Seine ganze Karriere hat Frank Stäbler von der Olympia-Medaille geträumt. Doch kurz vor dem Turnier legte der Coronavirus den Ringer aufs Kreuz - dann kämpfte er mit dem Gewicht.
Am Ende blieben nur noch die Schuhe übrig. Keine Spur von Frank Stäbler und dem großen Glück. Keine Spur mehr von dem Kampf, den Stäbler gegen den Georgier Ramaz Zoidze und davor gegen sich selbst führte. Stäbler hatte die lang ersehnte Olympia-Medaille gewonnen und hat Schluss gemacht. Schluss mit Olympia, Schluss mit dem Ringen und Schluss mit der Quälerei, die so eine lange Ringer-Karriere mit sich bringt. Es war das Bild vollkommener Zufriedenheit nachdem ein Sportler sein Ziel erreicht hatte - und deswegen war es so beeindruckend.
Stäbler schaffte vor Olympia ein Hindernis nach dem anderen aus dem Weg
Dabei lief es lange nicht nach Plan: Stäbler war 2020 heftig an Corona erkrankt, litt an einer chronischen Schulterverletzung und musste in den Wochen vor Olympia eine kräftezehrende Diät halten, um das Gewicht für seine Klasse zu bringen. Und im olympischen Viertelfinale sah der Schwabe gegen den Iraner Mohammad Reza Geraei schon wie der sichere Sieger aus, als er den Erfolg in der letzten Minute noch aus der Hand gab. "Der Olympia-Gott wollte einfach nicht, dass ich Olympiasieger werde", Stäbler.
Offensichtlich wollte der Olympia-Gott Stäbler aber auch nicht ohne Olympia-Medaille abtreten lassen. Im "kleinen" Finale gab er ihm die Kraft, dem Georgier den Ramas Soidse standzuhalten. Der knappe 5:4-Sieg bedeutete die lang ersehnte Bronze-Medaille. Endlich kann Stäbler seinen Frieden mit Olympia machen. 2012 in London hatte er den Bronze-Kampf verloren, 2016 in Rio de Janeiro wurde er, geschwächt von einer Fußverletzung, Siebter. "Diese Karriere war irgendwie unvollendet. Dieses eine Stück hat noch gefehlt", sagte der Musberger damals im Gespräch mit SWR Sport.
Stäblers ist ein Mann der der großen Geste
Es war der letzte Profi-Kampf in Stäblers Karriere. Er zog seine Schuhe aus und ließ sie zweisam und allein im Ring stehen. Es war sicherlich keine spontane Geste. Frank Stäbler ist ein Showman. Er wusste genau, dass dieses Bild in Erinnerung bleiben würde. Seine ganze Karriere über hat er immer wieder dieses oder jenes inszeniert. "Ein Selbstdarsteller", sagen seine Kritiker. "Ein Mann, der einen Weg gefunden hat, sich über seine sonst nur wenig beachtete Sportart hinaus einen Namen zu machen und damit Geld zu verdienen", sage ich. Stäbler war seine gesamte Karriere über ein Mann der großen Geste. Dann muss er auch mit einer großen Geste abtreten.
Die Schuhe hätte Stäbler wohl auch ohne Medaille stehenlassen; das hatte er seiner Familie vor dem Turnier versprochen. Womöglich wäre der 32-Jährige auch so als zufriedener Mann abgetreten. Stäbler ist einer, der immer all in geht und es verkraften kann, wenn all in mal nicht zum ganz großen Erfolg gereicht hat.
Es lebe der gepflegte Männer-Kitsch
Dann hätte er auf seinen Motivationseminaren, mit denen er mittlerweile sein Geld verdient, immer noch von drei WM-Titeln erzählen können, die er 2015, 2017 und 2018 in drei verschiedenen Gewichtsklassen geholt hat. Doch dann wäre immer der wehmütige Moment gekommen, wo er erklären müsste, warum es trotz allen Talents und trotz all der Arbeit bei Olympia nie ganz gereicht hat. Mit Bronze ist das nun passé. Stäbler musste nicht zufrieden abtreten, er konnte glücklich gehen - und das mit einer Dramaturgie, wie aus einem Rocky-Balboa-Film.
Und als Fan des gepflegten Männer-Kitschs (wollen wir nicht alle ein bisschen Rocky sein?) muss ich sagen: Ich habe es ihm gegönnt. Und deswegen war Frank Stäblers Bronze-Kampf bei Olympia in Tokio mein Sportmoment des Jahres 2021.