Werke des Jahres 2007

War zones

Stand

Elliott Sharp / Bernhard Lang

Szenarien der Angst

Zum Projekt War Zones von Elliott Sharp und Bernhard Lang

Es liegt Düsteres in der Luft. Zweifellos hat die verheerende Politik der USA unter George W. Bush zu einer Eskalierung der gegenwärtigen Weltsituation geführt. Der ungerechtfertigt angezettelte Irak-Krieg ließ die ohnehin schon tiefen Gräben zwischen den westlichen Industrienationen und der Dritten Welt noch unüberbrückbarer werden. Und die Strategie des offenen Kampfes gegen die vermeintliche “Achse des Bösen” erwies sich als gefährlicher Bumerang, der aufgebrachte Muslime in eine Art permanenten Guerillakrieg gegen die westliche Welt treten ließ, der sie dort trifft, wo sie sich am verwundbarsten zeigt: an den kommunikativen Schnittstellen des Kapitals.

Diese Eskalation der Gewalt, die Teile Europas und der USA immer wieder in unvorhersehbare “Kriegszonen” verwandelt, einer Nation oder gar der Politik eines einzelnen Mannes anzulasten, griffe freilich viel zu kurz: Es sind vielmehr die sich unaufhaltsam ausbreitenden Mechanismen und inhärenten Widersprüche des Kapitalismus, die die Schere zwischen den Industrieländern und der Dritten Welt täglich breiter werden lassen und dadurch zum geheimen Motor jenes religiösen Fanatismus werden, in dem die Gewalttäter eine Art göttliche Legitimation zu erhalten glauben.

Gewaltbereitschaft macht sich aber nicht nur bei Vertretern der zunehmend ärmer werdenden Länder breit, sondern auch bei jenen der reichen Industrienationen. Hier ist es eine meist jugendliche Stadtguerilla, die ihren Frustrationen in immer brutaleren und irrational fremden-feindlichen Aktionen Luft macht. Dass der “Industrialismus die Seelen versachlicht”, hatten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno bereits in den vierziger Jahren in ihrer “Dialektik der Aufklärung” konstatiert. Nun ist dieser Prozess offenbar so weit fortgeschritten, dass sich im blinden Hass selbst unmittelbare Nachbarn oder Kommilitonen in Schulen zu entseelten Dingen reduzieren lassen, die wahllos abgeknallt werden können.

Auf solch bedrohliche Entwicklungen reagiert die Kunst. Freilich nicht, indem sie sich offen politisiert und somit derselben Werkzeuge der Herrschaft bedient wie die Mächtigen. Sondern indem sie versucht, strukturelle Momente des Herrschaftsdenkens zu reflektieren und – in welch mittelbarer Form auch immer – in ihren Werken zu verarbeiten. Elliott Sharp, der aus New York stammende Komponist, Gitarrist, E-Bassist und Bassklarinettist, und Bernhard Lang, der aus Österreich stammende Komponist und Keyboarder, sind im Lauf der Entstehung ihrer Auftragswerke dahintergekommen, dass sie beide von ähnlichen Beweggründen moti-viert werden und seismographisch auf die gegenwärtigen politischen Entwicklungen reagieren wollen. Daher auch die Rede von War Zones als Übertitel des Projekts.

Freilich verwahren sich sowohl Sharp als auch Lang dagegen, ihre Stücke als unmittelbare politische Manifeste zu verstehen. Wird Kunst zum Pamphlet, dann verlöre sie jene Autonomie, die sie dazu befähigt, legitime Kritik am Bestehenden zu üben. Deshalb versucht Elliott Sharp auch, die Probleme von einer weit fundamentaleren Ebene aus zu betrachten und spricht davon, dass seine "Ripples From The Bang" – was auf Deutsch etwa “Gravitationswellen vom Urknall” bedeutet – sich als Reflexionen über das Kausalitätsprinzip verstehen. “Die Wahrnehmungen, die wir uns von einer Kette von Ereignissen machen”, schreibt Sharp, “bleiben ex-rem persönlich gefärbt und variieren stark, was oft abhängig von Faktoren ist, die jenseits unserer individuellen Sichtweise liegen”. Gefragt ist folglich eine Vielzahl verschiedener Perspektiven, die schon Adam Smith im 18. Jahrhundert mit seinem Empathieprinzip gefordert hatte. Elliott Sharp macht sich kompositorisch diese Perspektivwechsel zunutze, indem er kompositorische Teile und vorbereitete elektronische Soundfiles mit improvisatorischen Passagen abwechseln lässt.

Bernhard Lang wiederum knüpft an die politischen Implikationen seines soeben in Schwet-zingen uraufgeführten Musiktheaters "Der Alte vom Berge" an, das die Mentalität von zu Kil-lern gedrillten Kindern umkreist. Auch er nähert sich der Thematik mittelbar, indem er die in seinem “Paranoia” verwendeten, 1954 zum Sturz der demokratisch gewählten Regierung Gua-temalas ausgearbeiteten “CIA-Protokolle über politische Morde” von stichwortartigen Resul-taten einer Internet-Recherche und von Inhaltsverzeichnissen der Zeitschrift “Paranoia” um-ranken lässt, die von den beiden Rappern überdies improvisatorisch eingesetzt werden. War 2002 beim NEWJazz Meeting des SWR ein bereits fertiges Stück von Lang durch eine Impro-visationsgruppe um den Sopransaxophonisten Steve Lacy remixed worden, so operiert Paranoia wie das Stück Elliott Sharps mit kompositorischen Modulen, aus denen Improvisationen her-ausentwickelt werden. Das Loop-Szenario, das sowohl Turntablist Philip Jeck als auch die In-strumentalisten spielen werden, signalisiert in seiner Struktur jene “Wiederkehr des Glei-chen”, die schon Friedrich Nietzsche als fatales Signum der von Herrschaft bestimmten Menschheitsgeschichte bezeichnet hatte. Und in den kontrapunktierenden Stimmen der beiden Rapper spiegelt sich – transformiert ins Poetische – wohl auch jene Paranoia der Angst, die hinter der Fassade wohlhabender Bürgerlichkeit unsere Zivilisation zu zerreißen droht.

Reinhard Kager

Elliott Sharp über Ripples From The Bang:
"Ripples From The Bang is a set of reflections on causality. The perception we each have of a chain of events remains extremely personal and varies greatly, sometimes dependent on fac-tors beyond our individual vision. These events may be a personal journey, a state of war, or a cataclysm of cosmic scale. The score guiding the musicians through the arc of Ripples From The Bang includes through-composed parts, algorithmic strategies, graphic directions, pre-pared soundfiles, and improvisation."

Bernhard Lang über Paranoia:
"Paranoia ist eine Sequenz von acht semi-improvisatorischen Blöcken, die aus den Skizzen zum III. Akt des Musiktheaters Der Alte vom Berge extrahiert und weiterentwickelt wurde.

Drei Textgruppen liegen zugrunde:

  1. “Justifications”, ein Cut-up aus einer Internet-Recherche über Paranoia als politische Funktion.
  2. Die “CIA Protocols Of Political Assassination”, eine Sammlung von verschiedenen Strategien für politische Morde.
  3. Die Inhaltsangaben des amerikanischen Magazins “Paranoia”. Die Improvisationen basieren auf gescratchten Loops und “Damage Beats”, die Referenzen zum Turntablismus von Phil Jeck und zu den Filmen von Martin Arnold herstellen sowie zu meiner Kompositionsserie Differenz/Wiederholung. Die beiden Stimmen liegen kontrapunk-tisch als improvisierte Rap-Poesie über dem Loop-Szenario. Das Stück wurde durch das Buch “Conspiracy Nation: The Politics Of Paranoia In Postwar America” angeregt: Paranoia als neues Lebensgefühl, Paranoia als politisches Instrument."
Stand
Autor/in
SWR