Amtsgericht Tübingen

Psychotherapeut missbrauchte Patientin

Urteil am Amtsgericht Tübingen: Arzt muss in Haft wegen sexuellen Missbrauchs

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Theresa Krampfl
Theresa Krampfl
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Tabea Günzler
Tabea Günzler ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Ein Psychotherapeut der Uniklinik Tübingen ist zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hat seine Patientin sexuell missbraucht. Die Uniklinik will ihm kündigen.

Zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe lautet das Urteil des Schöffengerichts am Freitag in Tübingen. Der Angeklagte muss außerdem die Kosten des Verfahrens tragen. Nach Auffassung des Gerichts hat der 61-jährige Arzt während seiner Weiterbildung zum Psychotherapeuten an der Uniklinik Tübingen seine Patientin in 53 Fällen sexuell missbraucht. Am 9. April begann der Prozess gegen den Psychotherapeuten am Amtsgericht Tübingen.

Laut Gericht gab es keine Vergewaltigung

Der Anklagepunkt der Vergewaltigung konnte aufgrund der unterschiedlichen Aussagen nicht nachgewiesen werden. Doch der Sex in den 53 Fällen, auch wenn er einvernehmlich war, hätte nicht stattfinden dürfen, so das Gericht. In der Urteilsbegründung sagte Richter Benjamin Kehrer: "Der Arzt der Uniklinik hat das Behandlungsverhältnis zu seiner Patientin ausgenutzt."

Damit schloss sich das Gericht den Forderungen der Staatsanwaltschaft an. Der Anwalt der Betroffenen (und Nebenklägerin) forderte sogar vier Jahre Freiheitsstrafe für die vielen Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

Das war keine Beziehung auf Augenhöhe: einmal Arzt, einmal schwerkranke Patientin. Eine Ausnutzung dieses Verhältnisses liegt vor.

Gegen das Urteil können Staatsanwaltschaft sowie Angeklagter und Nebenklägerin innerhalb einer Woche Rechtsmittel einlegen - also in Berufung oder Revision gehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Uniklinik Tübingen reagiert auf Urteil mit Kündigung

"Der Mitarbeiter wird mit sofortiger Wirkung freigestellt und ein Kündigungsverfahren umgehend eingeleitet", heißt es in einer Stellungnahme des Universitätsklinikums Tübingen (UKT) zur Urteilsverkündung. Zudem erteilte es dem 61-Jährigen "ein Hausverbot für das gesamte Gelände und die Gebäude des Universitätsklinikums Tübingen".

Der Arzt hat laut UKT vielfach gegen die gesetzliche Pflicht verstoßen, "im Rahmen der Therapie für das körperliche und psychische Wohlergehen seiner Schutzbefohlenen" zu sorgen. Man distanziere sich von seinen Handlungen, die "gegen den moralischen und ethischen Arbeits- und Behandlungskodex des Klinikums" verstoßen haben. Seit November 2023 hat die Uniklinik ein Patientenschutzkonzept, das solchen Fällen vorbeugen soll.

Gutachterin attestierte Glaubwürdigkeit der Betroffenen

Am letzten der drei Prozesstage sagte erneut eine Sachverständige aus. Sie hielt die Aussagen der Betroffenen für glaubhaft, sowohl auf die Vergewaltigung als auch auf die 52 Fälle des sexuellen Missbrauchs bezogen. Zwischen 2020 und 2021 ist es demnach mehrmals zu sexuellen Handlungen beim Therapeuten zuhause sowie in seinem Arbeitszimmer der Klinik gekommen. Die betroffene 35-Jährige habe beim Sex nur mitgemacht, weil sie Angst hatte, sonst ihren Therapieplatz zu verlieren. Eine Oberärztin, die die Betroffene immer wieder behandelt hat, sowie die Verteidigerin des Angeklagten hatten im Laufe des Verfahrens Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Betroffenen geäußert.

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Wie kam es zu dem Prozess gegen den Psychotherapeuten?

Die 35-Jährige hatte sich nach den Vorfällen an den Ethikverein gewandt, der sich unter anderem mit Grenzverletzungen in der Psychotherapie beschäftigt. Dem SWR bestätigt der Verein, dass er pro Jahr bis zu 400 Fälle betreut, darunter allein 100 zu sexuellem Missbrauch in der Psychotherapie. Der Verein geht zudem von einer Dunkelziffer in jedem zehnten Fall aus.

Die Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke (SPD) interessierte sich von Anfang an für den Fall. Sie war am letzten Verhandlungstag auch selbst am Amtsgericht Tübingen. Kliche-Behnke fordert im Gespräch mit dem SWR, dass die Uniklinik nun auf die Betroffene zugeht und Verantwortung ihr gegenüber zeigt.

Verlust der Approbation als Arzt?

Sobald das Urteil rechtskräftig ist, kann die Approbationsbehörde Baden-Württemberg, angesiedelt im Regierungspräsidium Stuttgart, dem 61-Jährigen die Zulassung als Arzt entziehen. Die Uniklinik Tübingen bestätigt dem SWR, dass er derzeit als Arzt approbiert ist. Ob es zum Verlust der Zulassung komme, hänge vom jeweiligen Sachverhalt ab.

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