Teureres Parken für attraktivere Innenstädte? Die BW-Geschäftsführerin des Handelsverbands und eine grüne Landtagsabgeordnete diskutieren über ÖPNV, Ortskerne und Parkgebühren.
Was ist eine attraktive Innenstadt? Eine Stadt, in der man günstig parkt oder eine Stadt mit wenig Autoverkehr? Oder geht am Ende sogar beides?
Hier diskutieren darüber die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverband Baden-Württemberg (HBW), Sabine Hagmann, und die grüne Landtagsabgeordnete Silke Gericke aus Ludwigsburg, die sich mit den Themen Stadtentwicklung und Mobilität beschäftigt.
SWR Aktuell: Was ist eine attraktive Innenstadt - eine Stadt, in der ich günstig parken kann oder eine Stadt mit weniger Autoverkehr?
Sabine Hagmann (HBW): Ein Teil unserer Mitglieder befindet sich in den Innenstädten mit ihren Ladengeschäften. Als Einzelhändler überleben sie nur, wenn sie eine gewisse Frequenz haben, nur dann können sie ihre Mitarbeiter bezahlen. Deshalb ist uns als Handelsverband eine attraktive Innenstadt sehr wichtig. Um attraktiv zu bleiben, muss die Innenstadt erreichbar sein. Erreichbarkeit der Innenstadt heißt für uns aber nicht zwingend durch Individualverkehr. Wir sind ja kein Autoverband. Aber die Menschen, unsere Kunden, möchten es so bequem wie möglich haben. Und da kommt es eben darauf an, dass der ÖPNV eine echte Alternative darstellt und die Taktung stimmt. Wenn das ÖPNV-Angebot nicht passt, greifen die Menschen eben wieder aufs Auto zurück. Deshalb halten wir den Vorschlag der Deutschen Umwelthilfe für undifferenziert. Macht man die Parkplätze einfach teurer, schneidet man die Kundschaft von den Innenstädten ab. Und das bedeutet ja nicht nur vom Konsum, sondern auch vom Sozialleben.
Silke Gericke (Grüne): Es ist ja nicht so, dass das Thema erst durch die Umwelthilfe aufgekommen ist. Am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird am Beispiel Freiburg darüber entschieden, inwiefern Kommunen ihren Parkraum bepreisen können. Natürlich haben wir als Grüne eine dezidierte Haltung dazu: Wir wollen den Einzelhandel auf alle Fälle stärken. Unter anderem haben wir dafür auch im Doppelhaushalt des letzten Jahres im November ein Projekt aufgesetzt: The Städt. Es soll Innenstädte attraktiver machen, indem sich zum Beispiel Fußgänger:innen ihre Einkäufe nach Hause liefern lassen können. Nächstes Jahr wird dieses Projekt spruchreif sein. Außerdem sind wir gerade dabei, auch in kleinen und mittelgroßen Kommunen den ÖPNV zu stärken und das Radfahren attraktiver zu machen.
Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und ÖPNV-Nutzer:innen werden nämlich unterschätzt, wenn es um den Einzelhandel geht. Es ist nicht so, dass es den Einzelhandel quasi zum Sterben bringt, wenn höhere Parkgebühren erhoben werden. Im Gegenteil, es werden mehr öffentliche Plätze zur Verfügung gestellt, die Gastronomie kann aufblühen. Gerade während Corona haben wir gelernt, dass der öffentliche Raum zum Aufenthalt total wichtig ist. Da geht es um einen Bedarf der Bürger:innen - und die Kommunen haben die Möglichkeit, diesen öffentlichen Raum zu verwalten. Im Übrigen verwalten sie ihn im Bereich der Gastronomie längst. Die Gastronomie muss auch dafür bezahlen, den öffentlichen Raum zu nutzen. Und auch die Gebühren für Außenbewirtschaftung unterscheiden sich von Stadt zu Stadt. Im Durchschnitt wurden in großen Städten im Land vor Corona für 25 Quadratmeter 670 Euro erhoben. Da ist es doch völlig legitim, dass Städte auch über Parkraum-Management nachdenken, gerade wenn sie Parkhäuser haben, die nicht ausgelastet sind. Da geht es um eine Umverteilung der Flächen. Es geht darum, den Rad- und Fußverkehr attraktiver zu machen. Natürlich haben ältere Menschen und Menschen mit Gehbehinderung weiter die Möglichkeit die Innenstädte barrierefrei zu erreichen. Aber der Parksuchverkehr soll vermieden werden. So bekommen wir eine Attraktivierung der Innenstädte hin.
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Hagmann: Bezahlbare Parkgebühren sind nicht nur für den Einzelhandel wichtig. Genauso wichtig sind sie für Gastronomen, für Ärzte, für Dienstleister und auch für die Kultur. Das ist alles wichtig für eine Innenstadt und muss erreichbar sein. Jetzt sind wir aber auch kein Auto- oder Parkhauslobbyverband. Wir wissen auch, dass die Kommunen ihre finanziellen Spielräume brauchen. Da sind Parkgebühren auch eine Möglichkeit. Aber: Hier prallen einfach Interessen aufeinander und die müssen ausgeglichen werden. Wir haben ja überhaupt kein Problem damit, wenn der ÖPNV und das Radnetz ausgebaut werden. Aber man muss doch schauen: Was möchte der Bürger? Und da kommen verschiedene Studien zu dem Schluss, dass 42 Prozent der Menschen mit dem Auto in die Innenstadt kommen. Natürlich ist das je nach Angebot unterschiedlich. In großen Städten sind die Alternativen natürlich besser ausgebaut. Im ländlichen Raum ist das Angebot teilweise immer noch sehr spärlich.
Also: Wir verstehen, dass die Kommunen mehr Geld brauchen, wir müssen wegen des Klimawandels die Wende schaffen, das wollen wir ja auch. Wir müssen uns bewegen und dagegen sperren wir uns auch nicht, aber wir sagen einfach: Man kann nicht das das Pferd von hinten aufzäumen, man muss im Grunde erst das eine tun und dann das andere machen. Man kann die Parkgebühren erst dann deutlich erhöhen, wenn ÖPNV, Radnetz und Fußwege erheblich ausgebaut worden sind.
SWR Aktuell: Frau Gericke, also zuerst die Alternativen ausbauen und dann schauen, wie man den Autoverkehr in den Städten reduziert?
Gericke: Das ist eine Henne-Ei-Frage: Ich sage, das sind Prozesse, die parallel laufen müssen. Es kann nicht sein, dass der motorisierte Individualverkehr einfach so weiterrollt. Denn sonst fehlen uns die Flächen, die wir vielleicht für Busspuren brauchen, oder für attraktive Rad- und Fußwege, die nicht ständig vom Autoverkehr gekreuzt werden.
SWR Aktuell: Letztlich gibt es aber eine Konkurrenz um begrenzte Flächen, oder nicht?
Gericke: Ja, es ist eine Flächenfrage. Wir müssen Flächen neu verteilen, sie umverteilen. Diese hitzige Diskussion haben wir schon in den 80er-Jahren um die Fußgängerzonen geführt - und wie sehr profitieren wir jetzt von ihnen. Ich habe das Glück in Ludwigsburg zu wohnen, einer Kommune, die ihren Marktplatz autofrei gestaltet hat. Im letzten Jahrhundert gab es darum eine riesige Diskussion. Inzwischen mag sich keiner mehr vorstellen, dass dort mal Autos geparkt haben. Auch wenn wieder Wasser durch die Innenstädte gelegt wird, die Stadtkerne wieder grüner werden und die Aufenthaltsqualität steigt, profitieren davon Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie. Also: Ich glaube, wir müssen den Mut haben, diese Prozesse parallel voranzutreiben.
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SWR Aktuell: Es gibt Untersuchungen in verschiedenen Städten, die zeigen, dass Fahrradfahrer und Fußgänger zwar weniger pro Einkauf, dafür aber insgesamt mehr im Einzelhandel ausgeben als Autofahrer. In New York sorgte der Ausbau von Radwegen mancherorts für deutlich mehr Umsatz.
Hagmann: Wir stemmen uns sicher nicht gegen Veränderungen. Aber wir müssen einfach manche Wirtschaftsbranchen wie die Dienstleister betrachten. Die müssen dann einfach zumachen. Höhere Parkgebühren werden der Attraktivität der Innenstädte unheimlich schaden. Es läuft bereits ein schleichender Prozess, der dadurch noch einmal unterstützt werden würde. Natürlich ist einer der Gründe dafür auch der Onlinehandel. Wenn Geschäfte schließen, fallen Gewerbeeinnahmen für die Städte weg und die Attraktivität der Ortskerne leidet. Einzelhändler sorgen ja auch für Sicherheit, für Sauberkeit, für Beleuchtung vor ihrer Tür. Das muss dann auch alles durch jemand anderes geleistet werden. Wir wollen nicht zurück in die alten Zeiten, als die Marktplätze noch befahren wurden. Aber es muss klar sein, dass der Ausbau von Alternativen zum Auto zeitgleich mit anderen Maßnahmen passieren muss. Es darf nicht sein, dass das Parken verteuert wird, die Alternativen aber erst viel später kommen. Nur wie sollen die Fahrgastzahlen im ÖPNV verdoppelt werden, wenn es die Schienen nicht gibt, die Busse und Zugwaggons nicht ausreichen? Das alles auszubauen, dauert Jahre. Das sagt im Übrigen auch der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
SWR Aktuell: Sehen Sie das auch so, Frau Gericke?
Gericke: Ganz klar: Nein. Natürlich können wir nicht von 0 auf 100 einen ÖPNV attraktiv machen, der vielerorts vorher nicht da war. Aber wir brauchen diese parallelen Prozesse, auch wenn es eben so ist, dass auf der einen Seite gedrückt und auf der anderen gezogen wird. Wie bekomme ich es hin, dass die Nutzer:innen umdenken? Ich glaube, die Lösung ist, dass wir auch in Richtung Shared Spaces in den Orten denken.
SWR Aktuell: ...eine Maßnahme zur Verkehrsberuhigung, die in den Niederlanden entwickelt wurde...
Gericke: ...natürlich wollen wir nicht die Autos aus der Stadt vertreiben und verteufeln. Wer darauf angewiesen ist, mit dem Fahrzeug zu kommen, der muss einen attraktiven Stellplatz vorfinden, diesen aber auch dementsprechend bezahlen. Und wir wollen auch im ländlichen Raum die Möglichkeit bieten, dass Orte wieder mehr Ortskern bieten können. Dafür müssen wir die Aufenthaltsqualität steigern - damit ich nicht nur schnell durch die Stadt fahre und meine Stationen abhake, sondern auch für das Erlebnis in die Innenstadt gehe, vielleicht den Kindern nach dem Arzttermin noch ein Eis kaufe. Viele Städte tüfteln mit dem Einzelhandelsverband gerade schon an Konzepten. Da geht es zum Beispiel auch darum, Schließfächer bereitzustellen, damit auch Menschen ohne Auto ihre Einkäufe zwischendurch sicher deponieren können.
SWR Aktuell: Nochmal zurück zu unserer Einstiegsfrage: Wie sollen die verschiedenen Interessen in unseren Innenstädten so ausgeglichen werden, dass sich keine Fronten zwischen Autofahrern, Fußgängern, Radfahrern, Händlern und so weiter bilden?
Gericke: Die Gemeinderäte und städtischen Gremien vor Ort haben das in der Hand. Und die Verwaltungen bringen gute Vorschläge. Es geht nicht darum, dass der Pkw völlig verdrängt wird. Wir sprechen aber schon von einer deutlichen Umverteilung, wenn wir mehr öffentlichen Raum schaffen wollen, in den Menschen auch gerne kommen.
Hagmann: Nochmal: Das Auto an sich ist uns nicht wichtig und wir stellen uns nicht gegen Veränderungen. Uns geht es darum, dass die Menschen weiter gerne zu uns kommen. Bei allen Maßnahmen müssen wir schauen, welche Konsequenzen sie tatsächlich haben. Wie sind die Frequenzen, wie wird eingekauft und erwirtschaften wir damit genug Gewinn, um überleben zu können? Ich glaube, wir müssen einfach das Tempo anpassen. Wenn wir den Druck einseitig erhöhen, kann es irgendwann sein, dass die Innenstädte unattraktiv und verwaist sind. Dann will dort auch niemand mehr chillen und einen Kaffee trinken.
SWR Aktuell: Frau Gericke, Sie schütteln mit dem Kopf. Warum?
Gericke: Einerseits glaube ich, dass die Menschen, die in den kommunalen Gremien aktiv sind, eine gute Mischung der Stadtgesellschaft darstellen und sehr wohl auch ihren Einzelhandel vor Ort kennen und dessen Sichtweisen miteinbringen - im Übrigen auch von grüner Seite. Es ist ja nicht so, dass wir jetzt ein grünes Band über alle Ortsmitten breiten und das ganz blauäugig nicht mitdenken würden. Im Gegenteil: Wir suchen nach Konzepten. Das Problem ist eher - Frau Hagmann hat es ja angesprochen -, dass wir einen Strukturwandel beim Einkaufsverhalten erleben. Die Menschen sind mit dem schnellen Klick online unterwegs. Damit können wir gar nicht in Konkurrenz treten, also müssen wir uns überlegen, wie wir die Menschen trotzdem wieder in die Innenstädte bekommen. Und da liegt der Schlüssel aus meiner Sicht in einer Stadt der kurzen Wege - auch in ländlichen Gebieten. Nur wenn wir die Aufenthaltsqualität steigern und Erlebnisse vor Ort schaffen, können wir die Konkurrenz zum Internet ein Stück weit aufbrechen. Das schaffe ich aber nicht, wenn sich Autoschlangen durch die Innenstadt ziehen.
SWR Aktuell: Kann das klappen oder schadet dieser Wandel am Ende doch immer dem Handel, Frau Hagmann?
Hagmann: Ich bleibe dabei, je nach Vorgehensweise ist es eine Operation am offenen Herzen. Der Beweis, dass all das funktioniert, steht aus. Aus unserer Erfahrung wird es gerade in der jetzigen Zeit Schäden verursachen, wenn wir da nicht sehr sensibel vorgehen. In den kommunalen Gremien ist die Besetzung sehr unterschiedlich und entsprechend unterscheidet sich auch, wer sich politisch durchsetzt. Ich bin nach wie vor von meiner Position überzeugt: Der Interessenausgleich muss gefunden werden.
SWR Aktuell: Vielen Dank für das Gespräch!
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