Wie gut funktioniert die medizinische Notfallversorgung im Landkreis Karlsruhe noch? Diese Frage treibt Politiker und Verantwortliche gleichermaßen um. Nach der Schließung einer ärztlichen Bereitschaftspraxis in Waghäusel-Kirrlach im vergangenen Oktober durch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV) häufen sich die Beschwerden. Regionale Politiker, das Deutsche Rote Kreuz und benachbarte Kliniken sagen übereinstimmend: Das Gesundheitswesen funktioniert bei der medizinischen Notfallversorgung im Landkreis Karlsruhe nicht mehr!
Kreis Karlsruhe: DRK Präsident schreibt Brandbrief
Der ehemalige Innenminister Heribert Rech hat in seiner Eigenschaft als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Landkreis Karlsruhe einen Brief an Sozialminister Manne Lucha geschrieben. Darin steht: "Der sich zusehends verschlechternde Zustand des Gesundheitswesens stellt auch das DRK Karlsruhe vor unlösbare Herausforderungen." Sechs Monate nach Schließung der Bereitschaftspraxis in Waghäusel sei eine Steigerung um 1.126 Rettungseinsätze zu verzeichnen, die alle über die integrierte Rettungsleitstelle koordiniert werden müssten.
Rettungsfahrzeuge müssen immer häufiger ausrücken
Bei über 20.000 Einsätzen des DRK im nördlichen Landkreis Karlsruhe in diesem Zeitraum macht die Steigerung zwar nur rund fünf Prozent aus. DRK Kreisgeschäftsführer Daniel Schneider weist aber darauf hin, dass die Rettungsfahrzeuge immer häufiger für Einsätze angefordert werden, die mit der eigentlichen Notfallversorgung gar nichts mehr zu tun haben.
Davon berichtet auch DRK Präsident Heribert Rech. Die Disponenten in der Rettungsleitstelle hätten eine enorme Verantwortung. Sie müssten auch die rechtlichen Konsequenzen tragen, wenn sie falsch entscheiden. Deshalb würden in geschätzt 40 Prozent aller Fälle trotzdem ein Rettungswagen geschickt, obwohl kein echter Notfall vorliege, so Rech. Diese Fahrzeuge fehlten zudem in der echten Notfallversorgung.
Schließung der Notfallpraxis soll zurückgenommen werden
In seinem Brief fordert Heribert Rech Gesundheitsminister Lucha auf, seiner Aufsichtspflicht gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nachzukommen. Der Kreistag des Landkreises Karlsruhe geht einen Schritt weiter: Er fordert vom Sozialministerium und der KV nicht nur die Schließung der Notfallpraxis in Kirrlach zurückzunehmen, sondern "die vertragsärztliche Versorgung im Landkreis auch außerhalb der regulären Praxisöffnungszeiten flächendeckend sicherzustellen." Dafür wäre eigentlich die KV verantwortlich, sie ziehe sich aber immer mehr zurück, so Landrat Christoph Schnaudigel.
Schließung von weiteren Notfallpraxen droht
Es drohe eine dramatische Unterversorgung, befürchten der Kreis und sein Landrat. Schnaudigel verweist auf die gestiegenen Patientenzahlen in der Notaufnahme der Bruchsaler Fürst-Stirum- Klinik, nachdem die Kirrlacher Praxis geschlossen wurde. Diese Situation könne sich noch weiter verschlimmern, denn es drohe die Schließung weiterer Notfallpraxen im Landkreis. Darauf weist DRK Präsident Rech hin. Im Gespräch sei die Bereitschaftspraxis der KV in Ettlingen. Die medizinische Grundversorgung auf dem Land werde immer weiter reduziert, so Rech.
Notfallversorgung am Limit - Immer mehr Patienten in der Notaufnahme
Auch der Regionaldirektor der RKH Kliniken in Bruchsal und Bretten, Roland Walter, wird deutlich. Seit der Schließung der Kirrlacher Bereitschaftspraxis im Oktober 2023 sei in der Bruchsaler Notaufnahme ein Anstieg der Fallzahlen von mindestens 3.000 Patienten zu verzeichnen.
Laut Walter kommt die KV ihrem gesetzlichen Auftrag, die medizinische Notfallversorgung sicherzustellen, schon seit Jahren nicht mehr nach. So sei die Zahl der Patienten in der Bruchsaler Notaufnahme in den vergangenen zehn Jahren von 35.000 auf 48.000 pro Jahr angestiegen. Mindestens 20.000 von diesen Patienten seien keine echten Notfälle mehr. Sie kämen aus dem klassischen ambulanten Hausarztbereich. Allein im Raum Bruchsal gebe es eine deutlich zweistellige Zahl von Hausarztpraxen, die nicht mehr besetzt seien.
Es fehlen die Hausärzte für die ambulante Versorgung
Das Problem für den Klinikdirektor und damit wieder für den Landkreis, der an der Klinikholding beteiligt ist: Für die rund 20.000, die eigentlich bei ihrem Hausarzt gut aufgehoben wären, bekommt die Bruchsaler Klinik keine Fördermittel. Das sei ein gigantisches Draufleggeschäft für das Krankenhaus, betont Walter- und das für Leistungen, die eigentlich im Versorgungsbereich der KV lägen.
Man sei in der Lage, die Grundversorgung zu übernehmen, stellt auch Landrat Schnaudigel als Aufsichtsratsvorsitzender der Kliniken in Bruchsal und Bretten klar. Dann müsse das Land aber auch für die vollständige ambulante Versorgung an den kommunalen Krankenhäusern aufkommen und die Möglichkeit zur Abrechnung solcher Leistungen schaffen.
Kassenärztliche Vereinigung weist Vorwürfe zurück
Die Kassenärztliche Vereinigung Baden Württemberg weist sämtliche Vorwürfe zurück. So seien Bereitschaftspraxen ohnehin nicht für Notfälle, sondern nur zur Überbrückung bis zum nächsten Hausarztbesuch zuständig. Ein längerer Anfahrtsweg auch bis Sinsheim, Schwetzingen oder Rastatt sei zumutbar, schreibt die KV. Der Fahrdienst für Patienten stehe uneingeschränkt weiter zur Verfügung.
Probleme in der Karlsruher Rettungsleitstelle?
Der KV seien keine Beschwerden aus anderen Landesteilen wegen vermehrter Einsätze nach Schließung von Bereitschaftspraxen bekannt, berichtet Doris Reinhardt, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVBW auf SWR Anfrage. Mögliche interne Probleme in der Rettungsleitstelle im Landkreis Karlsruhe wolle sie nicht kommentieren. Schließlich sei die seit Oktober geschlossene Praxis in Waghäusel-Kirrlach ohnehin nur schwach frequentiert gewesen. Eine signifikante Erhöhung der Inanspruchnahme von Notaufnahmen sei aus den der KV vorliegenden Zahlen nicht erkennbar.