Knut Kircher ist seit dem 1. Juli 2024 neue Geschäftsführer der DFB Schiri GmbH, also der Boss der Schiedsrichter in Deutschland. In SWR1 Stadion spricht Kircher über seinen neuen Job, den VAR und den Umgang mit Schiedsrichtern.
SWR Sport: Herr Kircher, Sie waren selbst lange und erfolgreicher Bundesliga- und internationaler Schiedsrichter. Sie haben 244 Bundesligaspiele gepfiffen. Und jetzt sind Sie der Geschäftsführer "Sport und Kommunikation der DFB Schiedsrichter GmbH" wie es ganz offiziell heißt. Was ist anstrengender? Schiri auf dem Platz oder Chef neben dem Platz?
Knut Kircher: Neben dem Platz. Denn auf dem Platz hat man selber immer noch irgendwie das Heft des Handelns in der Hand. Jetzt kümmere ich mich um viele Aufgaben. Da geht es um die Spielansetzungen der Schiedsrichter in der ersten und zweiten Liga. Und das ist dann immer mit einem Vertrauensvorschuss, mit etwas Loslassen verbunden. Am Ende des Tages müssen es die aktiven Schiedsrichter umsetzen. Vor so einem Wochenende ist es von Nervosität geprägt.
Sind Sie heute nervöser, als Sie es damals waren, vor einem Bundesligaspiel vor 75.000 Fans?
Naja, ich würde nicht sagen, dass ich nervöser bin. Ich bin angespannt. Ich bin freudig erregt vor so einem Fußball-Wochenende. Und dennoch fiebert man mit den Jungs mit, dass sie es hoffentlich alles richtig machen.
Auf der DFB-Homepage steht unter einem Bild von Ihnen und Ihrem Vorgänger, Lutz Michael Fröhlich, der Satz, dass sie "das Schiedsrichterwesen auf das nächste Level bringen" wollen. Wie schwer ist das so nach den ersten Wochen im neuen Job?
Das ist bekanntermaßen schwer und jetzt nichts Überraschendes. Es war holprig an den ersten Spieltagen, gerade die Bundesliga. Ich habe es mir nicht anders vorgestellt. Also bin ich nicht überrascht von dem, wie es losgegangen ist. Aber ich freue mich dennoch, jeden Tag irgendwie mit den sportlichen Leitern der einzelnen Ligen und Bereiche etwas zusammen gestalten zu können und, wie gesagt, auch das nächste Level anzugehen.
Kircher: Hätte den VAR gerne probiert als aktiver Schiedsrichter
Kommen wir zum Thema VAR. Sie haben bis 2016 Bundesliga gepfiffen. Damals gab es den Videoassistenten noch nicht. Hätten Sie ihn sich zu Ihrer Zeit schon gewünscht?
Ich hätte ihn mir deshalb gewünscht, weil ich ihn einfach hätte probieren wollen - wenn man da auf dem Spielfeld ist und man hat noch einen Dialog mit Köln und wird vielleicht mal in der einen oder anderen Situation auch raus an den Monitor geschickt. Als Schiedsrichter auf dem Platz hatte ich das leider nicht, da habe ich zu früh aufgehört. Wenn ich jetzt zurückschaue, auch auf meine Entscheidungen, da waren natürlich nicht nur die ganz tollen Entscheidungen dabei. Da waren auch Entscheidungen dabei, die zugegebenermaßen mit dem Einsatz eines Video-Assistant-Referees hätten umgedreht werden müssen.
Mein Eindruck ist, dass man mit der Einführung des Videoschiedsrichters zwar gerechter werden wollte, aber auch so ein bisschen die Schiedsrichter aus dem Fokus nehmen wollte. Das Gegenteil ist in meinen Augen passiert. Teilen Sie diese Ansicht?
Ja, das ist eine unschöne Entwicklung, die sich da die letzten sieben Jahre so aufgetan hat. Wenn man das nimmt und die Fakten, woraus der VAR entstanden ist, dann waren es die klaren, offensichtlichen Dinge, die die Kameras zwar erfasst haben, aber die Schiedsrichter nicht erkannt haben. Die Definition 'was ist jetzt klar und was ist offensichtlich" da scheiden sich die Geister. Nimmt man also die Ursprungsmotivation bei der Einführung des VAR und heute dann unsere ganzen Regel-Interpretationen, dann müssen wir uns schon fragen, ob diese Ausgangssituationen von damals noch gelten.
Man kann nach jedem Wochenende ja munter diskutieren. Jetzt sind zwei Spieltage gerade gespielt in der laufenden Saison, und es gibt schon wieder jede Menge Kritik an den Bundesliga-Schiedsrichtern. Zwei Beispiele vom letzten Spieltag: Die Elfmeterszene beim Spiel Bayern gegen Freiburg, Handspiel oder nicht? Oder das Foul von Stuttgarts Milliot am Mainzer Jonny Burkhardt. Es wird in alle Richtungen darüber diskutiert. Inwiefern lassen Sie sich da mit reinziehen und vielleicht auch runterziehen? Oder ploppt das alles an Ihnen ab?
Runterziehen lasse ich mich gar nicht, weil ich mich darauf eingelassen habe. Ich bin da gar nicht emotional getrieben, sondern eher fachlich. Zu den Szenen, die Sie ansprechen: Nehmen wir einfach mal die Szene in Stuttgart. Ja, der Stuttgarter berührt den Mainzer, bringt den zu Fall. Das ist ein Vergehen im Ermessen des Schiedsrichters. Das kann man pfeifen, muss man aber nicht. Es gibt immer noch einen Graubereich. Es gibt immer noch einen Ermessensbereich innerhalb der Regel.
Aber: Da müssen die Abläufe besser passen. Da gucke ich nach vorne, lösungsorientiert, nicht nach hinten. Ich frage mich, wie wir es beim nächsten Spiel machen, wenn wieder so eine Situation kommt. Wir müssen in der Abstimmung in den Prozessen noch besser werden. Wer gemeint hat, dass bei der Europameisterschaft und in der letzten Bundesliga-Saison der VAR diskutiert worden ist und dass jetzt der neue Chef kommt und plötzlich ist alles viel, viel besser... Da weiß ich nicht, ob das nicht ein bisschen zu großes Wunschdenken gewesen ist.
Kircher: Gehen Angriffen auf Schiedsrichter mit Staatsanwaltschaft nach
Vom VAR würde ich gerne noch weggehen, hin zu Bundesliga-Schiedsrichter Sascha Stegemann. Der hat in einem Interview mit dem ZDF von Morddrohungen berichtet, die gegen ihn im Netz ausgesprochen worden waren. Und er hat geschildert, wie das nach einer Fehlentscheidung beim Spiel Bochum gegen Dortmund losging. Stegemann hatte vier Wochen lang Polizeischutz. Was kann der DFB dagegen tun, dass es so ein wirklich verabscheuenswürdiges Verhalten sogenannter Fans nicht mehr gibt?
Wir haben da eine Kooperation mit der Staatsanwaltschaft in Frankfurt, dass solche Diskriminierungen, solche persönlichen Angriffe nicht passieren. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ist solchen Dingen auch schon mehrmals erfolgreich nachgegangen. Andere Landesverbände und Sportverbände schließen sich uns mittlerweile an. Das ist eine juristische Hilfestellung, die wir den Schiedsrichtern dort geben. Und auf der anderen Seite gilt es, solche Dinge auch zu verarbeiten, die einem wie jetzt Sascha Stegemann passieren.
Hätten Sie Verständnis gehabt, wenn Stegemann gesagt hätte: "Knut, es reicht mir. Ich habe keinen Bock mehr"?
Ja, natürlich. Das Thema Gewalt und körperliche Androhung von irgendwelchen Dingen oder Mordandrohungen, die gehören für mich nicht beim Sport dazu. Das ist immer noch Sport. Manche erkennen da gar keine Grenzen mehr zum eigentlichen Sportereignis. Das finde ich sehr fatal. Wir sind da ganz eng mit unseren Schiedsrichtern im Austausch und auch die bekommen, wenn sie es selber wollen, eine sportpsychologische Begleitung. Diese Dienstleistung bieten wir an. Und am Ende des Tages entscheidet der Schiedsrichter mit uns in der Führung zusammen, ob er wieder so weit ist oder ob er noch ein bisschen Zeit braucht. Da drängen wir niemanden, sondern das kommt immer in gegenseitiger Absprache.