Nick Woltemade trumpfte beim VfB Stuttgart zuletzt immer stärker auf. Der Offensivspieler belebt das Offensivspiel der Schwaben, weil er ein "unberechenbares Element" einbringt.
Es war ein Tor wie ein Gesamtkunstwerk. Ein Treffer, dessen einzelne Komponenten schon jeweils für sich wunderschön waren, doch erst die Kombination der einzelnen Teilleistungen machten ihn zu einem Meisterstück.
Die Rede ist von Nick Woltemades Ausgleich zum 2:2 gegen Union Berlin. VfB-Kapitän Atakan Karazor spielte knapp 35 Meter vor dem Tor der Eisernen einen scharfen Pass in den linken Fuß des an der Strafraumkante lauernden Woltemade. Karazor überspielte mit dieser Aktion gleich sechs Berliner Spieler. Und Adressat Woltemade verarbeitete den Ball perfekt. Der 22-jährige Sommer-Neuzugang des VfB Stuttgart nahm den Pass an und legte sich die Kugel in derselben, fließenden Bewegung vor. Dadurch düpierte er die Berliner Hintermannschaft und schob den Ball überlegt - halb mit der rechten Fußspitze, halb mit dem Außenrist - an Union-Keeper Frederik Rönnow vorbei. Ein Tor zum Zungeschnalzen, ein Treffer für Genießer.
Der "Woltemade-Impact" ist gegen Union sofort sichtbar
Woltemade war gegen die Köpenicker in der Halbzeitpause für den diesmal blassen Rechtsverteidiger Leonidas Stergiou in die Partie gekommen. Zu diesem Zeitpunkt führten die Gäste durch das Tor von Danilho Doekhi (37. Minute) mit 1:0. Kurz nach Wiederanpfiff erhöhte der Ex-Stuttgarter Rani Khedira (48.) sogar auf 2:0 für die Eisernen, ehe Woltemade dem Spiel eine andere Richtung gab. Der Ex-Bremer traf zum Anschluss (51.), dann zum Ausgleich (59.) und hatte insgesamt großen Anteil daran, dass der VfB das Spiel durch den Treffer von Atakan Karazor (69.) noch komplett drehen konnte und letztlich als 3:2-Sieger vom Platz gehen durfte.
Torhüter Nübel mit Patzer "Gute Energie, gute Teamleistung": Woltemade-Doppelpack krönt VfB-Aufholjagd
Zwischen Pokal und Champions League hat der VfB Stuttgart in einem irren Bundesliga-Spiel gegen Union Berlin einen 0:2-Rückstand noch in einen 3:2-Heimsieg gedreht - auch dank Joker Nick Woltemade.
Dafür gab's nach der Partie Sonderlob für Woltemade. "Natürlich war Nick der entscheidende Spieler. Er hat das Momentum kreiert, was uns in der ersten Halbzeit nie gelungen ist", sagte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß. "Er hat uns vor allem heute gezeigt, dass er sehr, sehr wichtig für uns werden kann", befand VfB-Kapitän Karazor. Woltemade selbst blieb bescheiden: "Das war sehr wichtig für uns nach den harten Wochen."
Beim VfB Stuttgart jetzt schon besser als bei Werder Bremen
Für Woltemade war es der erste Bundesliga-Doppelpack für den VfB Stuttgart. Er hat nun in acht Bundesliga-Spielen für die Schwaben mehr Tore (3) als in 41 BL-Partien für Werder Bremen (2) erzielt. "Kann man so sagen", bejahte der 22-Jährige nach Abpfiff im SWR-Interview die Frage, ob der Sieg samt seinen Treffern sein schönstes Spiel für den VfB bislang gewesen sei.
Nick Woltemade verändert die Statik des Spiels
Gegen Union tat sich der VfB Stuttgart deutlich leichter, als der 22-Jährige im Spiel war und die Schwaben somit neben Ermedin Demirovic einen zweiten Stürmer auf dem Feld hatten. In der ersten Halbzeit hatte sich der Bosnier oft mit drei Gegenspielern auseinandersetzen müssen, während Union Chris Führich und Enzo Millot zu doppeln versuchte. Woltemade veränderte dann die Statik des Spiels.
Der Mehrwert, den Woltemade für das Spiel der Schwaben haben kann, wird von Woche zu Woche deutlicher. Der 1,98-Meter-Mann musste sich beim Vizemeister zunächst hinter Deniz Undav und Demirovic sowie dem ausgeliehenen El Bilal Touré anstellen. Undav fehlt nun aber schon länger wegen einer Muskelverletzung, bei Touré, der an einem Mittelfußbruch laboriert, steht sogar das Saison-Aus im Raum. Woltemade wird mittlerweile gebraucht - und liefert.
Auf den Spuren von Serhou Guirassy
Trotz seiner Größe beeindruckt Woltemade mit seiner Technik - so wie es bei seinem Tor zum 2:2 gegen Union zu sehen war. Er ist sehr gut darin, den Ball unter Druck auf engstem Raum anzunehmen, ihn zu sichern und abzuschirmen und sich zu behaupten. Speziell mit dem Rücken zum Tor eine Qualität, die in der letzten Saison im VfB-Angriff Serhou Guirassy (mittlerweile beim BVB) perfektioniert hatte - und die bei Demirovic eher eine Schwäche ist.
Zudem spielt Woltemade eine Art "schwimmenden Stürmer", oder, wie es im modernen Fußball-Slang heißt: er gibt einen "fluiden Angreifer". Beides meint, dass sich der 22-Jährige aus dem Angriffszentrum auch gerne einmal in den Zehnerraum oder auf die Flügel fallen lässt, was ihn für die gegnerischen Abwehrspieler schwer greifbar und unberechenbar macht. Gleichzeitig entwickelt sich Woltemades Gespür dafür, wann er in die Tiefe gehen muss, deutlich. Zudem hat der Offensivspieler eine gute Übersicht und ist ein Faktor im Kombinationsspiel.
Eine herausragende Quote bei den Torbeteiligungen
Es ist verständlich, dass angesichts seines jungen Alters noch nicht alles klappt, aber er ist auf einem guten Weg. Die Zahlen stimmen bereits. In elf Pflichtspielen für den VfB Stuttgart hat er sechs Tore erzielt und einen weiteren Treffer vorbereitet - und das bei nur 425 Minuten Einsatzzeit. Im Schnitt ist Woltemade also alle 71 Minuten an einem Tor beteiligt - ein Spitzenwert. Vor allem auch angesichts der Tatsache, dass er in der Bundesliga noch nicht von Beginn an ran durfte.
So kann es also weitergehen. Doch jetzt muss Woltemade erst einmal eine ungewollte Zwangspause einlegen. In der Champions League gegen Young Boys Bern (Mittwoch, 21 Uhr/live im Audiostream auf sportschau.de) fehlt der Angreifer. In der Königsklasse ist er aufgrund der Regularien Ende August nicht gemeldet worden. Jetzt könnte ihn der VfB gut brauchen.
Am kommenden Sonntag (15:30 Uhr) tritt Stuttgart dann zum Baden-Württemberg-Duell beim 1. FC Heidenheim an. Nach seiner Leistung gegen Union ist Woltemade dann definitiv ein Startelf-Kandidat. Die Zeit scheint reif, eine Berufung von Beginn an hätte er sich durch seine Leistungen verdient. Nach seinem erstmaligen VfB-Doppelpack könnte Woltemade dann somit die nächste Premiere feiern: Das Bundesliga-Startelfdebüt für Stuttgart.