Christian Pfeil mit seinem Neffen Christian Kling vor dem Trierer Mahnmal für Sinti und Roma

Holocaust-Gedenktag der Sinti und Roma

Wie ein Trierer auf die NS-Verfolgung seiner Familie blickt

Stand
Autor/in
Nicole Mertes
Nicole Mertes arbeitet als Redakteurin im SWR Studio Trier

Der 2. August ist der Holocaust-Gedenktag der Sinti und Roma. Der SWR sprach mit Christian Kling, der in Trier aufgewachsen und zur jüngeren Generation der Sinti und Roma gehört.

In der Trierer Wechselstraße erinnern drei Stolpersteine im Straßenpflaster an Klemens, Louise und Alfons Pfeil. Sie waren 19, 13 und 16 Jahre alt, als die Nationalsozialisten sie 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordeten. Auch weitere Trierer Sinti und Roma erlitten dieses Schicksal. Nach der Ideologie der Nationalsozialisten gehörten sie nicht zur "deutschen Volksgemeinschaft", obwohl Sinti und Roma seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland lebten.

Stolpersteine in Trier erinnern an Sinti und Roma, die von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet wurden
Klemens, Alfons und Louise Pfeil aus Trier wurden 1940 von den Nationalsozialisten deportiert und 1943 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.

"Das Ganze liegt schon eigentlich immer wie so ein Schatten über einem."

Christian Kling ist in Trier aufgewachsen, gehört zur jüngeren Generation der Sinti und Roma und engagiert sich im rheinland-pfälzischen Landesverband der Sinti und Roma. Die Verfolgung seiner Familie in der NS-Zeit, die Ermordung vieler Familienmitglieder in Auschwitz, die andauernde Ausgrenzung auch nach der Rückkehr der Überlebenden nach Trier, das wurde ihm schon in seiner Kindheit bewusst, sagt er. "Das Ganze lag schon eigentlich wie so ein Schatten über einem."

Christian Pfeil mit seinem Neffen Christian Kling vor dem Trierer Mahnmal für Sinti und Roma
Christian Kling ist in Trier aufgewachsen, gehört zur jüngeren Generation der Sinti und Roma. Er gedenkt mit seinem Onkel Christian Pfeil der Sinti und Roma, die Opfer des Naziterrors wurden.

Ausgrenzung schon vor dem 2. Weltkrieg - Verfolgung ab 1933

Schon im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik hatte es Gesetze und Verordnungen gegeben, die Sinti und Roma ausgrenzten und benachteiligten. Ab 1933 wurden Sinti und Roma von den Nationalsozialisten rassistisch verfolgt. Kinder wurden aus öffentlichen Schulen ausgeschlossen, es gab Zwangssterilisierungen.

Deportation der Sinti und Roma aus Köln
Deportation der Sinti und Roma aus Köln. Kinder auf dem Messegelände in Deutz, Mai 1940

Nach den Nürnberger Gesetzen war ab 1935 Sinti und Roma die Ehe mit "deutschblütigen" Personen verboten. Sinti und Roma wurden systematisch erfasst und nach Rassekriterien eingestuft. Wie die Juden, sollten nach dem Willen der Nationalsozialisten auch alle Sinti und Roma deportiert und ermordet werden.

Mitte Mai 1940 wurden die ersten Sinti- und Roma- Familien in Trier von der Polizei abgeholt und in ein Sammellager nach Köln-Deutz deportiert. Sie mussten Zwangsarbeit leisten und wurden dann in Konzentrationslager deportiert. Etwa 22.600 Sinti und Roma wurden seit Februar 1943 ins KZ Auschwitz deportiert, fast alle wurden ermordet.

Auch vier Geschwisterkinder der Trierer Familie Pfeil wurden in Auschwitz ermordet. Dass es sich beim NS-Terror gegen Sinti und Roma um Völkermord handelte, erkannte die Bundesrepublik Deutschland erst 1982 an. Vorher konnten Überlebende des NS-Terrors keine Entschädigung beantragen.

"Es ist nicht so, dass das Leid schon genügt hat, man musste auch noch dafür kämpfen, dass es wahr ist."

Rückkehr nach Deutschland nach 2. Weltkrieg

Christian Kling hat die Überlebenden des NS-Terrors in seiner Familie als Jugendlicher gefragt, warum sie in ein Land wie Deutschland zurückgegangen sind. Die Antwort sei ganz banal, sagt er, sie hätten nicht gewusst, wohin sie sonst gehen könnten.

"Sie kamen aus dem Krieg, sie standen vor dem Nichts, waren von den Nazis entrechtet und entmenschlicht worden und hatten das Gefühl, irgendwie nirgends dazu zu gehören. Dann sind sie zu dem zurückgekehrt, was sie zumindest noch annähernd kannten." Doch nach dem 2. Weltkrieg begann das, was Sinti und Roma die zweite Verfolgung nennen.

Diejenigen seiner Vorfahren, die den Holocaust überlebt hatten, kamen dorthin zurück, wo sie hergekommen waren, sagt Christian Kling. Man habe die Menschen dann auch ganz bewusst an den Rand der Gesellschaft gedrängt und auch quartiert, einfach auch um die Klischees, die man schon vor dem 2. Weltkrieg gehabt hatte, immer wieder zu bestätigen. Anerkennung als Opfer des NS-Terrors habe es für Sinti und Roma lange nicht gegeben, in der Bundesrepublik Deutschland erst 1982.

Riverissiedlung
Insgesamt leben in Rheinland-Pfalz nach Angaben des Mainzer Innenministeriums 8.000 Menschen, die zur nationalen Minderheit der deutschen Sinti und Roma gehören. Teilweise in problematischen Verhältnissen. In Trier lebten Sinti-Familien jahrzehntelang in der sogenannten Riverissiedlung.

Der lange Kampf um Anerkennung

Christian Kling erinnert sich an den Geschichtsunterricht in seiner Schulzeit in Trier Anfang der 2000er Jahre. Als der Nationalsozialismus durchgenommen wurde, sagte er zu seinem Lehrer, dass auch Sinti und Roma verfolgt und ermordet worden waren. Der Lehrer habe ihm geantwortet, das stimme nicht.

"Es ist nicht so, dass das Leid schon genügt hat, man musste auch noch dafür kämpfen, dass es wahr ist.", sagt Christian Kling. Mitte der 1990er Jahre verwüsteten Unbekannte zweimal die Gaststätte seines Großonkels in Trier-Süd, hinterließen Hakenkreuze und SS-Runen. Als sein Großonkel sich an den damaligen Trierer Oberbürgermeister gewandt habe, hätte der ihm geantwortet, Rechtsextremismus gebe es in Trier nicht.

Inschrift auf dem Trierer Mahnmal für Sinti und Roma, die Opfer des NS-Terrors wurden
Das Trierer Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus unter Sinti und Roma wurde 2012 eingeweiht. Der Künstler Clas Steinmann hat es entworfen. Auf einer der sechs Bronzestelen ist diese Inschrift.

Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma

In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden im KZ Auschwitz-Birkenau die letzten etwa 4.300 noch überlebenden Sinti und Roma von den Nationalsozialisten ermordet. Sinti und Roma gedenken seit den 1980er Jahren am 2. August an die Opfer des NS-Terrors.

Seit 2015 erklärte das Europäische Parlament den 2. August zum Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. Etwa eine halbe Million Sinti und Roma aus mehreren von Nationalsozialisten besetzten europäischen Ländern wurden Opfer des NS-Terrors.

Ausgrenzung und Diskriminierung nimmt wieder zu

Die aktuelle politische Entwicklung, die Zustimmung, die rechtsextreme Parteien bei vielen Deutschen finden, bereitet auch Christian Kling Sorgen. Er engagiert sich im rheinischen Landesverband der Sinti und Roma, ist Projektleiter der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus RLP. Hier können sich Betroffene, die als Sinti und Roma diskriminiert werden, auch online melden und den Vorfall schildern.

Es gebe Meldungen von Müttern nach Diskriminierung in Schulen. Ein Gewerbetreibender sei diskriminiert worden, als er eine Werbeanzeige in einer Zeitung habe schalten wollen. Er wurde aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt und bekam schlechtere Bedingungen als andere, sagt Kling. Diskriminierung ziehe sich durch alle Lebensbereiche, die es im Alltag gebe.

Das Z-Wort

"Wenn Menschen das Z-Wort nutzen, aus Unwissenheit oder mit Absicht, vergessen sie, dass hinter diesem Begriff das Schicksal vieler Menschen liegt", sagt Christian Kling. Dieser Begriff "Zigeuner" sei die Legitimation gewesen, diese Menschen zu ermorden.

Es sei für Sinti und Roma keine einfache Situation. Christian Kling wünscht sich schon in der Schule mehr Aufklärung und Sensibilisierung, den Abbau von Vorurteilen. So wäre es für jugendliche Sinti und Roma leichter, zur eigenen Identität zu stehen, ohne sie aus Angst verleugnen zu müssen.

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