Alina Böhms großer Olympia-Traum ist geplatzt - vorerst. Das verlorene Duell gegen Anna-Maria Wagner hat die 25-Jährige mitgenommen. Ihr Weg führt sie trotzdem nach Paris.
Als der WM-Kampf gegen die Polin Beata Pacut-Kloczko vorüber war, war da erst einmal nichts. Gar nichts. "Ich habe mich einfach unfassbar leer gefühlt. Da war einfach nur Leere und Herzschmerz", sagt Judoka Alina Böhm im Interview mit SWR Sport: "Es war ehrlich gesagt unbeschreiblich, so eine Emotion zu empfinden. Es war nicht nur, dass ich das Olympia-Ticket verloren habe, sondern dass auch keine WM-Medaille dabei herumgekommen ist. Das war der Worst Case. Es war sehr schwer."
Alina Böhm verliert Duell gegen Anna-Maria Wagner
Über mehrere Monate hatte sie sich einen spannenden Zweikampf mit Anna-Maria Wagner geliefert. In ihrer Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm zählen sie beide zur Weltspitze. Böhm steht mit 5.110 Punkten auf Platz sieben der Weltrangliste, Wagner mit 7.777 auf Platz zwei. Pro Gewichtsklasse darf jedoch nur eine Kämpferin pro Nation an den Olympischen Spielen teilnehmen.
Böhm hätte bei der Judo-WM in Abu Dhabi den Titel holen müssen, um ihre Konkurrentin auszustechen. Ein schwieriges Unterfangen. Das Aus kam bereits in der zweiten Runde. "Zunächst ist eine kleine Welt für mich zusammengebrochen", sagt die 25-Jährige. Den Titel schnappte sich ihre Konkurrentin aus Ravensburg.
Danach wollte sie erst einmal weg - weg aus Abu Dhabi und weg von allem, was mit Judo und Training zu tun hat: "Ich brauchte einfach mal Abstand." Ihr Zufluchtsort war Böbingen an der Rems. "Dann hat mich meine Familie wunderbar aufgefangen - auch meine Freunde. Das hat mir einfach gezeigt, was für wunderbare Menschen ich in meinem Leben habe, die mich auch in so einer Situation unterstützen, mich besucht haben, mit mir Zeit verbracht haben."
Freunde und Familie als emotionale Stütze
In einem emotionalen Instagram-Post schrieb sie unmittelbar nach dem Turnier, dass sie an der Niederlage wachsen und stärker zurückkommen wolle. Wie genau das aussehen kann, habe sie in Böbingen erlebt: "Ich habe eine unfassbar tolle Familie, einen tollen Freund und auch richtig tolle Freunde. Und zu sehen, dass Leute für einen da sind, wenn es mal nicht so gut läuft und man am Boden ist, das ist ein echt tolles Gefühl. Und zu sehen, wie viele tolle Menschen hinter mir stehen und auch für mich da sind, das war echt besonders für mich."
Alina Böhm fährt trotzdem zu Olympia nach Paris
Es blieb jedoch nicht allzu viel Zeit, die Niederlage zu betrauern: "Ich bin ja immer noch Ersatz. Das bedeutet, dass ich die ganze Vorbereitung mitmachen muss mit dem olympischen Team. Ich werde mich also so vorbereiten, als würde ich selbst die Olympischen Spiele kämpfen. Es ist natürlich schwierig, in so einer Situation Motivation zu finden. Da gilt es dann, sportpsycholgisch zu arbeiten, um mich trotzdem angemessen darauf vorzubereiten."
Und wenn sie ihren eigenen Olympia-Traum in diesem Jahr noch nicht erfüllen konnte, hilft sie wenigstens anderen, deren Olympia-Traum zu leben: "Ich fahre tatsächlich trotzdem nach Paris - und zwar als Trainingspartnerin. Es haben sich tatsächlich sehr gute Freunde von mir qualifiziert - Miriam Butkereit (Mittelgewicht, 63 bis 70 Kilogramm; d. Red.) und Renée Lucht (Schwergewicht, >70 Kilogramm; d. Red.). Wir haben die gesamte Qualiphase zusammen durchgestanden. Und jetzt werde ich sie auch das letzte Stück noch begleiten und unterstützen. Da gilt es dann für mich, meinen Stolz und meinen Herzschmerz hintanzustellen und für die beiden alles zu geben und sie bestmöglich auf ihren großen Wettkampf vorzubereiten. Obwohl das für mich sehr schwierig ist."
Grand-Slam- und EM-Medaillen bleiben
Auf dem langen Weg zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles ist dann vielleicht auch etwas Raum, die Leistungen in diesem Jahr richtig einzuordnen: "Ich habe mehrere Grand-Slam-Medaillen und zum dritten Mal in Folge eine EM-Medaille gewonnen. Dass es mit der WM nicht so geklappt hat, nagt natürlich sehr an mir. Aber an sich kann ich sehr zufrieden mit meinen Ergebnissen sein. Und irgendwann wird die Zeit kommen, in der ich auch auf die Sachen stolz sein kann."
Beim Judo geht es für Böhm um mehr als nur um den sportlichen Erfolg. "Große Titel und Medaillen bereichern die Karriere natürlich enorm, dafür macht man das ja alles", sagt Böhm. "Aber am meisten habe ich in meiner Karriere tatsächlich durch Niederlagen gelernt. Und ich denke, dass es auch dieses Mal so sein wird."
Rückschläge wie das Olympia-Aus nagen zwar an der 25-Jährigen, schärfen aber genauso ihr Profil als Athletin: "Ich möchte versuchen, auch für junge Sportler ein gutes Vorbild zu sein, dass auch, wenn alles mal nicht so läuft, sich Träume nicht erfüllen oder die Karriere mal große Täler aufweist, man es schafft, sich wieder aufzurappeln, da durch zu wandern und dass man auch mehr als nur ein Sportler ist."