist klar: ein Femizid.

"Die Leute sollen nachdenken, warum so etwas passiert", sagt von Giökössy-Rudersdorf. Seit über 40 Jahren ist sie Feministin, hat viel gekämpft und einiges erreicht. Heute seien die Verbrechen zwar stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt, die Gewalt gegen Frauen selbst aber, die sei nicht weniger geworden.

Frauenhaus mitgegründet: Feministin trägt BW-Verdienstorden

Was Partnerschaftsgewalt bedeutet, hat Kinga von Giökössy-Rudersdorf schon als Kind erfahren. Damals noch im kommunistischen Ungarn, sah die Pfarrerstochter die Frauen, die ihr Vater im Gemeindehaus unterbrachte, wenn sie zuhause geschlagen wurden. Heute trägt "Frau Kinga", wie viele Deutsche sie wegen ihres schwierigen Nachnamens rufen, den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg für ihr vielfältiges soziales Engagement. Die Evangelische Landeskirche Württemberg hat sie für ihren Einsatz für die Rechte von Frauen ausgezeichnet.

Die Feministin und Aktivistin Kinga von Gyökösy-Rudersdorf, Gründerin des ersten autonomen Frauenhauses in Stuttgart.
Der internationale Frauentag sei wichtig, sagt Kinga von Gyökösy-Rudersdorf, damit zumindest einmal im Jahr auch die Frauen in Baden-Württemberg gehört werden - "nicht nur Industrie und Autobauer".

Die heute 80-Jährige hat 1977 zusammen mit anderen Frauen in Stuttgart eine "Frauenhaus-Gruppe" und den Verein Frauen helfen Frauen e.V. Stuttgart gegründet. Ehrenamtlich brachten sie bedrohte Frauen zunächst privat bei sich unter, 1983 haben sie dann das autonome Frauenhaus in Stuttgart eröffnet.

Opferschutz: Wie hilft die Polizei in BW?

Heute arbeiten Stadt, Landratsamt, Polizei und Frauenhäuser eng zusammen, um von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen zu helfen. Das ist auch das Verdienst von Frauen wie Kinga von Gyökösi-Rudersdorf und ihren Mitstreiterinnen.

Susanna Jenöfi ist Beamtin der Kriminalpolizei Stuttgart und arbeitet im Bereich "Operativer Opferschutz". Opferschutz böten Streifenpolizistinnen und -polizisten bereits an, wenn sie etwa zu einem Fall von "häuslicher Gewalt" gerufen werden, erklärt sie. Jenöfi und der "Operative Opferschutz" kümmern sich dann um die härtesten Fälle - "wenn wir Grund zur Annahme haben, dass es bei einem erneuten Aufeinandertreffen beider Parteien zu einem Tötungsdelikt kommt". Ein großer Teil dieser Fälle liege im Bereich "häusliche Gewalt". Um die Frauen vor ihren (Ex-)Partnern zu schützen, seien "sehr tiefgreifende Maßnahmen" nötig, die mit "vielen Entbehrungen verbunden" seien, erklärt die Kriminalbeamtin. Welche genau, will sie nicht sagen, um den Schutz nicht zu torpedieren. Ganz wichtig aber sei die enge Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart, den Frauenhäusern und weiteren Beratungsstellen.

Trotzdem können Jenöfi und ihre Abteilung nicht alle bedrohten Frauen retten: "Eines der größten Probleme beim Opferschutz ist, dass die betreffenden Personen sehr häufig die Schutzmaßnahmen nicht mitmachen möchten. Dann sind uns die Hände gebunden."

Femizide: Braucht es härtere Strafen?

Im Sommer 2022 forderte das Landgericht Stuttgart nach mehreren Prozessen gegen Männer, die ihre Partnerinnen ermordet hatten, Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Bleibt die Frage: Wie könnte das gelingen? Braucht es härtere Strafen oder gleich den Femizid als einen neuen Straftatbestand? Die Bundesregierung plant noch im ersten Halbjahr 2023 den Paragraphen 46 des Strafgesetzbuches zu ändern. Dann soll sich eine "geschlechtsspezifische Motivlage" vor Gericht strafverschärfend auswirken können.

Frage an Lena Gumnior, promovierte Strafrechtlerin und Mitglied der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes (DJB): Bringt das etwas? "Das führt nicht unweigerlich dazu, dass in allen Fällen von Partnerschaftsgewalt die höhere Strafe verhängt wird", sagt Gumnior. "Aber wir erhoffen uns dadurch zumindest eine Sensibilisierung dafür, dass auch das Geschlecht des Opfers manchmal entscheidend sein kann für die Frage, ob und wie eine Tat begangen wird - und wie sie am Ende bestraft werden sollte."

Strukturelle Ungleichheit begünstigt Gewalt

Strafrechtlerin Lena Gumnior nennt das Patriarchat - die von Männern dominierte Gesellschaft - als eine Ursache für die Gewalt, die so viele Frauen in Beziehungen erleben: "Frauen werden auch in Deutschland in Partnerschaften unterdrückt, gezwungen zu bleiben, die Beziehung nicht zu beenden." Das sehen auch Alessia Kaufmann und Sophia Schulz so. Sie sind feministische Aktivistinnen beim Frauenkollektiv Stuttgart. "Wir haben immer noch die gleichen Strukturen und Geschlechterrollen, die Sexismus produzieren und so begünstigen, dass Frauen Gewalt erfahren", kritisiert Schulz. Komme es zur Trennung, sei für Frauen auch 2023 noch die Gefahr groß, Opfer von Gewalt zu werden.

Die feministischen Aktivistinnen Alessia Kaufmann und Sophia Schulz vom 2016 gegründeten Frauenkollektiv Stuttgart.
Gewalt gegen Frauen sei für sie ein wichtiges Thema, weil eigentlich jede Frau sie einmal erlebe, sagen die feministischen Aktivistinnen Alessia Kaufmann und Sophia Schulz vom 2016 gegründeten Frauenkollektiv Stuttgart.

Die strukturelle Ungleichheit setze sich manchmal bis ins Gericht fort, kritisiert Strafrechtlerin Gumnior. Wird ein Femizid angezeigt, gebe es durchaus Fälle, in denen die Tötung einer Frau im Zusammenhang mit einer Partnerschaft nicht als Mord, sondern als Totschlag angesehen werde. Dann argumentierten Gerichte, die Tat sei grundsätzlich nachvollziehbar, weil der Mann seine Frau nicht verlieren wollte, und könnten so das Strafmaß deutlich niedriger ansetzen, so Gumnior. "Da kommt das Verständnis zum Ausdruck, der Partner habe die Frau einmal besessen. Das sehen wir beim Deutschen Juristinnenbund sehr kritisch."

Geschlechtsspezifische Motivation ins Strafrecht aufzunehmen, sei ein wichtiger Schritt, um solch einer Ungleichbehandlung entgegenzuwirken. Da sind sich die Juristin und Aktivistinnen einig. Gerichte, Behörden und Gesellschaft könnten sensibilisiert werden, zu viel Hoffnung dürfe man in die Reform aber nicht stecken, meint Lena Gumnior. Eine abschreckende Wirkung erwartet sie nicht: "Nach allem, was wir wissen, machen potenzielle Täter vor solchen Straftaten keine Abwägung der Folgen." Das gelte insbesondere für Tötungsdelikte.

BW-Aktivistinnen: Ohne Frauen-Kampf ändert sich nichts

Nach über 40 Jahren Arbeit im Bereich "häusliche Gewalt", mit Opfern und Tätern ist für Kinga von Gyökössy-Rudersdorf die geplante Strafrechtsanpassung "das Minimum, das man erwarten kann". Sie mache Gewalt gegen Frauen noch sichtbarer und das sei gut. Härtere Strafen dagegen seien nicht entscheidend: "Was bringt das? Die Frau ist tot und wird nicht wieder lebendig, egal wie hoch die Strafe ist." Viel wichtiger seien Sichtbarkeit, Prävention, Opferschutz und Täterarbeit.

Mehr Frauenhäuser, Hilfsangebote und Prävention sind auch für Alessia Kaufmann vom Frauenkollektiv Stuttgart ein Teil der Lösung. Aber: "Im Prinzip löst das nicht das Problem. Wir müssen irgendwie an die Wurzel ran und den Leuten das patriarchale Denken abgewöhnen." Doch das sei ein schwieriger und langer Prozess.

"Wir wollen uns als Frauen solidarisieren und gegenseitig empowern und so auch die Zivilgesellschaft stärken", sagt Aktivistin Sophia Schulz. "Wenn man einen sexistischen Übergriff beobachtet, ist das keine Privatsache." Deshalb legen auch Kaufmann, Schulz und die anderen Frauen ihres Kollektivs rote Nelken und Frauenschuhe an Orten ab, wo Femizide geschehen und weisen mit Schildern und Plakaten darauf hin.

Mit roten Schuhen erinnern Aktivistinnen überall auf der Welt zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen an Femizide.
Mit roten Schuhen erinnern Aktivistinnen überall auf der Welt zum Internationalen Tag gegen Gewalt am 25. November an Frauen an Femizide.

Opferschützerin Susanna Jenöfi von der Kriminalpolizei Stuttgart ist überzeugt: Je mehr über Femizide und Gewalt an Frauen gesprochen werde, desto hilfreicher sei das für ihre Arbeit. "Vielleicht findet das Thema so Eingang in die Gesetzgebung, es wird mehr geforscht oder Gelder werden für den Bereich Betreuung und Prävention freigemacht."

"Seit mehr als einem Jahrhundert erkämpfen Frauen Verbesserungen", sagt die Aktivistin Sophia Schulz, "beim Wahlrecht oder Schwangerschaftsabbrüchen sind Frauen zusammengestanden in dem Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann." Das mache auch ihr Mut. Sie will kämpfen - so wie Kinga von Gyökössy-Rudersdorf. Fertig werde sie mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit nie, sagt die 80-Jährige. Aber fünf gute Jahre habe sie sicher noch. Solange wird sie weitermachen.

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