Nach der Pleite bei der Landtagswahl 2021 musste die CDU so manche Kröte schlucken. Nun wollen Kommunen und Wirtschaft zentrale grüne Projekte aufhalten - durch die Hintertür.
Die Kommunal- und Wirtschaftsverbände wollen mit Hilfe der Allianz für Bürokratie-Abbau zentrale grüne Projekte aus dem Koalitionsvertrag stoppen. In einer Liste für die sogenannte Entlastungsallianz, die dem SWR vorliegt, zählen Kommunen und Wirtschaft eine ganze Reihe von Vorhaben unter anderem in der Verkehrs- und Sozialpolitik auf, die nicht realisiert werden dürften.
So müsse auf die von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) für 2027 geplante Lkw-Maut auf Land- und Kommunalstraßen sowie das Mobilitätsgesetz verzichtet werden. In dem Gesetz soll zum Beispiel die Grundlage für eine Nahverkehrsabgabe in Kommunen geschaffen werden.
In der Verkehrspolitik sind Kommunen und Wirtschaft auf einer Linie mit der CDU. Der Koalitionspartner der Grünen macht seit geraumer Zeit Front gegen die Lkw-Maut und auch Hermanns Entwurf für das Mobilitätsgesetz hängt seit mehreren Monaten in der Abstimmung mit den CDU-Ressorts fest.
Transparenz- und Gleichbehandlungsgesetz stoppen
Darüber hinaus halten die Verbände ein Transparenzgesetz für überflüssig. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass dadurch Bürger leichter an Informationen der Verwaltung kommen sollen. Auch das geplante Gleichbehandlungsgesetz fällt bei Kommunen und Wirtschaft durch. Hier soll ein Anspruch auf Schadenersatz im Fall einer Diskriminierung durch eine Behörde eingeführt werden. Auch hier rührt sich Widerstand in der CDU. Der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) und der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Winfried Mack, haben das Gesetz zuletzt offen infrage gestellt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betont immer wieder, überbordende Bürokratie sei eines der größten Probleme der Zeit, etwa bei der Genehmigung von Windrädern. Nach langem Drängen von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag sowie der Wirtschafts- und Industrieverbände hatte der Grünen-Politiker eine Allianz ins Leben gerufen, die bürokratische Hürden aus dem Weg räumen soll.
Am Dienstag wies er die weitgehenden Forderungen aus Kommunen und Wirtschaft zurück. "Eine Entlastungsallianz ist kein Ersatzparlament", sagte der Grünen-Politiker. Das kritisierte Gleichbehandlungsgesetz stehe so im Koalitionsvertrag und ein Entwurf sei vom Kabinett auch schon gebilligt. "Bürokratieabbau kann ja nicht heißen, dass der Gesetzgeber nicht mehr gesetzgeberisch handeln kann."
Über Bande: Machen Verbände das Geschäft der CDU?
Bei den Grünen gab es dem Vernehmen nach von Anfang die Befürchtung, dass die CDU-dominierten Gemeinde- und Landkreistage sowie die Unternehmensverbände das Bündnis nutzen könnten, um unliebsame Projekte loszuwerden. Bei den angezweifelten Vorhaben handelt es sich ohne Ausnahme um Projekte, denen die CDU nach ihrer Wahlniederlage 2021 nur zähneknirschend zugestimmt hatte.
Ein Sprecher von Ministerpräsident Kretschmann sagte dem SWR auf Anfrage: "Wir sind grundsätzlich offen über alle Themen zu sprechen, da wir ein starkes Interesse daran haben, Bürokratie abzubauen." Aber: Die Allianz sei ein "Arbeitsformat" und schaue sich in erster Linie die konkreten Umsetzungen, Standards und Verfahren an. "Sie erarbeitet Vorschläge und Initiativen, die entweder sofort umgesetzt werden oder in den sonst üblichen politischen Verfahren geklärt werden müssen." Darüber habe man sich vorab verständigt: "Entsprechend werden Forderungen, die dem Koalitionsvertrag widersprechen, zurückgestellt."
Aus dem Kreis von Kommunen und Wirtschaft kommt zudem die Forderung, das unter Grün-Rot eingeführte Tariftreue- und Mindestlohngesetz wieder abzuschaffen. Mit dem Gesetz soll sichergestellt werden, dass öffentliche Aufträge nur an Firmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten Mindestlohn zahlen. Die Verbände argumentieren, Dumpinglöhne und Wettbewerbsverzerrung würden schon durch die Regelungen des Bundes verhindert.
Verbandsklagerecht abschaffen
Kommunen und Wirtschaft wenden sich auch gegen das Verbandsklagerecht, mit dem zum Beispiel Umwelt- und Tierschutzverbände Projekte aufhalten oder verzögern können. Auch die unter Grünen und SPD eingeführte Bildungszeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müsse überdacht werden.
Wie CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sind die Verbände zudem dafür, dass Personalvertretungsgesetz zu reformieren. In dem Gesetz für Beamtinnen und Beamte ist zum Beispiel geregelt, dass ein Personalrat ab einer bestimmten Größe der Dienststelle für seine Aufgabe freigestellt werden muss. Kommunen und Wirtschaft fordern, diese Freistellungspflichten zu reduzieren.
Direkte Demokratie einbremsen
Außerdem sollen die Möglichkeiten der direkten Demokratie zurückgestutzt werden. Die Verbände fordern, dass die Rahmenbedingungen für Bürgerentscheide auf den Stand vor der Reform im Jahr 2015 zurückgeführt werden. Grüne und SPD hatten damals neue Regeln durchgesetzt. Danach kann ein Bürgerentscheid über ein Bürgerbegehren verlangt werden. Oder der Gemeinderat beschließt mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, dass es einen Bürgerentscheid geben soll.
Sollte sich die Politik hier sperren, schlagen Kommunen und Wirtschaft vor, zumindest eine Klausel für wichtige Infrastrukturprojekte der Daseinsvorsorge einzuführen. Das wäre zum Beispiel der Bau von Stromtrassen.
Unterstützung erhielten Wirtschaft und Kommunen von der AfD-Fraktion. "Gesetze wie das Transparenz- und Gleichbehandlungsgesetz werden zu nichts Weiterem als einem enormen Bürokratieaufwuchs führen", sagte deren wirtschaftspolitischer Sprecher, Ruben Rupp. "Das können wir uns in der aktuellen Situation nicht leisten."
SPD und Gewerkschaften zeigten sich dagegen empört über die Pläne der CDU. "Wer glaubt, unter dem Label Bürokratie-Abbau die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aushebeln zu können, hat sich getäuscht und wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen", sagte SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch. "In Teilen entsteht der Eindruck, dass hier die CDU gegen ihren Koalitionspartner über Bande spielt."
Für DGB-Landeschef Kai Burmeister muss das Ziel der Allianz sein, die Energiewende zu beschleunigen und weniger Papierwust zu produzieren. "Was nicht geht, ist ein Angriff auf Soziales und Arbeitnehmerrechte durch die Hintertür", sagte Burmeister dem SWR. "Wer den Slogan Bürokratieabbau für einen Angriff auf betriebliche Mitbestimmung, Bildungszeit und faire öffentliche Auftragsvergabe nutzen will, treibt ein hinterhältiges Spiel."