Stefan Wagner kümmert sich ehrenamtlich um Wohnungs- und Obdachlose in Speyer. Das Schicksal von manchen Familien geht ihm besonders nahe.
In diesen Tagen schaut SWR1 besonders auf engagierte Menschen im Land, die Gutes tun und sich für andere einsetzen. Zum Beispiel Stefan Wagner, der sich schon seit fast 15 Jahren ehrenamtlich um Wohnungs- und Obdachlose in Speyer kümmert. Vor etwa vier Jahren gründete er die Soziale Anlaufstelle Speyer für alle Menschen, die Hilfe benötigen. Wir haben mit Wagner über seine Erfahrungen gesprochen.
SWR1: Sie und Ihr Team bieten einiges an Hilfe an. Und das geht deutlich über einen warmen Kaffee hinaus.
Stefan Wagner: Richtig, wir bieten für Menschen, die wohnungs- und obdachlos sind einiges: vom Duschen, Frühstücken über Kleidung und Lebensmittel oder einen neuen Haarschnitt – wir haben ein Komplettpaket für diese Menschen.
SWR1: Insgesamt sind Sie 15 Leute in Ihrem Helfer-Team. Was hören Sie von Ihren Gästen, von den Menschen, die zu Ihnen kommen? Was haben sie für Geschichten?
Wagner: Es ist meistens ein Schicksalsschlag, der zu der Situation führt: ein Todesfall in der Familie, Job verloren, Wohnung verloren. Und dann geht diese Abwärtsspirale los. Da wollen wir einwirken, dass die Leute vielleicht wieder aus dieser Spirale herauskommen.
Folgen von Inflation und Energiekrise? Obdachlosen-Projekt in Speyer erhält immer weniger Spenden
Viele Menschen müssen sparen. Das bekommen auch soziale Projekte in der Pfalz zu spüren, die auf Spenden angewiesen sind. So auch die Soziale Anlaufstelle für Obdachlose in Speyer.
SWR1: Was passiert da, was läuft schief? Es gibt ja Bürgergeld und ähnliche Unterstützung.
Wagner: Das Problem ist, dass die Politik es den Menschen viel zu schwer macht. Es gibt gute Angebote, aber der Gang zum Amt hat per se nichts mit Menschenwürde zu tun. Wenn jemand obdachlos ist und zum Beispiel im Wald schläft, kann ich mit dem nicht um viertel nach neun einen Termin vereinbaren, dass er bitte vorbeikommt. Das ist völlig an der Realität dieser Menschen vorbei.
Wir sind der Auffassung, wir müssen es zuerst anonym machen, dass diese Menschen dort bei uns abgeholt werden. Dann kann man dieses Leistungsangebot gezielt beantragen. Aber man muss diese Menschen erst an die Hand nehmen, mit Vertrauen in der Situation helfen und sie stabilisieren. Und dann kann der nächste Schritt erfolgen.
SWR1: Was beschäftigt die obdachlosen Menschen im Moment am meisten?
Wagner: Viele wollen zurück in eine Wohnung. Aber die Wohnungen sind nicht bezahlbar und es gibt nicht genug Wohnraum. Dann gehen die Leute leider in Gemeinschaftsunterkünfte. Und das sind leider keine Orte, wo Menschen gerne sind. Da verstehe ich, dass viele dann sagen, ich wähle die Obdachlosigkeit und bleibe lieber draußen.
SWR1: Gibt es Situationen, die Ihnen besonders nahegehen?
Wagner: Ja, wir haben auch eine Unterkunft in Speyer, in der Familien untergebracht sind. Wenn man sieht, dass eine Familie aus der Wohnung raus muss, dann über Jahre in einer Notunterkunft bleiben muss, weil der Wohnungsmarkt nichts hergibt, dann berührt einen das als Familienvater noch einmal besonders.
Wir haben in Deutschland sehr viele Krisen. Wenn eine neue Krise dazukommt, sehe ich, dass die Politik da viel, viel schneller handlungsfähig ist als bei diesen Menschen, deren Probleme jetzt über Jahrzehnte andauern. Da sehe ich keine deutliche Veränderung. In anderen Krisen wird schnell geschaltet. Aber hier ist die Politik einfach hintendran.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.
Was ist das SAS in Speyer?
Die Soziale Anlaufstelle Speyer (SAS) ist 2020 in einem ehemaligen Kiosk am Festplatz entstanden. Für die Unterhaltskosten kommt seitdem die Stadt Speyer auf. Die SAS ist für Obdachlose und andere Bedürftige zweimal pro Woche geöffnet, immer dienstags und freitags.
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