Proben-Beginn mit bajuwarischer Begrüßung. Seit 1979 leitete Sergiu Celibidache die Münchner Philharmoniker. Bei seinem Amtsantritt ist München keine musikalische Vorzeigeadresse, wie sich auch Bratscher Hartmut Nicolai erinnert:
Doch Celibidache, unbeirrt wie stets, verfolgt zielgerichtet seinen Weg und formt in seinen 16 Jahren an der Isar aus dem vermeintlichen „Bauernorchester“ einen Klangkörper von weltweiter Reputation. Das gelingt ihm, weil er auch selbst seinen Führungsstil anpasst:
Es war dann nicht mehr dieser viel kritisierte Diktator.
Ein Heißsporn
Sergiu Celibidache war eine schillernde Persönlichkeit, Sohn eines griechisch-orthodoxen Präfekten, geboren im Sommer 1912 in der rumänischen Region Moldau, Student der Mathematik, Philosophie und Musik. Als noch unbekannter junger Musiker leitet er nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Berliner Philharmoniker – und wird das Orchester danach rund 400 Mal dirigieren. Als der eigentliche Chefdirigent Wilhelm Furtwängler zurückkehrt, wandert Celibidache stillschweigend ins zweite Glied zurück. Als ihm aber einige Jahre später Herbert von Karajan vor die Nase gesetzt wird und nicht er, Celi, zu Furtwänglers Nachfolger ernannt wird, gibt es reichlich Zoff. Statt in Berlin dirigiert Celibidache nun Orchester in Italien, Stockholm und beim SWR in Stuttgart. Ein Heißsporn.
Celibidache mutiert im Laufe seiner Karriere vom Feuerkopf und Exzentriker mehr und mehr zum Philosophen, der Ruhe und Ausgeglichenheit im Zen-Buddhismus sucht. Immer aber erkennt man die Demut des Dirigenten vor dem Komponisten:
Celibidaches Bevorzugung langsamer und teils extrem langsamer Tempi wird zu einer Art Markenzeichen. Besonders seine Aufführungen mit den Sinfonien von Anton Bruckner werden in den End-80er und 1990er Jahren zu umjubelten Höhepunkten seiner Laufbahn.
Unterschiedlichste Facetten des Musikers und Menschen Celibidache
Wir lernen in diesen Filmporträts von Jan Schmidt-Garre, Norbert Buse und Wolfgang Becker die unterschiedlichsten Facetten des Musikers und des Menschen Celibidache kennen – wie auch sein Sohn zu berichten weiß, etwa über den passionierten Liebhaber schneller Autos.
In den 90er Jahren wird Celibidache, der 1996 im Einklang mit sich und der Welt stirbt, mit zahlreichen Ehrungen bedacht, außerdem ist er ein gefragter und bereitwilliger Lehrer – und spaltet auch in dieser Funktion die Musik-Gemeinde. Für die einen gleicht er einem Scharlatan, für seine Anhänger verkörpert er bis heute die reine musikalische Lehre. Wie auch immer man zu ihm stehen mag: Celibidache war zeitlebens ein Tüftler, besessen von dem Wunsch, das bestmögliche Ergebnis erreichen zu wollen, indem er jedes Detail vorher genau durchdringt. Daniel Barenboim:
Fesselndes Gesamtbild einer faszinierenden Persönlichkeit
Drei Film-Porträts enthält die nun veröffentlichte DVD-Box, zudem eine Reihe von Proben- und Konzertmitschnitten, mit Musik von Anton Bruckner und Richard Strauss, außerdem Werken der russischen Romantik und des französischen Impressionismus. Wir erleben, wie Celibidache seine Musiker antreibt und wie er sie lockt, wie er Inspiration aus der Natur zieht und sich als Welt- und Wegweiser inszeniert. Aus all diesen Segmenten ergibt sich das fesselnde Gesamtbild einer faszinierenden Persönlichkeit.
DVD-Tipp vom 4.4.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik