Die Aula auf einen Blick:
Umstritten: "Schreiben nach Hören"
Ganzwortmethode, Mengenlehre – alles Schnee von gestern. Schon seit einigen Jahren wird getreu nach Jürgen Reichen "Schreiben nach dem Hören" gelehrt. Kinder sollen also so schreiben, wie sie ein Wort hören.
Reichen glaubte daran, dass Kinder sich die Schriftsprache selbst aneignen können, genauso wie sie einst laufen und sprechen lernten.
Mehr als eine Anlauttabelle wollte er ihnen dafür nicht an die Hand geben. Sie zeigt Bilder: Ein Fisch schwimmt hinter dem F, eine Tasse erscheint hinter dem T, ein Ü steht für Überholverbot und so weiter.
Die Erstklässler sollten von Anfang an die Laute, die sie für das Wort brauchen, selbst aus der Tabelle zusammensuchen.
Doch die Anlauttabellen haben ihre Tücken. So gibt es eine Anlauttabelle mit einem Igel für I. Ein sehr irreführendes Beispiel mit einem lang gesprochenen I, das im Deutschen meist mit "ie" verschriftet wird.
Niemand wird sich also ernsthaft wundern können, wenn die Kinder später auch Biene ohne e schreiben, denn das lange I hatten sie beim Igel ja auch ohne e gesehen.
Fibellernen oder Schreiben nach Gehör?
Seit etwa 15 Jahren werden beide Methoden des Schreibenlernens empirisch miteinander vergleichen. Die Befundlage ist ziemlich komplex, wenn auch nicht sonderlich überraschend.
In den Klassen, die nach der Methode "Lesen durch Schreiben" lernen, sind die Rechtschreibleistungen deutlich schlechter als in Klassen mit der herkömmlichen Fibel. Das gilt ganz besonders dann, wenn in den Fibelklassen freies Schreiben erst spät zugelassen wird.
Wenn wirklich von der dritten Klasse an Rechtschreibfehler konsequent korrigiert würden, glichen sich die Lerneffekte des Schreibens nach dem Hören und des bisherigen Schreibenlernens mit der Fibel wieder an. Doch davon kann kaum die Rede sein.
Fatale Folgen, wenn frühes Korrigieren ausbleibt
Hat sich Jürgen Reichen eigentlich einmal in ein Kind versetzt, das eine Geschichte schreibt und dann die Erfahrung machen muss, dass sie von niemandem verstanden wird, weil sie schlicht nicht lesbar ist?
Muss das nicht eine Riesenenttäuschung für die Fantasie und Schreibanstrengung sein? Schließlich sind Lesen und Schreiben in erster Linie Kommunikationsmittel und keine sinnfreie Fantasieübung.
Vielerorts scheint es so zu sein, dass in der Grundschule alle Regelverfehlungen geduldet werden. Die Korrektur wird auf später, häufig auf die Sekundarschulen verlagert. Und das ist fatal. Denn sie müssen dann gegen hartnäckig eingeübte Fehlerorthografie ankämpfen.
(Produktion 2018)