Kommunen in Rheinland-Pfalz klagen über zu viele Migranten im Verhältnis zu Einwohnern – äußern sogar Ängste. Wir haben mit Migrationsforscher Niklas Harder darüber gesprochen.
SWR1: Teilen Sie diese Klagen der Städtegemeinden und Kreise und der Menschen?
Niklas Harder: Das ist für mich als Forscher sehr schwer einzuordnen. Es ist eindeutig klar, dass in den Gemeinden die wichtigste Grundlage für Integration geschaffen wird, gerade Dienste für die die Gemeinden zuständig sind: Unterbringung, Kinderbetreuung, Schule. Die sind extrem wichtig. Leider haben wir keine verlässlichen Zahlen, die uns irgendwie ein gutes Bild der Lage vermitteln würden. Deswegen muss auch ich mich da eigentlich auf das Wort der Gemeindevertreter verlassen.
Fakt ist aber, dass wir es mit einer sehr gemischten Situation zu tun haben. Es ist so, dass dieses Jahr mehr Geflüchtete über ein Asylverfahren gekommen sind, als im letzten Jahr. Allerdings sind es immer noch deutlich weniger als zum Beispiel im Jahr 2015 oder 2016. Dazu kommen aber natürlich etwa eine Million Ukrainer, die zwar nicht im Asylverfahren sind, die aber trotzdem neu im Land sind und es so sicherlich in einigen Gemeinden zu Kapazitätsproblemen kommt.
SWR1: In einigen rheinland-pfälzischen Städten, Kusel zum Beispiel, demonstrieren Menschen bereits mehrfach dafür, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Die Stimmung droht zu kippen. Wenn Sie sagen, die Integration findet in den Städten und Gemeinden statt, was muss dann aus Ihrer Sicht passieren, um die Situation zu retten?
Harder: Ich denke, es ist eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Ich glaube tatsächlich, dass viel Unmut daraus entsteht, dass es so einen gefühlten Kontrollverlust im Bereich der Einwanderung gibt. Und das hat dann weniger mit den Zahlen zu tun, als dass einfach das Gefühl besteht, wir hätten gar keine Kontrolle mehr.
Denn, wie gesagt, die Zahlen sind deutlich niedriger als 2015 oder 2016. Das andere ist dann, wie vor Ort mit Kapazitäten umgegangen wird. Ich denke, da ist es zum einen wichtig – zumindest wenn wir Forscher etwas dazu sagen sollen – dass wir bessere Zahlen haben, dass wir ein System aufbauen, um zu gucken, wie viele Plätze in welchen Gemeinden belegt sind, welche Plätze vielleicht woanders vorgehalten werden, damit man das gezielter steuern kann und dann auch ein guter Weg der Finanzierung gefunden wird.
Gleichzeitig richtet sich aber – glaube ich – viel Unmut nicht zwangsläufig gegen die Menschen vor Ort, sondern gegen dieses Problem, dass momentan EU-weit das Verteilungssystem nicht funktioniert und dass da jetzt eine Lösung gefunden werden muss.
SWR1: Sie haben gesagt, die Zahlen seien zurückgegangen. Dann muss man natürlich sehen, dass die ukrainischen Migranten bzw. Flüchtlinge noch dazu gekommen sind, dass es auch illegale Migration gibt und dass vor allen Dingen die Menschen was anderes fühlen, und es geht ja um diese Situation der Menschen vor Ort, um die zu retten oder denen ein anderes Gefühl zu geben. Was muss da jetzt aus Ihrer Sicht passieren?
Harder: Da bin ich als Integrationsforscher ein bisschen überfragt. Da müsste man eher Meinungsforscher befragen.
SWR1: Aber es geht ja um Integration vor Ort.
Harder: Integration von Migranten ja, das stimmt. Nun ja, ich denke, es geht darum, dass wir es zum einen schaffen, mehr Vertrauen in ein europäisches Verteilungssystem aufzubauen, damit dieser gefühlte Kontrollverlust nicht mehr da ist. Und dann geht es darum, bessere Möglichkeiten zu schaffen, Kapazitäten, die vorhanden sind, besser zu nutzen, also einen besseren Überblick darüber zu bekommen, wo noch Kapazitäten frei sind und wo nicht.
Da ist es nämlich so: es gibt einen Verteilungsschlüssel, der galt aber für die Ukrainer und Ukrainerinnen nicht, da die über einen anderen Rechtsstaat nach Deutschland gekommen sind. Die ballen sich jetzt in gewissen Regionen, und in anderen Regionen nicht. Das könnte man zum Beispiel berücksichtigen und den Verteilungsschlüssel für andere Geflüchtete entsprechend anpassen.
SWR1: Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, sagt, die Aufnahme von Flüchtlingen findet für Christen ihre Grenze da, wo es zur Selbstaufgabe kommt und sie meint, dass wir diese Grenze noch lange nicht erreicht haben. Wie ordnen Sie diese Haltung jetzt in der aktuellen Situation ein?
Harder: Na ja, Deutschland hat bewiesen, dass es mit höheren Zahlen umgehen kann. Gleichzeitig ist es so, dass ohne die vielen Freiwilligen, die es in Deutschland gibt, vieles nicht laufen würde. Da muss man auch ein Auge drauf haben, dass man diese Freiwilligenarbeit honoriert, die wir bei der Integration der Ukrainerinnen und Ukrainer gesehen haben.
Und das sind die Menschen, die wir bei der Stange halten müssen, die sozusagen nicht an juristischen oder rechtlichen Systemfragen verzweifeln dürfen. Und ich denke, da gibt es tatsächlich einiges in der Gesetzeslage zu entschlacken.
Das Interview führte Michael Lueg.
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