Mit einem Aktionstag haben viele Krankenhäuser in Baden-Württemberg auf ihre klammen Kassen aufmerksam gemacht. Klinikleitungen erklären, warum das Geld so dringend gebraucht wird.
Auch in Baden-Württemberg ist die wirtschaftliche Lage in vielen Kliniken dramatisch. Deshalb haben sie sich am Dienstag an einem bundesweiten Aktionstag beteiligt. Für den Medizinischen Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart, Dominik Alscher, ist das ein wichtiger Baustein, um auf eine "folgenschwere Situation" aufmerksam zu machen.
29 Prozent der Kliniken 2021 von Insolvenz bedroht
Seit Monaten weisen die Krankenhäuser im Land immer wieder auf ihre schlechte finanzielle Lage hin. Grund dafür sind nach Angaben der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) unter anderem die Folgen der Corona-Pandemie, das überdurchschnittliche Preis- und Lohnniveau im Land und die Inflation durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Jede Stunde komme ein Fehlbetrag von 70.776 Euro bei den Kliniken im Land hinzu, sagte eine Sprecherin der BWKG dem SWR.
Der Vorstandsvorsitzende der BWKG, Heiner Scheffold, forderte daher, die gestiegenen Sach- und Personalkosten müssten vom Bund vollständig abgedeckt und die Inflation ausgeglichen werden. Aber auch das Land sieht er in der Pflicht: Es müsse die Investitionskosten für Gebäude und medizinische Geräte vollständig übernehmen. "Das tut das Land seit Jahren nicht", sagte Scheffold. Bislang zahle es nur gut 400 Millionen Euro pro Jahr, nötig seien aber 800 bis 850 Millionen Euro.
Im Jahr 2021 waren in Baden-Württemberg 29 Prozent aller Krankenhäuser akut von einer Insolvenz bedroht. Das hat der am vergangenen Donnerstag vorgestellte "Krankenhaus Rating Report" des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung ergeben. Baden-Württemberg schneidet in dem bundesweiten Rating am schlechtesten ab.
Inflation frisst Einnahmen der Kliniken auf
"Die möglichen Einnahmen der Krankenhäuser können allenfalls um etwas über vier Prozent gesteigert werden, aber schon die Inflation ist deutlich höher", teilte Alscher vom Robert-Bosch-Krankenhaus dem SWR mit. "Das führt unausweichlich zur Unterfinanzierung vieler Krankenhäuser mit drohenden Insolvenzen."
Alscher forderte, dass Investionsanträge vom Land "zeitnah bearbeitet würden". Das Robert-Bosch-Krankenhaus warte seit 2017 auf ausstehende Fördergelder, für die es in Vorleistung habe treten müssen. Außerdem sei es unerlässlich, dass notwendige Investitionen auch finanziert würden, so Alscher.
Bei der Krankenhausreform sieht Alscher das Robert-Bosch-Krankenhaus momentan besser aufgestellt als andere Kliniken. Man habe bereits vier Krankenhausstandorte auf zwei konzentriert. "Aber: Auch wir haben große Mühe, mit den uns zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln eine sinnvolle Krankenversorgung aufrechtzuerhalten", teilte Alscher mit. Das betreffe insbesondere notwendige Investitionen in bauliche Strukturen, aber auch in Digitalisierung.
Korrekturen an Krankenhausreform gefordert Warnung vor Kahlschlag bei Kliniken in Baden-Württemberg
Die Krankenhausreform des Bundes soll die Zukunft der Kliniken sichern. Doch Krankenhäuser, Städte und Landkreise warnen mit Blick auf die vorläufigen Planungen vor den Folgen.
Lauterbach ist für andere Finanzierung der Kliniken
Mit der Krankenhausreform will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unter anderem den ökonomischen Druck auf die Krankenhäuser senken. Demnach sollen Kliniken in Zukunft nicht mehr ausschließlich über Fallpauschalen finanziert werden und sich stärker spezialisieren, um zu überleben. Die Kliniken bräuchten dringend schnelle finanzielle Hilfen, man könne nicht auf die Krankenhausreform warten, die Bund und Länder derzeit aushandeln, so die Krankenhausgesellschaft. "Ohne die vorherige Stabilisierung der Finanzen macht die Reform keinen Sinn, dann droht ein kalter und ungeregelter Strukturwandel", sagte der Vorstandsvorsitzende der BWKG, Scheffold.
Die BWKG wies zudem in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hin, dass die Reform bei vielen Krankenhausträgern zu großer Unsicherheit führe. Weil man nicht wisse, was aus den betreffenden Krankenhäusern werde, würden dringend notwendige Investitionen zurückgestellt, hatte Scheffold Anfang Juni erklärt.
Krankenhausreform komme "viel zu spät"
Der Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Diakoniekrankenhauses in Freiburg, Michael Decker, findet es unfassbar, dass die Situation der Krankenhäuser "in Berlin zwar ganz klar gesehen, aber faktisch schlichtweg ignoriert wird". Die wiederholt vorgetragene Vertröstung auf die Krankenhausreform sei "reine Augenwischerei", teilte er dem SWR mit.
"Abgesehen davon, dass die Reform gar keine zusätzlichen Mittel bereitstellt und somit völlig unklar ist, ob sie überhaupt zu einer finanziellen Entlastung führen wird, kommt sie einfach viel zu spät", so Decker weiter. Es brauche jetzt eine Lösung.
"Es ist unerträglich, dass wir Krankenhäuser als Einrichtungen der Daseinsfürsorge in einer solchen Situation wieder einmal als Bittsteller auftreten müssen", teilte Decker mit. "Das haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die drei Jahre Pandemie in den Knochen haben und sich immer noch mit maximalem Einsatz für unsere Patientinnen und Patienten einsetzen, nicht verdient."
Hohe Tarifabschlüsse erhöhen finanziellen Druck weiter
Auch die gestiegenen Gehälter der Mitarbeitenden werden in manchen Kliniken in Baden-Württemberg zum finanziellen Problem. "Die Krankenhausträger haben mit den hohen Tarifabschlüssen einen wichtigen und notwendigen Schritt für die vielen Arbeitskräfte im Gesundheitssektor getan", betonte zum Beispiel Jörg Schwarzer, Geschäftsführer am SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach (Kreis Karlsruhe). Gleichzeitig steige durch die Tarife der "enorme finanzielle Druck auf die Institutionen noch zusätzlich an".
Deshalb fordert Markus Heming, Kaufmännischer Geschäftsführer des Städtischen Klinikums Karlsruhe, von der Politik, nicht nur die "immensen inflationsbedingten Kostensteigerungen" müssten ausgeglichen werden, sondern auch die Tarifsteigerungen. Außerdem sollten dringend die Umsatzeinbußen - resultierend aus dem Rückgang der Patientenzahlen - durch einen Ganzjahresausgleich im Jahr 2023 gedeckt werden, teilte Heming mit. Nur mit kurzfristiger finanzieller Unterstützung könne die Politik verhindern, dass Kliniken vor der geplanten großen Krankenhausreform in die Insolvenz gingen.
Sozialminister reagiert auf Forderungen
Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) sagte dem SWR, die Kliniken hätten seine Aufmerksamkeit "24/7 und das wissen die Krankenhäuser auch". Die Haushaltsmittel seien limitiert. Trotz der Krise und geringerer Einnahmen aus der Steuerschätzung stelle man eine "Rekordsumme an Investitionskosten für die Krankenhäuser zur Verfügung". Die pauschale Forderung der BWKG nach mehr Geld könne man nicht stehen lassen: "Es gibt auch Krankenhaus-Träger, die einen Bau noch gar nicht umgesetzt haben, obwohl sie vom Land längst eine Förderung zugesagt bekommen haben."
Ein Ministeriumssprecher ergänzte, dass nicht alle Kosten, die beim Bau eines Krankenhauses anfallen, automatisch auch förderfähige Kosten seien. "Das Land kommt seinen Verpflichtungen nach und unterstützt alle bedarfsgerechten Bauvorhaben nach Kräften", so der Sprecher.
Geplante Aktionen zu "Alarmstufe Rot" in BW
Laut Baden-Württembergischer Krankenhausgessellschaft haben sich viele Krankenhäuser im Land am Dienstag mit Aktionen beteiligt - darunter das Evangelische Diakoniekrankenhaus in Freiburg, wo Beschäftigte unter anderem mit roter Kleidung und Beleuchtung auf ihr Anliegen aufmerksam machten. Weitere Aktionen gab es in Karlsruhe, Heidelberg und Stuttgart. Wie viele Kliniken sich genau beteiligten, war nach Auskunft einer Sprecherin aber unklar.
Gegen 21:30 Uhr soll auf der Fassade des Diak Klinikums Schwäbisch Hall die Defizituhr der BWKG weithin sichtbar werden, bei der pro Stunde 70.776 Euro zum Defizit der Kliniken im Land hinzuaddiert werden. Außerdem haben die Verantwortlichen nach eigenen Angaben Politikerinnen und Politiker zu sich eingeladen, um ihnen an konkreten Beispielen zu zeigen, "warum schneller Handlungsbedarf besteht".
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte protestieren
Am Mittwoch wollen auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg gegen aus ihrer Sicht falsche Entwicklungen im Gesundheitssystem protestieren. Bei einer Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz werden nach Veranstalterangaben mehr als 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Die Ärztinnen und Ärzte kritisieren unter anderem überbordende Bürokratie und ineffiziente Digitalisierung.
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