In seinen Hörstücken beschäftigt sich Albrecht Kunze (Komponist für Popmusik und Theater, seit 1998 v.a. für die freie Theatergruppe Showcase Beat Le Mot) mit Erscheinungsformen von Krisen und Konflikten. Er stellt dabei das jeweilige Personal in unübersichtliche bis unerklärliche wie stets bedrohliche Situationen - Situationen, die es erfordern, innezuhalten, das Geschehen zu besehen und, wenn möglich, zu verstehen, um zu überleben.
In „Das Unsichtbare Dritte“ erkundet eine Frauenstimme in einem abgedunkelten Raum die Wahrnehmung ihrer körperlich-geistigen Situation. Sie gerät über minimalistisch sich verschiebende Text- wie Sound-Strukturen in ein paranoides Verweissystem. Eine zweite Frauenstimme erscheint plötzlich. Ist der Dialog die Möglichkeit eines Korrektivs, nur Folge der Isolation oder gar Erscheinungsform des „unsichtbaren Dritten“?
Kunzes musikalisches Hörspiel ist mehrfach konnotiert
Der Titel zitiert und verweist auf esoterisch, paranormal oder verschwörungstheoretisch verankerte Bedrohungen der „normalen“ Wirklichkeit.
Die Frauenstimme, die ihre Verunsicherung in der Wahrnehmung des eigenen Körpers und ihres Ichs benennt, korrespondiert mit einer Verunsicherung, die grundsätzlich Kennzeichen vor allem von Horrorfilmen des Body-Horror-Genres ist. Der Satz „Verletzungen, die ich mir unmöglich selbst hinzugefügt haben kann“ ist ein Zitat aus dem Horrorfilm The Entity von Sidney J. Furie von 1980.
Zugleich thematisiert das Stück indirekt den Akt der „Selbstverletzung“, oft als „Ritzen“ bezeichnet: „Dies ist eine spezielle Variante der Verunsicherung der Stabilität des eignen Körpers, da man hier selber für diese Verunsicherung, diese De-Stabilisierung verantwortlich ist.“(Albrecht Kunze)
Und: Der Satz „Es gibt bekannte Bekannte ... Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte“ ist das „known knowns“-Zitat des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, das allgemein für politische Risikoabwägung steht und den Beginn des Golfkriegs 2002 legitimierte.
Kunzes Hörspiel spielt auf verschiedenen Ebenen mit den (Medien)Wirklichkeiten, verweigert sich aber der Bebilderung von Thesen. Kunze insistiert auf die text-musikalische Eigenständigkeit seines Stücks, auf dessen autonome künstlerische Suggestivität.
Überdies gehört Kunze den technikaffinen Hörspiel-Künstlerinnen und Künstlern an, die die Sender zwar als Plattform, Gesprächspartner und Produzenten ihrer Arbeiten benötigen, nicht aber mehr in deren Verfügungshoheit über die Produktionsmittel.
Mit: Marie Löcker und Karolina Seibold
Komposition und Realisation: Albrecht Kunze
Produktion: SWR 2020