Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs: Baumritzungen – sogenannte „Arborglyphen“ – Im Gilzemer Wellbüsch, einem Waldstück in der Südeifel,  (Foto: Landesforsten RLP, Julian Gröber)

Zeitdokumente auf Bäumen

Eingeritzte Bilder und Botschaften – Baum-Grafitti machen Bäume zu Zeitzeugen

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Sina Weinhold

Im Gilzemer Wellbüsch, einem Waldstück in der Südeifel, finden sich eine Vielzahl von Bäumen mit Ritzungen in der Rinde. Es sind Inschriften und Zeichnungen – sogenannte Arborglyphen. Viele davon sind in Verbindung mit dem Zweiten Weltkrieg entstanden und bis heute ganz besondere und schützenswerte Zeitzeugen.

Letzte Lebenszeichen von Kriegsopfern

Wer darauf achtet, kann nicht nur in den Wäldern der Eifel Baumritzungen entdecken, mit denen sich Soldaten ebenso wie Zivilistinnen verewigten. Ritzungen in die Rinde von Bäumen – mit Datum, Initialen und kunstvollen (Selbst-)Darstellungen, die oft ein letztes Lebenszeichen darstellen.

„Diese Form von Denkmalen ist wenig bekannt und muss auch in Fachkreisen Beachtung finden“, findet Julian Gröber, Revierleiter beim Forstamt Neuerburg in der Eifel.

Der 25. April ist der Tag des Baumes

Klimawandel gefährdet die natürlichen Zeitzeugen

Durch den Klimawandel und das zunehmende Baumsterben seien die Arborglyphen stark gefährdet, erklärt Gröber. Sie müssten etwa durch Scans der Rindenoberfläche erhalten werden. Der Förster hat in seinem Wald viele Arborglyphen entdeckt.

Der Begriff setzt sich aus dem lateinischen Wort „arbor“ (Baum) und der griechischen Bezeichnung „glyphe“ (einritzen, gravieren) zusammen. Geritzt wurde sehr oft in Buchen, deren glatte Rinde sich besonders gut dafür eignet. Die Buche ist allerdings auch ein Baum, der besonders stark unter dem Klimawandel leidet.

Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs: Baumritzungen – sogenannte „Arborglyphen“ – Im Gilzemer Wellbüsch, einem Waldstück in der Südeifel,  (Foto: Landesforsten RLP, Julian Gröber)
Auf den Einritzungen im linken Baum ist ein deutscher Michel zu sehen, der einem gallischen Hahn an die Gurgel geht. Die Jahreszahl 1949 deutet auf die Nachkriegszeit hin. Rechts ist unter anderem ein Hakenkeuz zu sehen.

Einmalige Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs

Arborglyphen wurden von allen Kriegszeugen gestaltet, auch von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Sie sind einmalige Zeitzeugnisse, die die Gedanken, Sorgen und Ängste der Menschen widerspiegeln. Und sie zeigen bis heute: „Ich war hier“.

Förster Julian Gröber steht im Wald neben einem Baum mit Einritzungen in der Ringe und erklärt die Geschichte hinter den Zeichen. (Foto: Eike Jablonski)
Bei Waldrundgängen im Gilzemer Wellbüsch erklärt Förster Julian Gröber (Revierleitung Forstamt Neuerburg) die Geschichte hinter den Baumeinritzungen.

Zu Kriegszeiten schwang auch immer die Botschaft, „Ich lebe noch“ mit, denn der Tod war allgegenwärtig. So steht hinter jeder Baumritzung dieser Zeit ein persönliches Schicksal.

„Fuck Hitler“ und Hakenkreuz 

Viele Einritzungen verweisen per Datum auf einen Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Manchmal findet man ein geritztes Hakenkreuz, das Eiserne Kreuz oder Soldaten-Figuren. Im Wald von Luxemburg fand sich der Schriftzug „Fuck Hitler“, vermutlich von einem amerikanischen Soldaten.

Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs: Baumritzungen – sogenannte „Arborglyphen“ – Im Gilzemer Wellbüsch, einem Waldstück in der Südeifel,  (Foto: Landesforsten RLP, Julian Gröber)
Im Revier Irrel an der Grenze zu Luxemburg gibt es eine ganze Reihe von Arborglyphen mit Eisernem Kreuz.

Oft haben Soldaten auch nur ihre Herkunft eingraviert. Entstanden sind die Arborglyphen in ruhigen Phasen, während der Kampfhandlungen war dafür keine Zeit. Aber auch Einheimische bezogen mit geritzten Botschaften wie „Nazis raus“ Stellung.

Zeitzeugnisse für die Zukunft bewahren

Durch das Wachstum der Bäume werden die Arborglyphen immer undeutlicher und dadurch übersehen. Wenn man Einritzungen zum Zweiten Weltkrieg findet, sollte man sie gleich fotografieren und den Standort z.B. auf einer Karte markieren, rät Förster Julian Gröber.

Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs: Baumritzungen – sogenannte „Arborglyphen“ – Im Gilzemer Wellbüsch, einem Waldstück in der Südeifel,  (Foto: Landesforsten RLP, Julian Gröber)
Ab 1941 wurden im Umfeld von Gilzem auch serbische Kriegsgefangene eingesetzt: Einer von ihnen war Ruiko Stijicvic, der seinen Spitznamen „Rudi Serb“ und sein Geburtsdatum in diese Buch engeritzt hat.

An der Universität Osnabrück laufen Versuche, die Ritzungen durch Einscannen zu dokumentieren, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Auch das Militärmuseum im luxemburgischen Diekirch zeigt den Stammabschnitt einer Buche mit einer Arborglyphe.

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