Ricarda Funk hat im Kanuslalom eigentlich alles erreicht – ist Europameisterin, Weltmeisterin, Olympiasiegerin. In Paris aber will sie sich ihren Traum von "richtigen Olympischen Spielen" erfüllen.
Wenn Ricarda Funk ihr Boot mit ein, zwei Paddelschlägen vorantreibt, es scheinbar mühelos um die Torstangen lenkt, sieht alles ganz leicht aus. Kanuslalom, das Spiel mit Wasser und Walzen, mit Technik und Taktik, es ist Perfektion in Präzision – und für Ricarda Funk vielleicht noch ein bisschen mehr als das. "Kanuslalom ist ein fantastischer Sport", sagt sie im Gespräch mit SWR Sport, während der Regen an die Scheiben prasselt und die Wege rund um den Augsburger Eiskanal in tiefe, schlammige Pfade verwandelt hat.
Die Bäume neigen sich im peitschenden Wind, die Temperaturen sind eine ungemütliche Reminiszenz an den April, von Sommer sind sie weit entfernt. Es ist ungemütlich – auch für die Slalomkanutinnen im Kanal, die gegen die Kälte kämpfen – das Frieren eine Art Endgegner der dringend nötigen Leichtigkeit. Ricarda Funk beeindruckt das nicht. Nach ihren Läufen presst sie die Lippen aufeinander, steht im kurzen Rennoutfit bei Interviews und Analysen, stopft ihre nassen Haare erst viel später in eine Mütze ihres Sponsors.
Kanuslalom: komplex und knallhart
"Kanuslalom ist ein sehr komplexer Sport", erklärt die Olympiasiegerin von Tokio. "Wir haben die Komponenten Kraft, Ausdauer, aber eben auch diese knallharte Präzision. Es muss sitzen." Der Druck ist immens, schon kleine Fehler, vielleicht nur ein Moment der Unaufmerksamkeit können den Unterschied machen. "Und wir haben die technische Komponente – all das macht den Sport besonders." Entscheidungen als Wimpernschlag.
Und das weiß Funk nicht erst, seit sie in der Weltspitze angekommen ist. 2016 verpasste sie die Olympiaqualifikation. Dabei galt die Bad Kreuznacherin eigentlich als Topfavoritin – das Ticket für Rio aber holte sie nicht. Der Olympiatraum geplatzt, zumindest vorerst, in der Qualifikation für Tokio setzte sich Funk dann durch, voller Fokus auf die Spiele. Dass die wegen der Corona-Pandemie verschoben werden mussten, ein Rückschlag.
Olympiasiegerin in Tokio
Funk aber blieb bei sich, lieferte unter erschwerten Bedingungen in Tokio fast perfekte Läufe ab und krönte sich zur Olympiasiegerin. "Olympische Spiele sind das größte im Leben eines Sportlers", sagt Funk. Die Goldmedaille, der bis dahin größte Moment ihrer Karriere, all das, bedeutet ihr viel. "Tokio waren meine ersten Olympischen Spiele, aber: Das waren Corona-Spiele und mein Traum von Olympischen Spielen, der sah im Gesamtpaket ein bisschen anders aus." Keine Fans, keine Familie – all das fehlte.
"Sportlich gesehen war es der absolute Traum, aber ohne Kontakt zu den anderen Sportlern. Publikum, Zuschauer – ich glaube, Paris wird ein riesengroßes Fest für den Sport." Die großen Tribünen, die an der Strecke in Vaires-sur-Marne, etwa 30 Kilometer von Paris entfernt, aufgebaut wurden, hat Funk bei den Trainingseinheiten auf der Olympiastrecke schon gesehen. "Wenn ich mir vorstelle, dass meine Family da drin hockt und mitfiebert – das ist geil."
Familie folgt Funk nach Paris
Funk ist ein Familienmensch. Mit Papa Thorsten hat sie einst die ersten Paddelschläge gemacht, Mama Claudia drückt auch im strömenden Regen von Augsburg die Daumen, feuert lautstark an und ist ähnlich wie Tochter Ricarda unbeeindruckt davon, dass der Regen irgendwann von der Kapuze ihrer Jacke tropft. Dass sie in Paris dabei sein werden, bedeutet Funk viel.
Als sie sich im April in der internen Olympiaqualifikation des deutschen Teams durchsetzt, postet sie Bilder auf Instagram – mit ihren Eltern, versehen mit der Caption: "Da ist es, das Olympia-Ticket. Mama und Papa, endlich darf ich euch mitnehmen!" Und Olympia auch mit ihnen erleben. "Alle haben für den Sport gekämpft, alles reingegeben – auch meine Geschwister, ich freue mich, wenn ich denen ein bisschen olympisches Feeling geben kann."
Bis dahin will Funk das schaffen, was sie Raceroutine nennt. "Ich muss eins sein, mit dem Wasser", sagt Funk. "Bei uns sagt man ja immer so schön, das Popogefühl, also das Arschgefühl muss stimmen." Damit sie die perfekte Linie findet, auf ihrem Kurs, die Verbindung zum Wasser spürt, in ihrem Element ist.
Funk will sich Olympia-Traum erfüllen
Und wenn am 27. Juli dann der Countdown runterläuft, ein Piepen als akustisches Signal anzeigt, in ein paar Sekunden geht’s los? Dann will Ricarda Funk ganz bei sich sein – nicht mehr denken, voller Fokus auf den Vorlauf im Kajak Einer. "Am Ende ist es ja einfach nur ein Wettkampf", sagt sie und grinst. Aber eben bei den Olympischen Spielen. "Natürlich ist mein Traum, dass ich den Olympischen Traum mit dem sportlichen Traum, den ich ja schon in Tokio erlebt hab, verbinden kann und dass ich die Olympischen Spiele erlebe, von denen ich geträumt habe."