Prof. Dr. Paulina Starski ist Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Uni Freiburg. Sie beurteilt den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine aus völkerrechtlicher Sicht.
Putins Versuch einer anderen Weltordnung
Indem Putin das Völkerrecht grundsätzlich in Frage stellt, schlägt er im Grunde ein Gegenmodell unserer Völkerrechtsordnung vor, sagt Paulina Starski. Putin sei der Ansicht, Russland könne in der Welt nach geopolitischen Einflusssphären agieren.
Das Völkerrecht mit seinem Gewaltverbot ist aber gerade für Kleinstaaten sehr wichtig. Die klare Verurteilung des russischen Angriffskrieges in der UN-Generalversammlung mit nur fünf Gegenstimmen, zeige:
Welche Konsequenzen hat es, wenn Russland sich nicht ans Völkerrecht hält?
Die Reaktionsmöglichkeiten des Völkerrechts sind imperfekt, aber sie sind da, betont Paulina Starski. Alles, was das Völkerrecht zur Verfügung stellt, sei gegen Russland in Bewegung gesetzt worden:
- Der Internationale Gerichtshof hat einen Beschluss gefasst.
- Im Rahmen der UN-Generalversammlung kam es zu einer Resolution, die ganz klar die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine verurteilt hat.
- Es werden Sanktionspakete, basierend auf dem Grundgedanken von Gegenmaßnamen, verabschiedet.
- Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte werden Verfahren angestrengt.
Völkerrecht: große Errungenschaft gegen Kriege und Konflikte
Völkerrecht ist zwischenstaatliches Recht und bildet die Grundregeln für das Zusammenleben u.a. von Staaten weltweit, erklärt Paulina Starski.
Die gegenwärtige Völkerrechtsordnung basiert zentral auf der UN-Charta von 1945. Nach den Schrecken und Grauen des Zweiten Weltkrieges gab es eine "Stunde Null" und man habe beschlossen, nach anderen Regeln zu operieren, um solche Katastrophen zu verhindern.
Die UN-Charta ist bestimmend für das gegenwärtige Völkerrecht, so Paulina Starski. Russland stellt eine Grundnorm des Völkerrechts, das sogenannte Gewaltverbot, fundamental in Frage.
Wie rechtfertigt Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine?
Putin stützt sich auf mehrere Narrative, meint Paulina Starski. Das erste Narrativ ist die Ausübung eines Selbstverteidigungsrechts. Das Selbstverteidigungsrecht ist eine Ausnahme zum Gewaltverbot zwischen Staaten. Es verlangt einen gegenwertigen bewaffneten Angriff, der aber nicht gegeben war.
Das zweite Narrativ, das bedient wird, sagt Paulina Starski: es sei eine Art "Humanitäre Intervention". Dies sei ein sehr umstrittenes Konzept, das dahingeht, dass man in einen Staat eingreifen kann, wenn dort gröbste menschenrechtliche Verletzungen passieren, beispielsweise ein Völkermord. Putin hat behauptet, in der Ukraine fände ein Völkermord an der russischstämmigen Bevölkerung statt. Darauf gibt es aber keine Hinweise, daher fehle die faktische Grundlage, so Starski.
Kritik Russlands an Doppelmoral des Westens
Ein weiteres Narrativ, das immer wieder auftauche, ist, dass der Westen mit zweierlei Maß messe und sich selbst nicht an das Völkerrecht halte und dies das Verhalten Russlands rechtfertige.
Auch anderen Staaten können Völkerrechtsbrüche vorgeworfen werden, bestätigt Paulina Starski, beispielsweise die völkerrechtswidrige Invasion in den Irak.
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