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Lehrerverbände sprechen von Mogelpackung

Geplante Schulreform von BW-Regierung: Ärger um Grundschulempfehlung

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AUTOR/IN
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Ist die von Grün-Schwarz geplante neue Grundschulempfehlung eine bittere Pille für die Eltern oder nur eine Mogelpackung? Die Regelung soll das Gymnasium vor Überlauf schützen - aber sie ist umstritten.

Die von Grünen und CDU geplante Rückkehr einer strengeren Grundschulempfehlung für Viertklässler erhitzt die Gemüter. Während der Landeselternverband einen verbindlichen Test für einen Wechsel auf das Gymnasium als "Entmündigung" ablehnt, geht die Reform den Lehrkräften im Philologen- und Realschullehrerverband nicht weit genug. Sie fordern, dass es auch beim Übertritt auf die Realschule die Möglichkeit eines solchen Tests geben müsse - und sprechen von einer Mogelpackung der grün-schwarzen Landesregierung.

CDU spricht von "verbindlicher Grundschulempfehlung"

Aber was haben Grüne und CDU eigentlich vor? Für CDU-Fraktionschef Manuel Hagel gibt es keinen Zweifel: Die Schulreform umfasst eine "verbindliche Grundschulempfehlung". Die Grünen vermeiden das Wort "verbindlich". Im Beschlusspapier der Koalition vom vergangenen Dienstag steht in der Präambel: "Wir führen eine weiterentwickelte und validere Grundschulempfehlung ein, um eine bessere Lenkung der Schülerströme zu ermöglichen."

Aber was bedeutet das? Bisher ist es so, dass die Eltern zwar von der Grundschule eine Empfehlung bekommen, aber am Ende entscheiden sie selbst, auf welche weiterführende Schule ihr Kind geht. Das soll sich wieder ändern. Aber es soll trotzdem nicht mehr so sein wie vor 2012, als noch die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer in der Grundschule alleine entschied, auf welche weiterführende Schule das Kind gehen soll.

Verbindlicher Potenzialtest als letzte Instanz zum Gymnasium

Im Beschluss von Grünen und CDU wird ein mehrstufiges Verfahren beschrieben. An der Grundschule soll die Regel 2 aus 3 gelten. Das heißt, es gibt einmal eine Empfehlung der Klassenlehrerin oder des Klassenlehrers. Dazu kommt ein standardisierter Leistungstest in Deutsch und Mathematik. Wenn diese beiden ergeben, dass es nicht für das Gymnasium reicht, müssen die Eltern das Votum nicht akzeptieren. Wollen sie ihr Kind trotzdem auf das Gymnasium schicken, "muss das Kind einen verbindlichen Potenzialtest absolvieren, der nicht an der Grundschule durchgeführt wird", heißt es in dem Papier.

Rückkehr von G9: Sorge vor zu vielen Schülerinnen und Schülern

Grund für die Wiedereinführung der strengen Grundschulempfehlung ist das Comeback des neunjährigen Gymnasiums und die Sorge, dass G9 überlaufen werden könnte. Internen Prognosen zufolge könnten nach der G9-Einführung im Schuljahr 2025/2026 etwa 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf ein Gymnasium wollen. Bisher sind es 45 Prozent. Dann würden die Gymnasien aus allen Nähten platzen, während andere Schulen Klassen schließen müssten.

Aber woher kämen die vielen neuen Schülerinnen und Schüler? Bislang sind 25 Prozent der Realschülerinnen und Realschüler, die eigentlich eine Empfehlung für das Gymnasium hatten, vor dem auch als Turbo-Abi bezeichneten achtjährigen Gymnasium zurückgeschreckt. Von den Kindern, die auf die Gemeinschaftsschule wechselten, hatten zuletzt 14 Prozent eine Empfehlung für das Gymnasium. Um zu verhindern, dass nun alle G9 bevorzugen, soll der Schülerstrom besser gesteuert werden.

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Politischer Kompromiss mit zwei Prüfungen für Viertklässler

Die Vereinbarung zwischen Grünen und CDU ist ein Kompromiss. Vor allem die CDU hat darauf gepocht, die Grundschulempfehlung wieder verbindlich zu machen. Die Union hätte gern gesehen, wenn es bei der harten Regel 2 aus 3 geblieben wäre. Das hätte bedeutet, dass die Eltern nichts mehr ändern können, wenn Empfehlung und Test ergeben, dass es für das Gymnasium nicht reicht. Doch die Grünen - bei denen es vor allem in der Fraktion Gegner der verbindlichen Empfehlung gibt - schlugen als weiteren Schritt den Potenzialtest außerhalb der Grundschule vor. Das Ergebnis dieses Potenzialtests müssen die Eltern dann akzeptieren.

Vorschlag des Landeselternbeirats wurde verschärft

Sebastian Kölsch, Vorsitzender des Landeselternbeirats, hatte schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, den Notenschnitt für das Gymnasium ähnlich wie in Thüringen und Sachsen auf 2,0 zu setzen. Außerdem ist er dafür, einen zusätzlichen Test an der weiterführenden Schule einzuführen, wenn ein Kind gegen die Empfehlung dort angemeldet wird. Wie verbindlich das Ergebnis des Tests am Ende ausfällt, soll laut Kölsch zwischen Eltern und Lehrkräften besprochen werden.

Nun ist der Elternbeiratsvorsitzende sauer. Die Verbindlichkeit sei "indiskutabel". Zudem sei sein Gremium nicht einbezogen worden. "Eine weitere Einschränkung der Elternrechte im Bildungs-Kontext wäre ein fatales Signal an die wichtige Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus", sagte Kölsch dem SWR. Er hält es auch für falsch, dass der verbindliche Potenzialtest nur bei einem Wechsel aufs Gymnasium vorgesehen ist. Das würde aus seiner Sicht ein falsches Signal senden: "Dem Gymnasium den Status der 'besten' Schulart anheften, obwohl die beste Schulart eine individuelle Entscheidung je nach Kind ist." Der Elternbeirat wolle im Gespräch mit dem Kultusministerium alles versuchen, um hier noch eine Änderung zu erreichen.

Baden-Württemberg

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Lehrerverband: Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung war "Kardinalfehler"

Der Realschullehrer- und der Philologenverband wollen dagegen die Reform noch verschärfen. Sie haben kein Verständnis dafür, dass über den Besuch einer Realschule am Ende die Eltern entscheiden - auch wenn Empfehlung und Test eine andere Sprache sprechen. "Die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung im Jahr 2012 war ein Kardinalfehler der Bildungspolitik in Baden-Württemberg", schreiben Karin Broszat vom Realschullehrerverband und Ralf Scholl, Landeschef des Philologenverbands in Baden-Württemberg. "In der geplanten Form ist die 'Verbindlichkeit' eine Mogelpackung, mit der allen Kindern, deren Eltern nicht das Gymnasium anstreben, ebenso wie dem differenzierten Schulsystem insgesamt weiterhin großer Schaden zugefügt wird."

Orientierungsstufe statt verbindliche Grundschulempfehlung

Broszat und Scholl befürchten, dass die "fatale Reise zur Zweigliedrigkeit" weitergehe und "die bewährte und immer erfolgreiche Realschule den grünen Ideen 'einer Schule für alle'" geopfert werden solle. In der Koalition heißt es, es gebe an der Realschule ja schon eine Orientierungsstufe, somit sei eine Grundschulempfehlung überflüssig. Nach der 6. Klasse werden die Schülerinnen und Schüler im G-Niveau oder M-Niveau unterrichtet. G-Niveau bedeutet "Grundlegendes Niveau" und führt zum Hauptschulabschluss, M-Niveau steht für "Mittleres Niveau" und führt zum Realschulabschluss.

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