Lotte Laserstein
Hilma af Klint
Lee Krasner
Ausstellungen im Südwesten
Lotte Laserstein, 1898-1993
Was ist aufregend an ihrem Werk? Lotte Laserstein stellt Frauen anders dar als man es von der männlich dominierten Aktmalerei gewohnt war. Sie malt Frauen in intimen Momenten, ohne sie zu objektifizieren. Laserstein ist Menschenmalerin. Sie interessiert sich besonders für weibliche Lebensrealitäten, für moderne, selbstbewusste Frauen.
Im Berlin der 1920er-Jahre hat Lotte Laserstein ihren kreativen Höhepunkt. Doch die „roaring twenties“ spürt man in ihrem Bildern nicht. Die Szenen, die sie darstellt, strahlen Ruhe und Zurückgezogenheit aus – und eine tiefe Melancholie, die unmittelbar unter die Haut geht.
Trotz ihrer modernen Motive mag Lotte Lasersteins Stil seinerzeit eher altmodisch wirken. Mit den Modernismen ihrer Zeit – Avantgarde, Abstraktion – hat sie nichts zu tun. Trotzdem pulsiert in ihren Bildern die Gegenwart.
Beispiel „Abend über Potsdam“ von 1930: Ist die Melancholie der jungen Menschen eine Prophezeiung der gesellschaftlichen Umwälzungen? Als ob Lotte Laserstein das drohende Unheil geahnt hätte.
Warum ist Lotte Laserstein nicht schon lange weltberühmt? Für die Jüdin Lotte Laserstein ist die Machtübernahme der Nazis eine Katastrophe. Aus ihrem Exil in Schweden kehrt sie nie nach Deutschland zurück. Ihr bedeutendes Frühwerk kann sie durch Zufälle vor der Zerstörungswut der Nazis retten.
Doch an ihre künstlerische Schaffenskraft der Berliner Zeit knüpft sie im Exil nicht mehr an. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erobert der abstrakte Expressionismus die Malerei. Lotte Lasersteins Stil wirkt aus der Zeit gefallen.
Laserstein etabliert sich in Schweden als Porträtmalerin für die wohlhabende Aristokratie. Bis heute ist ein Großteil ihrer Werke in Privatbesitz. Für Kunstsammler und Galerien ein lukrativer Glücksfall: Es gibt noch viele Bilder, die potentiell erworben werden könnten.
Wie kam es zur Wiederentdeckung? Dank einer engagierten Kunsthistorikerin. Anna Carola Krause stößt Anfang der 1990er-Jahre in Berlin zufällig auf ein Frühwerk der in Deutschland völlig unbekannten Lotte Laserstein und ist überwältigt von der künstlerischen Qualität.
In Schweden bekommt sie Zugang zum Nachlass der gerade erst Verstorbenen. Ein „Schatz“, den es „zu bergen“ galt, erzählt Krause im Kunst-Podcast „Augen zu“ – und der recherchiert, geordnet, katalogisiert, kontextualisiert werden muss, bevor die Kunstwelt mit ihm etwas anfangen kann. Ein langwieriger Prozess.
In Deutschland sind es feministische Kuratorinnen, die Lotte Laserstein 2003 in Berlin eine Einzelausstellung widmen. Erst danach werden große Institutionen auf Laserstein aufmerksam und kaufen ihre Werke. Heute ist man sich einig, dass mit Laserstein eine der bedeutendsten deutschen Maler*innen des 20. Jahrhunderts ihre berechtigte Anerkennung erfährt.
Vergessen oder verehrt: Wieviel Zufall steckt dahinter? Viel, das zeigt der Fall Lotte Laserstein. Wieviele Bilder sind erhalten, in welchem Zustand und in welchen Händen befinden sie sich?
Ebenso wichtig sind engagierte Einzelpersonen. Macht sich jemand die Mühe, den Nachlass zu sichten, zu katalogisieren, kontextualisieren und schließlich: eine Marktstrategie zu entwickeln?
In privaten Lagerräumen und auf Dachböden von Künstler-Erb*innen finden sich mitunter Werke von außergewöhnlicher Qualität, preislich unterbewertet und damit für den Kunstmarkt begehrenswert. Manchmal liegen ganze Nachlässe brach. Denn die Aufbereitung kostet Zeit und Expertise – oft sind Erben damit überfordert.
Leben Kunst für den Container? – Das Dilemma mit den Künstlernachlässen
Künstler produzieren weit mehr als sie verkaufen können, doch auch Kunst unterliegt der Mode. Was erleben betagte Kunstschaffende oder ihre Erben, wenn die Werke keiner mehr haben will?
Galeristen oder Kunstsammler übernehmen diese Aufgabe gern, wenn sie Potential in der Kunst erkennen. Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts wieder zu entdecken kann sich für den Kunstmarkt zu einer Goldgrube entwickeln.
Hilma af Klint, 1862-1944
Was ist aufregend an ihrem Werk? Hilma af Klint ist eine Kunst-Sensation. „Die Kunstgeschichte muss neu geschrieben werden“, titelte die „FAZ“ 2013. Denn die schwedische Malerin war nicht nur außergewöhnlich in ihrem Ausdruck. Ihre späte Wiederentdeckung erschütterte auch eine der mächtigsten Heldenerzählungen der männerdominierten Kunstgeschichte.
Nämlich die, dass die abstrakte Malerei und somit die moderne Kunst eine Erfindung von Wassily Kandinsky gewesen sei, der sich selbst zeitlebens als Schöpfer des ersten abstrakten Bildes bezeichnete. Doch Hilma af Klint hat schon 1904 ungegenständlich gemalt – sieben Jahre vor Kandinsky.
Warum ist af Klint nicht schon lange weltberühmt? Hilma af Klints Werke sind Farbräusche von rätselhafter Spiritualität, mit denen sie ihre Zeitgenossen heillos überfordert hat. Die Künstlerin gilt heute nicht nur als Begründerin der abstrakten, sondern auch der mythischen Kunst. Sie war fasziniert von Metaphysik und Magie und drückte das aus in abstrakten Formen und geheimnisvollen Zeichen – eine Bildsprache, die in der Kunstwelt einzigartig ist.
Doch verkaufen konnte sie nicht ein einziges Kunstwerk. Auch ausgestellt hat sie nie. Sie zeigte ihre Bilder Rudolf Steiner, doch auch er konnte damit nichts anfangen – ein Schlag für Hilma af Klint, die zeitlebens Anhängerin der Anthroposophie war.
Nach ihrem Tod 1944 mussten die Bilder von Hilma af Klint 20 Jahre unter Verschluss bleiben. Das hatte die Künstlerin selbst verfügt. Als hätte sie geahnt, dass ihre Zeit erst noch kommen würde.
Wie kam es zur Wiederentdeckung? Schon die ersten Ausstellungen in den 1980er Jahren lösten teils heftige Debatten über den Kanon der Kunstgeschichte aus. 2013 schlug eine Retrospektive in Stockholm in der Kunstwelt ein wie eine Bombe. Und 2018 schrieb das Guggenheim Museum in New York Besucherrekord: Nie zuvor in der Geschichte des Museums wollten so viele Menschen eine Ausstellung sehen wie die von Hilma af Klint.
Heute ist die Nachfrage nach ihrem Werk gewaltig. Es gibt Ausstellungen am laufenden Band. Doch auf Auktionen erlebt man ihre Bilder bis heute nicht. Sie sind alle im Besitz der Hilma-af-Klint-Stiftung, gegründet von Hilmas Neffen und der Anthroposophischen Gesellschaft, der Hilma selbst angehörte.
Lee Krasner, 1908-1984
Was ist aufregend an ihrem Werk? Lee Krasner ist eine Pionierin des amerikanischen abstrakten Expressionismus. In ihrer 50-jährigen Schaffenszeit hat sie sich ständig neu erfunden. Neben großformatiger abstrakter Malerei umfasst ihr Werk Porträts, Collagen und kubistische Zeichnungen.
Stillstand verabscheut Lee Krasner. Anstatt sich festzulegen, schafft sie aus Gegensätzlichkeiten neue Ausdrucksformen. Sie ist abstrakt und dann doch wieder gegenständlich. Zerreißt alte Werke und schafft aus den Schnipseln Neues. Wütet an der Leinwand und kontrolliert gleichzeitig den Prozess. Ihre Kunst ist ein ständiger Prozess der Zerstörung und Selbsterneuerung.
Warum ist Lee Krasner nicht schon lange weltberühmt? Jackson Pollock, Mark Rothko, Willem de Kooning: In der Kunstgeschichte tat man lange Zeit so, als sei die amerikanische Moderne das Produkt eines exklusiven Männerzirkels gewesen. Obwohl Lee Krasner zu den abstrakten Expressionisten der ersten Stunde gehörte, wird sie vor allem in Europa erst seit wenigen Jahren als eigenständige Künstlerin gewürdigt. Warum?
- Die Kunstwelt unterliegt – damals mehr noch als heute – patriarchalen Strukturen, die den Verdienst von Frauen systematisch geringschätzt
- Obwohl selbst außerordentlich talentiert, steht Krasner lange Zeit im Schatten ihres berühmten Ehemanns Jackson Pollock, dessen Karriere sie anstelle ihrer eigenen entscheidend gefördert hat
- Im Gegensatz zu ihren berühmten männlichen Kollegen wehrte sich Krasner dagegen, einen signature style zu entwickeln. Ihrer Kunst fehlt der Wiedererkennungswert und galt deshalb lange als schwer verkäuflich
Wie kam es zu ihrer Wiederentdeckung? Lee Krasner hat selbst für ihre Sichtbarkeit gekämpft. Von der Öffentlichkeit wurde sie während eines Großteils ihrer Karriere sträflich ignoriert oder als Imitatorin ihres berühmten Ehemanns abgetan. Ihre Karriere ist beispielhaft dafür, wie weibliche Künstlerinnen systematisch aus der Geschichte der modernen Kunst herausgestrichen wurden.
1974 steht Lee Krasner mit anderen Künstlerinnen vor dem New Yorker Museum of Modern Art und fordert lautstark, dass das Museum die Kunst von Frauen nicht länger ignoriere. 1984 widmet jenes MoMA ihr schließlich die lang verdiente Retrospektive. Doch kurz vor der Eröffnung stirbt sie.
Lee Krasner war nie eine Unbekannte. Doch erst in den letzten Jahren würdigt die Öffentlichkeit sie als eigenständige Künstlerpersönlichkeit. 2019 machte eine große Sammelausstellung unter anderem in der Frankfurter Schirn die Künstlerin auch in Europa einem breiteren Publikum bekannt.
Das Interesse an ihren Bildern ist seitdem deutlich gestiegen. 2019 ging „The Eye Is the First Circle“ von 1960 bei Sotheby´s für beeindruckende 11,5 Millionen US-Dollar über den Tisch.
Ein Wandel in der Kunstwelt
Preise in Millionenhöhe, Einzelausstellungen als Publikunsmagnete: Das allgegenwärtige Interesse an weiblicher Kunst des 20. Jahrhunderts ist Ausdruck eines neuen Zeitgeists. Sammlerinnen und Museumsbesucher verlangen nach einem diverseren Kunstkanon. Die späten Würdigungen von Lee Krasner, Hilma af Klint oder Lotte Laserstein zeigen, dass die Kunstwelt sich verändert hat.
Die ungleiche Repräsentanz zwischen den Geschlechtern steht zunehmend in der Kritik. Anstatt sich des männlichen Genie-Kults zuzuwenden, haben Authentizität, Vielstimmigkeit und Ambivalenz heute an Bedeutung gewonnen. Werke sind gefragt, die die Themen unser Zeit – Feminismus, Rassismus, Diversität – besser repräsentieren. Bleibt zu hoffen, dass dieser Wandel von Dauer ist – und wir nicht in 70 Jahren die Star-Künstlerinnen der Gegenwart „wiederentdecken“ müssen.