Konzertvideo für das Ultraschall-Festival Berlin 2021

"Round-robin" von Vito Žuraj mit dem SWR Experimentalstudio

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AUTOR/IN
SWR Classic

Corona und kein Ende in Sicht: Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass eine Konzerteinladung nach Berlin zum Ultraschall-Festival schließlich in einer Studio-Produktion enden würde?

Auf dem Programm stand unter anderem:
Vito Žuraj
Round-robin für Akkordeon und Live-Elektronik (2014)

Interpreten:
Teodoro Anzellotti (Akkordeon) • Joachim Haas, Vito Žuraj (Klangregie)

Immer wieder überraschende Herangehensweisen, sinnlich und direkt ansprechend im Klangresultat, dabei gewissenhaft und mit äußerster Genauigkeit in den Strukturen ausgearbeitet, diese Momente prägen das Komponieren von Vito Žuraj. In seinen Werken stellt er sich stets wechselnden Herausforderungen, auf die er sich experimentierfreudig einlässt. "Jedes Werk ist eine neue Station auf dem Weg", hat Vito Žuraj vor einigen Jahren erklärt, "Umschwünge im Stil und in der Kompositionstechnik werden bewusst gewagt". Er glaube, so der Komponist, es tue seinem Schaffen gut, "dass ich immer wieder einen anderen Weg einschlage und damit auf einer anderen Ebene meine künstlerischen Ideen hervorbringe".

Das Stück Round-robin für Akkordeon und Live-Elektronik aus dem Jahr 2014 ist durch seine Genese gleich doppelt mit dem SWR Experimentalstudio in Freiburg verbunden. Die Entstehungsgeschichte reicht ins Jahr 2010 zurück, als Vito Žuraj an seinemWerk Zgübleni für Mezzosopran, Ensemble und Live-Elektronik arbeitete. Für die Live-Elektronik von Zgübleni probierte er verschiedene Verfahren im SWR Experimentalstudio aus. Als bestimmte Celloklänge für rotierende Filter eingespielt wurden, ereignete sich etwas Unvorhergesehenes, ein kleiner Unfall: Aufgrund einer Übersteuerung wurde eine perlende Kette elektronischer Signale ausgelöst. Das, was zu hören war, ein rasanter, unbändiger Zickzackverlauf voller Sekunden, Quarten und Quinten, faszinierte Vito Žuraj. Er wählte einen Ausschnitt dieser durch Zufall elektronisch generierten Melodielinie aus und übertrug sie als Tonfolge in die Anfangssequenz seiner 2012 entstandenen Komposition Silhouette für Akkordeon solo. "Es hat sich so wunderbar angeboten, diese Vorlage für den Anfang eines Akkordeonstücks zu verwenden und ihm so eine individuelle Note zu verleihen", so Vito Žuraj.

Der markante Melodieverlauf des Anfangs, der seinen Ursprung im SWR Experimentalstudio hatte, wurde zwei Jahre später noch weiter genutzt: in Round-robin für Akkordeon und Live-Elektronik, entstanden 2014, einer Fortschreibung des Akkordeonparts aus Silhouette. Hier ergibt sich die zweite Verbindung zum SWR Experimentalstudio: Für die Entwicklung der Live-Elektronik hat Vito Žuraj in Berlin mit dem Klangregisseur Gregorio García Karman zusammengearbeitet. Dieser leitet seit 2012 das Studio für Elektroakustische Musik an der Akademie der Künste im Hanseatenweg im Berliner Stadtteil Tiergarten. Davor arbeitete Gregorio García Karman lange Jahre in Freiburg im Team des SWR Experimentalstudios. Mit den Klangvorstellungen und technischen Möglichkeiten der Verarbeitung, die Vito Žuraj und Gregorio García Karman aus Freiburg kannten, haben sie in Berlin den Versuch gestartet, vergleichbare Mittel der Live-Elektronik einzusetzen.

Der Akkordeon-Virtuose Teodoro Anzellotti, der Round-robin auch für das Festival Ultraschall Berlin 2021 interpretiert hat, brachte das Stück 2014 zur Uraufführung – im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Berliner Akademie der Künste, die unter dem inspirierenden Motto "Schwindel der Wirklichkeit" stand. Vito Žuraj bezeichnet sein Stück Round-robin als "ein Schattenspiel: das, was das Akkordeon spielt, übernimmt die Elektronik in einer transponierten und überarbeiteten Weise. So entsteht ein Dialog zwischen einem realen Akkordeon und einem künstlichen. Und diese beiden sind im weiteren Verlauf nicht mehr auseinanderzuhalten. " Es gibt dabei jedoch nicht nur einen live-elektronisch generierten Schatten als Grundprinzip, sondern mehrere. Sie alle werden im Verlauf von Round-robin nicht nur mit dem Akkordeon, sondern mittels der Live-Elektronik auch untereinander kombiniert: nach dem Prinzip eines Rundenturniers, bei dem jeder Teilnehmende gegen jeden antreten muss. Aus dieser Anordnung leitet sich der Werktitel Round-robin ab. Als passionierter Tennisspieler hat Vito Žuraj reichlich Erfahrung mit solchen Turnieren und wählt mit dem ihm eigenen schalkhaften Hintersinn gerne Titel aus der Welt des Sports für seine Kompositionen.

Die dynamische Energie eines Rundenturniers vermittelt sich in seiner Musik für Akkordeon und Live-Elektronik unmittelbar: Der Akkordeonpart, der schon zu Beginn mit seinen rasant verlaufenden, verschlungenen Tongirlanden lustvolle Opulenz demonstriert, wird durch die Live-Elektronik nicht nur klanglich angereichert, sondern erhält auch erweiterte Möglichkeiten der Kontrastbildung: Elektronische Klänge in hohen Registern stehen tiefen Akkordeonklängen gegenüber, virtuosen Läufen im Akkordeon begegnet die Elektronik mit eigenen Entsprechungen. Wenn das Akkordeon vollgriffige Akkorde spielt, hält die Elektronik mit gleißenden Klangfeldern dagegen. Rhythmisch bewegte Passagen des Akkordeons werden als Impulse von der Live-Elektronik übernommen, um sie in hohe Register zu transponieren, die jenseits des tatsächlichen Tonumfangs des Instruments liegen. Gegenakzente, gekörnte Strukturen, schlanke Linien, flächige Einsätze, dies alles wird bei diesem angeregten Rundlauf mit seinen vielfältigen Finten gegeneinandergesetzt. Von welchem der Akteure jedoch die Einsätze kommen, vom realen Turnierpartner oder von einem der live-elektronisch generierten akustischen Avatare, dies lässt sich im Eifer dieses Gefechts hörend tatsächlich nicht mehr auseinanderhalten. Gerade dieses vielgestaltige Vexierspiel zwischen realem Akkordeonklang und seinen mehrfachen Transformationen macht den großen Reiz in Vito Žurajs Stück Round-robin aus. (Eckhard Weber)

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