Zwei Hunde in einem Gehege im Tierheim Mainz

Hilferuf von Tierschutzvereinen

Immer mehr "Problemhunde": Tierheim Mainz ist am Limit

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AUTOR/IN
Sarina Fischer

Im Tierheim Mainz gibt es immer mehr verhaltensauffällige, schwer vermittelbare Hunde. Was das für die Mitarbeitenden bedeutet und warum sich daran dringend etwas ändern muss.

Großes Gebell im Mainzer Tierheim: Fünf teils kräftige Hunderüden rennen aufgeregt am Gitterzaun entlang, kläffen sich an, sind ganz aufgedreht. Mittendrin im Getümmel: der belgische Schäferhund Django. Bernsteinbraunes Fell, schwarze Schnauze, spitze Ohren und ganz viel Energie. Der acht Monate alte Rüde wurde von gutmütigen Leuten aus Bosnien "gerettet", wie sie selbst sagen. Allerdings waren sie mit Django zuhause dann völlig überfordert.

Straßenhunde retten nicht immer eine gute Idee

"Mal wieder ein Fall von gut gemeint, aber schlecht gemacht", seufzt die Mainzer Tierheimleiterin Alexandra Huse. Dabei knuddelt sie Django hinter den Ohren und blickt in seine rastlosen dunklen Hundeaugen. Sekunden später entgleitet der Rüde ihren Händen und stürzt sich wieder bellend in die Hundeschar.

"Django ist ein aufgeweckter Kerl, neugierig und lernwillig. Er hat Bock, seiner Rasse entsprechend ausgelastet zu werden, mit Such- und Apportierspielen", schwärmt Huse. "Aber er ist auch einer, der in diesem Überschwung an Freude auch mal in die Arme schnappt."

Mainzer Tierheimleiterin Alexandra Huse mit einem jungen Hunderüden
Der junge belgische Schäferhund Django hat jede Menge Energie.

"Problemhunde" pöbeln, sind schlecht erzogen und schnell frustriert

Solche aufgedrehten Hunde, kaum erzogen mit schlechtem Sozialverhalten, sowohl Menschen als auch anderen Hunden gegenüber, gibt es hier viele. "Oft sind das junge Hunderüden, die sich gegenseitig anpöbeln und kaum noch eine Frustrationstoleranz haben", erzählt die Tierheimleiterin und schaut mit vielsagendem Blick auf den heiser bellenden Django.Von den aktuell knapp 50 Hunden im Tierheim Mainz seien bestimmt 90 Prozent verhaltensauffällig.

"Das heißt nicht unbedingt, dass die alle gleich Aggressionsverhalten zeigen, aber: Sie verteidigen zum Beispiel ihr Spielzeug, ihren Platz oder ihren Menschen." Andere Menschen fänden sie oft doof, vor allem Männer. "Vor denen haben zum Beispiel Straßenhunde oft Angst, wenn sie früher schlechte Erfahrungen mit Hundefängern gemacht haben."

Hunde nicht schuld am schlechten Verhalten

So ein Verhalten sei leider meist menschengemacht, sagt Alexandra Huse, weil die Hunde sich selbst überlassen, falsch erzogen oder nicht artgerecht gehalten wurden. Und das in vielen Fällen schon vom Welpenalter an.

"Die häufigste Ursache für verhaltensauffällige Hunde ist die Unüberlegtheit der Menschen."

"Die Leuten sagen: Oh, der ist aber süß! Dann holen sie sich den Welpen ins Haus und stellen fest, dass sie mit der Rasse und ihren Anforderungen gar nicht klarkommen." Viele würden ihre Hunde körperlich und geistig auch nicht auslasten.

Unseriöse Tierschutzvereine im Ausland verschärfen das Problem

Immer mehr der "Problemhunde" kämen außerdem aus dem Ausland nach Deutschland, berichtet Huse. Das treffe im Moment auf mehr als zwei Drittel der Hunde im Tierheim Mainz zu, Tendenz steigend. "Es gibt natürlich ganz viele tolle Auslandstierschutzvereine, mit einigen arbeiten wir auch zusammen. Aber wir haben inzwischen leider auch viele Hunde von unseriösen Organisationen und Vermittlern." Diese würden den falschen Hund beziehungsweise die falsche Rasse in den falschen Haushalt geben und sich danach nicht mehr kümmern.

Ein Beispiel dafür ist Apollo, ein fünf Jahre alter Herdenschutzhund-Mischling aus Rumänien. Auf den ersten Blick ein sanfter Riese: 37 Kilogramm schwer, langes schwarz-weißes Zottelfell und hellbraune Augen, die das ganze Gewusel um Junghund Django von der anderen Seite des Gitterzaunes beobachten. Allerdings steigt Apollo dann auch mit ins Gebell ein, wenn ihm das heisere Kläffen von Django zu viel wird.

Schwarz-weißer Hunderüde in einem Gehege im Tierheim Mainz
Mischling Apollo wurde von einer unseriösen Tierschutzorganisation aus Rumämien nach Deutschland vermittelt.

Keine Aufklärung über Hunderasse und ihr Verhalten

"Apollo wurde durch einen unseriösen Verein an eine Frau vermittelt und hat sie überhaupt nicht darüber aufgeklärt, was es heißt, einen großen Herdenschutzhund zu halten", erzählt die Mainzer Tierheimleiterin. Apollo blickt derweil unschuldig zu ihr hoch und mimt wieder den sanften Riesen. "So ein Herdenschutzhund zeigt eben bestimmtes Verhalten und beschützt seine Menschen, leider auch mal mit den Zähnen."

Bestimmt ein halbes Jahr seien sie mit dem neuen Frauchen von Apollo schon in Kontakt gewesen, um gemeinsam zu versuchen, den kräftigen Rüden zu trainieren und zu erziehen. Leider ohne ausreichenden Erfolg, also musste er doch ins Tierheim umziehen. "Und dann hat dieser Verein die Frau auch noch beleidigt und ihr vorgeworfen, sie sei an Apollos Verhalten schuld." Alexandra Huse schüttelt den Kopf. Zurückgenommen hätten sie Apollo natürlich auch nicht – das würden seriöse Vereine eigentlich immer machen.

"Problemhunde" machen mehr Arbeit und bleiben länger im Tierheim

Der Teufelskreis des Ganzen: "Problemhunde" wie Apollo und Django sind nur an Menschen mit Vorerfahrung und gewissen Lebensumständen zu vermitteln. Etwa Leute ohne Kinder oder mit großem Grundstück und Garten. Außerdem machen sie den Tierheimen besonders viel Arbeit, weil sie eigentlich alle trainiert werden müssen.

"Wir machen uns ständig Gedanken: Wo setzen wir an? Welcher Hund hat welches Problem? Was ist jetzt gerade am wichtigsten zu bearbeiten?", zählt Huse auf und zeigt dabei auf die fünf Hunde in ihrem Blickfeld.

"Was uns momentan so belastet: Wir sind zu wenig Hände für zu viele Nasen."

Intensives Training könnten sie leider kaum leisten. "Wir können eigentlich nur schauen, dass wir die Hunde für uns händelbar machen. Aber so richtig einsteigen in Erziehungsarbeit, das schaffen wir zeitlich nicht." Auch wenn das dringend nötig wäre, um die Chancen auf eine Vermittlung für Django, Apollo und Co. zu erhöhen. "Bei manchen Hunden wissen wir gleich: Die werden drei, vier, fünf Jahre oder länger bei uns bleiben", sagt die Tierheimleiterin mit trauriger Mine.

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Hilferuf und Brandbrief der Tierschutzvereine an die Bundespolitik

"So kann es nicht weitergehen", fügt Huse hinzu und verweist auf den bundesweiten Brandbrief, dem sich das Tierheim Mainz in den letzten Wochen angeschlossen hat. Darin fordern zahlreiche Tierschutzvereine in Rheinland-Pfalz und in ganz Deutschland von der Bundespolitik unter anderem, den unkontrollierten Handel mit Hunden einzudämmen.

"Das Ziel ist die Regulierung im Allgemeinen. Also seriöse Züchter besser schützen, unseriöse Vermehrer effektiver verurteilen", sagt Alexandra Huse. "Der Import von Tieren aus dem Ausland muss besser kontrolliert werden – und natürlich auch diese ganzen Online-Portale."

Wenn nichts passiert, bald Straßenhunde in Deutschland?

Und was, wenn die Politik nichts unternimmt und alles so weiterläuft wie bisher? "Dann werden wir bald Zustände wie im Ausland haben", mahnt Huse.  "Immer mehr Straßenhunde auch in Deutschland, die wir Tierheime nicht aufnehmen können, weil wir keinen Platz mehr haben." Und sie fürchte, dass verzweifelte Menschen ihre eigentlich gesunden Tiere immer häufiger einschläfern lassen würden. "Auch das passiert heute schon."

Django und Apollo kläffen sich durch den Gitterzaun zum wiederholten Male an. Django springt sogar ein paar Mal daran hoch. So viel Energie, aber eben auch Lebensfreude, die wieder in die richtige Bahn gelenkt werden muss. Alexandra Huse weiß, dass sie mit diesen Hunden wohl noch länger zu tun haben wird. Wenigstens sind sie im Tierheim Mainz erstmal in guten Händen.

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