Der Holocaust-Überlebende Christian Pfeil spricht im Rahmen des Holocaust-Gedenktages vor den Vereinten-Nationen in New York.
SWR1 Moderatorin Steffi Vitt hat sich mit dem 80-jährigen Sinto über seine Rede und seine Geschichte unterhalten.
SWR1: Herr Pfeil, Sie können stundenlang erzählen. Worauf wollen Sie sich denn bei Ihrer Rede vor den Vereinten Nationen (UN) überhaupt beschränken?
Christian Pfeil: Das ist gar nicht so einfach. Ich habe nur sieben Minuten. [lacht] Aber sieben Minuten, das ist nicht viel für das, was ich alles zu erzählen habe. Ich habe vor Kurzem meine Rede fertig geschrieben und der Schwerpunkt ist eigentlich erst einmal mein Leben. Also, dass ich im Ghetto in Lublin (Polen) geboren worden bin, die Geschichte, die Verfolgung, die Entrechtung und Ermordung meiner Familie.
Und dann die jetzige Situation, also dass die Verfolgung eigentlich nicht aufgehört hat, sondern, dass man heute immer noch diskriminiert und verfolgt wird. Das, was im Moment in Deutschland los ist, das ist sehr erschreckend für mich und für meine ganze Familie.
SWR1: Sie haben einmal gesagt, die Angst, dass so etwas wie damals in der Nazizeit wieder passiert, die verfolgt mich mein Leben lang. Wie groß ist Ihre persönliche Angst vor rechter Gewalt in Deutschland, auch für die Zukunft der Gesellschaft?
Pfeil: Meine persönliche Angst ist größer geworden. Die Anschläge waren Anfang der 1990er Jahre. Zur damaligen Zeit wollte ich schon auswandern, wollte Deutschland verlassen. Aber was jetzt in Deutschland los ist und was wir als Sinti und Roma und auch die Juden jetzt erleben, das ist schon erschreckend. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich habe sehr, sehr viel Angst.
Ich habe auch sehr viel Angst, wieder öffentlich zu sprechen. Denn man weiß nie, wie die Leute darauf reagieren, wenn ich kritisiere. Es ist schon eine sehr bedrückende Angelegenheit und auch eine bedrückende Zeit.
Dokumentation "Zeuge der Zeit" mit Christian Pfeil
SWR1: Sie werden trotzdem öffentlich sprechen. Sie haben 2022 auch in Auschwitz gesprochen und nach der Veranstaltung auch mit Jugendlichen diskutiert. Haben Sie doch Hoffnung?
Pfeil: Ja, das war sehr schön. Mit den Jugendlichen aus ganz Europa dort in Auschwitz zu diskutieren, das war ein Highlight für mich. Es hat mir sehr weh getan, in Auschwitz zu sprechen, wo ich auf den Tafeln die Namen meiner Familienangehörigen gelesen habe, die dort umgebracht worden sind. Aber danach mit den Jugendlichen zu diskutieren, das war für mich wie eine Befreiung. Das war wunderschön und wir haben lange diskutiert.
Ich war sehr überrascht, dass auch die Jugendlichen vieles nicht wussten und ich ihnen das alles erklären konnte. Damals war ich natürlich unheimlich stolz darauf, dass ich den Jugendlichen das alles erzählen konnte. Die Jugendlichen waren wunderbar, herrlich. Jugend ist für mich das Wichtigste. Wir müssen der Jugend das, was Nazi-Deutschland uns und den Juden und vielen anderen Menschen angetan hat, immer wieder erzählen. Es darf nicht in Vergessenheit geraten! Gerade die Jugend muss aus dieser Geschichte lernen, damit sich so etwas nicht noch einmal wiederholt.
SWR1: Es gibt im Moment viele Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, gegen die AfD…
Pfeil [unterbricht]: Wunderbar! Ich würde gerne auch mitgehen, aber ich bin 80 Jahre alt. Ich kann nicht mehr so gut gehen.
SWR1: Ist das nicht ein Hoffnungsschimmer, nachdem sich ein Großteil der Gesellschaft lange abwartend und ruhig verhalten hat?
Pfeil: Ja, das ist im Moment wirklich toll. Ich finde es toll, dass so viele jetzt auf die Straße gehen, dass im Fernsehen darüber berichtet wird, und dass im Bundestag darüber geredet wird. Ich hoffe, dass das ein Zeichen dafür ist, dass die Gesellschaft sich dagegen wehrt.
SWR1: Es kann auch heute ja niemand mehr sagen, er hätte die Zeichen nicht gesehen?
Pfeil: Nein, um Gottes Willen! Aber es ist auch sehr wichtig, dass man als Zeitzeuge immer wieder daran erinnert und seine Geschichte erzählt. Das ist sehr wichtig, denn es gibt nicht mehr sehr viele Zeitzeugen von damals.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Steffi Vitt.
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