Eltern müssten sich um den Wissensdurst der Kinder bemühen, findet der Ministerpräsident. Doch ob ein Kind in der Schule Erfolg hat, hängt ohnehin stark vom Elternhaus ab.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat zu mehr Anstrengung bei der Bildung aufgerufen, auch vonseiten der Eltern. Über die ganze Bildungsbiografie, also über viele Jahre hinweg, sei ein allgemeiner Wille zur Bildung nötig, sagte Kretschmann der Deutschen Presse-Agentur. Eltern hätten dabei die Aufgabe, diesen Wissensdurst zu fördern. Und dabei hängt der Bildungserfolg in keinem anderen Land so vom Elternhaus ab wie in Deutschland.
SWR-Landespolitik-Redakteur Knut Bauer findet, Kretschmann mache es sich zu einfach.
Kretschmann kritisiert "Helikoptereltern"
Im Interview kritisierte der Ministerpräsident und frühere Lehrer dabei sowohl überengagierte Eltern als auch solche, die sich zu wenig um die Bildung ihrer Kinder kümmern. "Wir haben teilweise eine Überbetreuung - das, was man Helikoptereltern nennt. Und es gibt auch einen Anteil an Eltern, der die Pflicht, sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern, zu wenig wahrnimmt", kritisierte Kretschmann. Er rief Eltern dazu auf, mehr auf die Expertise von Lehrerinnen und Lehrer zu vertrauen, gerade bei der Grundschulempfehlung: "Ich weiß nicht, warum sich manche Eltern daran nicht halten. Das ist die Empfehlung von Fachleuten, die sich mit den Kindern vier Jahre beschäftigt haben."
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Wenn Lehrerinnen und Lehrer der Meinung seien, ein Kind sei auf einer bestimmten weiterführenden Schule besser aufgehoben als auf einer anderen, dann sollten Eltern das respektieren und sich nicht darüber hinwegsetzen, riet Kretschmann. In Baden-Württemberg ist die Empfehlung seit vielen Jahren nicht mehr verbindlich. Doch viele Lehrerinnen und Lehrer würden das am liebsten rückgängig machen.
FDP: Kretschmanns Regierung muss mehr tun
Auch die Landes-FDP ist zwar dafür, dass die Grundschulempfehlung wieder verbindlich ist. Doch bei Kretschmanns Ansichten in Bezug auf die Rolle der Eltern bei der schulischen Bildung sehen sie die Dinge etwas anders als der grüne Ministerpräsident: Eltern hätten hier zwar eine wichtige Rolle, aber gerade mit Migrationshintergrund seien ihre Möglichkeiten beschränkt, sagte der bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Timm Kern, übers Kretschmanns Äußerungen. Er spielte den Ball zurück: Kretschmanns Landesregierung dürfe sich nicht aus der Affäre ziehen, fordert Kern.
Auch die Landes-SPD sieht die grün-schwarze Landesregierung in der Verantwortung. Kretschmann mache es sich zu leicht, findet Fraktionschef Andreas Stoch. Er wirft ihm vor, die Verantwortung auf andere abzuschieben.
Kretschmann: BW braucht mehr Ganztagsschulen
Für Kinder, die nicht ausreichend deutsch können, hat Kretschmann bereits eine verpflichtende Sprachförderung angekündigt. Das sei Teil von Maßnahmen, die im kommenden Jahr eingeführt werden sollen.
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Außerdem spricht er sich für mehr Ganztagsschulen aus. "Wenn wir wieder in die Spitze wollen, wird es ohne Ganztagsbetrieb nicht gehen", sagte Kretschmann. Es sei in Baden-Württemberg aber sehr schwer, mehr Ganztagsschulen durchzusetzen. "Da gibt es eine große Zurückhaltung."
Bildungsverband: Kindertagesstätten stets mitdenken
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg teilt Kretschmanns Ansicht, dass Eltern für den Bildungserfolg ihrer Kinder mehr Verantwortung übernehmen müssen. Das teilte der Verband auf SWR-Anfrage mit. "Wir können an der Schule nicht alles richten und benötigen deshalb eine funktionierende Bildungspartnerschaft mit den Eltern", so der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand am Montag in einer Mitteilung.
Es sei aktuell richtig, die Schwerpunkte an den Grundschulen zu setzen, man dürfe aber die weiterführenden Schulen nicht aus den Augen verlieren. Außerdem findet institutionalisierte Bildung laut Brand bereits an den Kindertagesstätten statt: "Wir müssen die Kindertagesstätten stets mitdenken, wenn wir über Bildungsförderung sprechen." Dass Bildung nur über die Ganztagsschule zu erreichen ist, "betrachte der VBE differenzierter", so Brand. "Wir haben in Baden-Württemberg genügend Beispiele an gelingender Bildung, die ohne Ganztagsbetrieb arbeiten. Unsere Forderung ist, die Art und Weise des Schulbetriebs in die Hände der am Schulleben Beteiligten vor Ort zu legen."