Winfried Kretschmann (Grüne) ist seit bald 13 Jahren Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Die aktuelle Zeit dürfte zu den schwierigsten Phasen seiner Amtszeit gehören.
Die Wirtschaft, auch in Baden-Württemberg, steckt in der Rezession, viele Menschen sind unzufrieden mit der Regierungsarbeit im Bund und im Land. Und: Die Ablehnung gegenüber der Demokratie nimmt in vielen Teilen der Bevölkerung besorgniserregend zu.
Erfolg der AfD und Demonstrationen der Zivilgesellschaft
Die AfD und deren Umfragewerte beunruhigen Kretschmann, die Gegen-Demonstrationen in Baden-Württemberg sieht er jedoch als wichtiges Signal und fordert die Zivilgesellschaft auf, sich wichtige Fragen zur AfD und deren Programm zu stellen.
Mögliches Parteienverbot: Kretschmann zeigt sich kritisch
Welche Fehler haben die demokratischen Parteien gemacht?
Dass seine Partei und die anderen demokratischen Parteien in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, zu weit weg vom Bürger gearbeitet haben – dem stimmt Kretschmann zu. Viele Parteien seien in ihren Kommunikationsmustern noch nicht in der Zukunft angekommen, die AfD nutze die sozialen Medien sehr viel besser. Dennoch stehe die AfD für eine Richtung, in der Kretschmann Baden-Württemberg und auch Deutschland nicht sieht.
Ökologische und soziale Erneuerung von Baden-Württemberg
Kretschmanns selbst gesteckte Zielsetzung als Ministerpräsident ist es, Baden-Württemberg "ökologisch und sozial zu erneuern". Der 75-Jährige gilt inzwischen längst als der bürgerlich-konservative unter den BW-Grünen — jener Partei, die er 1979 selbst mit gründete. Eine breite Debatte um Gendersprache "bringt nichts", sagte er kürzlich und wies nach den desolaten Ergebnissen der PISA-Studie in einem Interview auch die Eltern auf ihre Eigenverantwortung in Sachen Bildung hin.
"Wissensdurst" fördern Kretschmann fordert mehr Eltern-Engagement bei der Bildung
Eltern müssten sich um den Wissensdurst der Kinder bemühen, findet der Ministerpräsident. Doch ob ein Kind in der Schule Erfolg hat, hängt in BW ohnehin stark vom Elternhaus ab.
Verbindlichere Grundschulempfehlung und Rückkehr zu G9
Eine Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung werde es wohl nicht geben, so Kretschmann. Es bleibe eine Empfehlung, sie werde aber wohl verbindlicher gemacht, möglicherweise mit einer zusätzlichen Prüfung. Dies sei noch in der Debatte.
Nach fast 20 Jahren wird Baden-Württemberg wohl zum 9-jährigen Gymnasium zurückkehren. Dafür gebe es deutliche Mehrheiten, so Kretschmann. Oft heißt es, bei G8 bliebe die Persönlichkeitsentwicklung zurück, da die Stundenpläne sehr vollgepackt sind. Das wird mit einer Rückkehr zu G9 aber nicht automatisch gelöst, wenn die Menge des Lehrstoffs zunimmt. Auch Kretschmann sieht die Notwendigkeit neue Fächer einzuführen:
Es müsse allerdings geprüft werden, an welchen anderen Stellen Lernstoff auch weggelassen werden kann, da man nicht "immer mehr draufpacken" könne, so der Ministerpräsident. Sonst mache man "zu viel und nichts richtig".
Bildung in Baden-Württemberg: auf Grundschulen kommt es an
Auf die Frage, was denn im Zusammenhang mit G8 oder G9 wichtiger sei, eine reifere Persönlichkeit oder die Möglichkeit, potentiell früher auf den Arbeitsmarkt zu kommen, sagt Kretschmann, der entscheidende Punkt liege woanders:
Was tut Baden-Württemberg gegen den Mangel an Kita-Plätzen?
105 Millionen Euro will das Land zum Ausbau von Kita-Plätzen zur Verfügung stellen. Reicht das aus, um den massiven Mangel zu beheben? "Für Kitas sind in erster Linie die Kommunen verantwortlich", betont der Ministerpräsident und ergänzt:
Automobilindustrie und Landwirtschaft in Baden-Württemberg
Den Strukturwandel in der Automobilindustrie, dem Steckenpferd Baden-Württembergs, sieht Kretschmann als Hauptaufgabe für eine gute Zukunft des Landes an. Dieser Wandel müsse bewältigt werden.
Nachdem die Bundesregierung Teile von Agrarsubventionen auf Grund des Haushalts-Urteils des Bundesverfassungsgerichts zurücknahm, brannten auch im Land Proteste der Bauern auf. In Baden-Württemberg gibt es bereits seit 2022 den sogenannten "Strategiedialog Landwirtschaft".
Kretschmann will bis zum Ende der Legislaturperiode regieren
Ob es eine Altersobergrenze für aktive Politiker geben sollte, da sei er der falsche, um das zu beantworten, meint der 75-Jährige. Seine Entscheidung für eine dritte Amtszeit anzutreten habe er sich lange überlegt.
Das Amt verlange "den ganzen Mann". Würde er spüren, dass er des Amtes müde sei, würde er aufhören, so Kretschmann. Dies sei aber nicht der Fall. Vorausgesetzt er bleibe gesund und fit, möchte er das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode weiterführen und begründet das auch mit dem Verhalten der CDU:
Die Bevölkerung könne sich darauf verlassen, dass er nicht schon inhaltlich Abstand genommen habe. Er gehe das Amt jeden Tag mit voller Energie und Kraft an, so Winfried Kretschmann.
Rückblick: Kretschmann und Strobl in SWR1 Leute
People Are People SWR1 Leute
Zwei Stunden Zeit für ein Gespräch mit Menschen, die im Mittelpunkt stehen, die Herausragendes leisten oder einfach eine spannende Lebensgeschichte haben.