Als Leonard Cohen am 7. November 2016, starb, trauerten Fans in aller Welt. In seiner Heimatstadt Montreal wehten die Flaggen auf Halbmast. Cohen wurde 82 Jahre alt, fast ein halbes Jahrhundert war er im Musikgeschäft.
Songs wie "Suzanne" oder "Halleluja" sind heute Klassiker der Popgeschichte. Zeit seines Lebens galt Leonard Cohen als Frauenheld und als hypnotischer Sänger, der in seinen Liedern und Texten melancholische Stimmungen schuf und der Verzweiflung huldigte.
Doch das ist nur eine oberflächliche Sicht auf sein Werk. Das Leitmotiv fast aller seiner Texte ist die spirituelle Frage nach dem Sinn des Menschseins angesichts von Leid und Katastrophen.
Poesie und Gebet
Leonard Cohen wurde am 21. September 1934 in einem Vorort von Montreal geboren, als zweites Kind einer wohlhabenden Familie. Sein Vater war Kleiderfabrikant, und Leonard blieb dieser Herkunft treu, indem er zeitlebens maßgeschneiderte Anzüge trug.
Cohens Familie war jüdisch, beide Eltern stammen von Rabbinern ab; die Familie väterlicherseits war maßgeblich am Bau der Synagoge von Montreal beteiligt. Der Vater von Cohens Mutter, Solomon, war ein echter Kohen, ein Schriftgelehrter, der das Buch Jesaia auswendig kannte und mit dem Leonard angeregte Gespräche über die Heilige Schrift führte.
Nicht nur das Alte Testament ist Thema in Cohens Songs. Auch jüdische Gebete haben ihn inspiriert, und Pop- und Folksounds verbinden sich in diesen Stücken mit der Lyrik der jüdischen Liturgie.
Publikum singt für ihn
In dem Dokumentarfilm "Bird on a Wire" von Tony Palmer sieht man Cohen immer wieder mit wirrem Haar und leicht gesenktem Kopf auf der Bühne sitzen, er zupft seine Gitarre und hat sichtlich mit sich und der Situation zu kämpfen. Er will seine Songs meditativ ausfüllen, während er sie singt, und er kämpft mit seiner Unsicherheit vor dem Publikum.
Die Lösung sucht er in Haschisch, LSD und Amphetaminen, so dass er öfter verstört und in sich gekehrt wirkt. Sein letztes Konzert der Tour in Jerusalem bricht er ab, weil er sich nicht authentisch findet. Doch dann beginnt das Publikum, für ihn zu singen. Berührt kehrt er für einen letzten Song auf die Bühne zurück.
Für Leonard Cohen war die Auseinandersetzung mit dem, was Menschen einander antun können, ein Lebensthema. Aus diesem Blickwinkel schaute er auch auf die große menschliche Tragödie des 20. Jahrhunderts, den Holocaust. Einen frühen Gedichtband nannte er "Blumen für Hitler". In seinen Songs erscheinen die Vernichtungslager nur, wenn man genau hinhört.
Stimme der Wahrheit
Zum Beispiel in dem Lied Dance Me to the End of Love. Das ist ein Liebesschwur im Angesicht des Todes. Es geht hier vordergründig um eine Aufforderung zum Tanz, doch es ist eine brennende Violine, die das Lied spielt, der Tanz soll den Schrecken nehmen und den Sänger sicher nach Hause bringen.
Dance me to the End of Love assoziiert die Gräuel im Konzentrationslager, es ist ein verzweifelter Tanz bis in die Gaskammer, ein Tanz, zu dem jüdische Geiger aufspielen müssen, die selbst dem Tod geweiht sind.
Vielleicht ist es diese "Stimme der Wahrheit", die Cohens Halleluja zu dem meist gecoverten Song aller Zeiten macht. Er kam 1984 auf dem Album "Various Positions" heraus. Damals fiel das Stück niemandem auf. Doch einige Jahre später begann Bob Dylan, Halleluja auf Life-Konzerten zu singen, und John Cale rückte den Song ins Scheinwerferlicht, als er ihn für das Cohen-Tribute-Album "I’m Your Fan" aufnahm.
Gang ins Kloster
Im Jahr 1993 lässt Cohen alles hinter sich: die Musik, seine damalige Lebensgefährtin – die bekannte Schauspielerin Rebecca de Mornay –, seine Kinder und seinen Ruhm. Er zieht sich zurück auf den Mount Baldy in der Nähe von Los Angeles. Dort führt ein japanischer Meister ein strenges Zen-buddhistisches Kloster.
Im Zen-Kloster in den Bergen schrieb Cohen Songs, komponierte, arbeitete an Skizzen und Gedichtbänden und meditierte. Doch nach sechs Jahren holte ihn auch hier das Gefühl der Sinnlosigkeit ein. Er kochte dem Roshi ein letztes Lachs-Teriyaki, zeichnete eine indische Tempeltänzerin mit einem entschuldigenden Satz auf ein Blatt Papier und reiste nach Indien.
Von seinem Aufenthalt dort und den Belehrungen durch den hinduistischen Lehrer Ramesh Balsekar ist wenig bekannt. Aber offensichtlich gelang Cohen ein wirklicher innerer Durchbruch, der ihn einer freudvollen Lebenseinstellung näherbrachte. Doch diese Haltung wird bald auf eine harte Probe gestellt.
Zurück auf der Bühne
Denn Cohen muss feststellen, dass seine Managerin sein gesamtes Vermögen veruntreut hat. Es folgen lange und zähe Gerichtsverhandlungen. 2006 gewinnt er zwar den Prozess, erhält aber keinen Cent von den knapp 8 Millionen Dollar zurück.
Cohen steht vor der Wahl, in Armut alt zu werden oder wieder Konzerte zu geben. Doch der Leonard Cohen, der nun mit 70 Jahren auf der Bühne steht, ist faszinierender denn je.
Cohen ist heiterer, selbstsicherer. Ganz Gentleman mit Anzug und Hut singt er hingebungsvoll in sein Mikrofon. Er wirkt immer noch in sich gekehrt, doch gleichzeitig zeigt er sich humorvoll und ignoriert sein Alter, wenn er theatralisch auf die Knie geht oder immer wieder kleine Tanzeinlagen bringt.
Scherben und Licht
Und nun fällt es ihm auch sichtlich leicht, seine Liebe zum Publikum auszudrücken und sich den Fans zuzuwenden. Er scheint durch seine Zeit im Kloster und in Indien tatsächlich zu einer gewissen Leichtigkeit gefunden zu haben.
In der kabbalistischen Schöpfungsgeschichte wird das Licht Gottes in Vasen bewahrt, und aus den Scherben einer dieser Vasen entsteht die Welt. "There is a crack in everything, that’s how the light gets in", heißt es in Cohens Song Anthem. Es ist ein Riss in allem, so kommt das Licht herein.