Patrick (Fritz Karl) und Claire (Cosima Henman) sitzen gemeinsam am Tisch und reden.

"Sugarlove"

Autorin Silke Zertz zu „Sugarlove“

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Fragen an die Autorin Silke Zertz zum Thriller "Sugarlove"

Das Paar, das im Mittelpunkt von „Sugarlove“ steht, entscheidet sich für ein zumindest anscheinend sachliches Outsourcing zur Bewältigung eines Problems in ihrer Beziehung. Was hat Sie zu diesem Fokus bewogen? 

Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit dem Werk der Soziologin Eva Illouz, die untersucht, wie sehr der Kapitalismus auch die Welt der Gefühle durchdringt. Romantische Liebe ist zur Ware geworden, buchbar und bezahlbar auf Dating-Webseiten, verfügbar und käuflich wie beinah alles in unserer kapitalistischen Welt. Das gilt für sexuelle Abenteuer in gleicher Weise wie für auf Langfristigkeit angelegte Beziehungen, sie werden von Algorithmen angebahnt und ausgerechnet. Ziel ist es, persönliche Bedürfnisse möglichst optimal zu bedienen, indem man Emotionen verfügbar macht. Das „Unverfügbare“ aber, wie der Soziologe Hartmut Rosa es nennt, ist das, was sich der Konsumierbarkeit entzieht, indem es sich nicht berechnen, nicht kontrollieren lässt, das Unverfügbare ist das, was in uns Menschen Resonanz erzeugt und was uns auf einer tiefen Ebene verbunden sein lässt mit der Welt. Das Unverfügbare erzeugt Glück.

Diese gedankliche Basis hat mich zu „Sugarlove“ inspiriert. Denn die Beziehung zwischen einem „Sugardaddy“ und einem „Sugarbabe“ hat eine besonders reizvolle Ambivalenz. In ihr gibt es das Element der Käuflichkeit – Patrick bezahlt Claire die Rechnungen. Aber zugleich gibt es auch eine Illusion von selbstbestimmter Beziehung – beide würden sich niemals mit Prostitution auf eine Stufe stellen. Beide haben Gefühle füreinander. Gleichzeitig aber auch die Verabredung, diese Gefühle zu ignorieren. Das fand ich ungemein reizvoll als Ausgangspunkt, und daraus ist die Idee von „Sugarlove“ entstanden: Zwei sehr intelligente, gebildete Kopfmenschen geben sich der Illusion hin, sie hätten in diesem Arrangement alles unter Kontrolle. Um bald zu realisieren, dies ist mitnichten der Fall.

Überschätzen sich die Beteiligten?

Natürlich wissen Patrick und Julia, dass sie ein Risiko eingehen. Aber auch der Leidensdruck ist enorm hoch: weder wollen sie den unbefriedigenden Ist-Zustand akzeptieren, noch die Ehe beenden. Beide haben, wenn man so will, einen hohen Anspruch an individuelles Glück und wenig Bereitschaft, Kompromisse zu machen. Also wagen sie ein Experiment, in dem sie Sexualität und Liebe versuchen zu trennen. Was dann aber kolossal aus dem Ruder läuft, denn die junge Frau Claire entzieht sich jeder Kontrolle. Sie ist ein Mensch mit starken Gefühlen, sie ist in der Vergangenheit verletzt worden und deshalb unberechenbar. Auch für sie ist das Unverfügbare das, was sie magisch anzieht: Patricks Liebe zu Julia und seiner Familie. Ausgerechnet seine Fürsorglichkeit, seine Fairness weckt in ihr den Wunsch nach mehr. Als sie hört, dass nicht Patrick, sondern Julia die Drahtzieherin des Arrangements ist, gerät sie in narzisstische Wut und beginnt ihr zerstörerisches Werk.

Alle drei geben sich der Illusion hin, sie hätten ihre Gefühle unter Kontrolle. Alle drei reden sich das Arrangement schön. Ist es nur Lifestyle, für Geld mit Männern zu schlafen? Ein gutes Geschäftsmodell, eine win-win-Situation für alle? Oder ist es doch Prostitution? Wir geben keine Antworten, problematisieren aber das Machtgefälle in der Beziehung. Julias Freundin Terry bringt es im Film einmal auf den Punkt: „Wenn einer Geld hat und der andere keins, dann ist gar nichts freiwillig.“

War von Anfang an klar, dass die Geschichte ein Thriller werden wird?

Das Thrillergenre ist für einen Stoff wie „Sugarlove“ die kongeniale Form. Dieses Genre lebt von diesem „look-over-your-shoulder“-Effekt, die Zuschauer:innen wissen mehr als die handelnden Figuren, das erzeugt Spannung. Der Film lebt von seiner ausgeklügelten Struktur, in der wir die Zwölf-Stunden-Zeitebene der polizeilichen Ermittlungen verschachteln mit dem Drama des zurückliegenden halben Jahres. Auf der einen Seite sorgt also das geschehene Verbrechen für Rätsel, auf der anderen Seite können wir dabei zusehen, wie sich Unheil über Julia und Patrick zusammenbraut.

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Autor/in
SWR