Zu sexy für die katholische Kirche?
Hohe Wangenknochen, feine Gesichtszüge, Modelmaße und ein suggestiv drapiertes Lendentuch: So ziert Jesus Christus in diesem Jahr die Plakate für die „Semana Santa“, die Karwoche, die in Sevilla wie in vielen anderen Städten Spaniens mit großen Prozessionen zelebriert wird. Gemalt hat das Porträt der in Sevilla lebende Künstler Salustiano García Cruz.
Die Empörung war groß, vor allem im Internet. Garcías Jesus ist vielen zu hübsch, zu profan, zu kitschig – und eben auch zu sexy. Und zugegeben: So wie Jesus auf dem Plakat posiert und nonchalant auf seine Seitenwunde zeigt, könnte er locker auch mit den Jungs aus der aktuellen Staffel von Heidi Klums Model-Mumpitz mithalten.
Der Künstler selbst bestreitet alle unanständigen Absichten.
Auch als Kunsthistoriker fragt man sich, warum ein gutaussehender Jesus im Jahr 2024 die Gemüter erhitzt. Wer gelegentlich Kirchen oder Museen besichtigt, der wird es sicherlich bemerkt haben: In allen Kunstepochen sah Jesus überdurchschnittlich gut aus.
Hingucker Heiland: So schmuck sieht Christus in der Kunst aus
Wie Jesus aussah, verrät die Bibel nicht
Vertraut man auf die Beschreibungen des Neuen Testaments, ist Jesus von Nazareth zum Zeitpunkt seines Todes am Kreuz etwa 33 Jahre alt – relativ jung und unverbraucht. Im Lukas-Evangelium heißt es:
Angaben zu Jesu Aussehen sucht man in der Bibel jedoch vergebens. Auch die ersten Christen scheuten sich davor, Christus in Porträts darzustellen. Zu groß war die Angst vor der Verfolgung. Sie zeigen ihren Glauben vielmehr durch Symbole wie den bis heute gebräuchlichen Fisch.
Als früheste bildliche Darstellungen Christi gelten die des „Guten Hirten“, eines bartlosen Jünglings in einer schmucklosen Tunika, der ein Lamm schultert. Doch auch diese Bilder sind mehr Sinnbild als Ebenbild.
Der Sex-Appeal Jesu gehört zum göttlichen Markenkern
Spätestens ab dem 8. Jahrhundert bleibt die Darstellung Christi weitestgehend konsistent: Jesus hat schulterlanges, braunes Haar, einen gepflegten, zweigeteilten Bart und wenn sein Körper nicht gerade durch wallende Gewänder bedeckt ist, würde man ihn heutzutage durchaus als gut gebaut bezeichnen.
Die westliche Kirche übernimmt damit die standardisierte Darstellung Christi der byzantinischen Ikonenmalerei. Deren optische Vorbilder stammen von antiken Götterbildern, vor allem Darstellungen des Jupiter, und Statuen prominenter Philosophen. Über die Attraktivität Jesu wird unter Gelehrten heftig diskutiert: Die äußere Schönheit des Heilands soll mit der Schönheit der Frohen Botschaft einhergehen.
Spätestens die Künstlerinnen und Künstler der Renaissance betonen die Göttlichkeit Jesu durch seinen idealen Körper. Auch sie suchen ihre Vorbilder in der Antike und werden vor allem beim römischen Sonnengott Apollo fündig. Er leiht Jesus künftig seine makellosen Gesichtszüge und den durchtrainierten Body.
Das Jesus-Bild wandelt sich mit dem Aussehen der Gläubigen
Das Christus-Ideal der italienischen Renaissance verbreitet sich über Künstler wie Albrecht Dürer und Rogier van der Weyden auch im Norden Europas. Die Optik Jesu wird dabei dem Aussehen der Gläubigen vor Ort angepasst: Je weiter im Norden Europas Jesus gemalt wird, desto heller wird seine Haut und desto blonder sein Haar.
In Afrika oder afroamerikanischen Gemeinden stellt man Jesus hingegen eher als Schwarzen Mann dar. In Asien erhält Jesus asiatische Gesichtszüge und schwarzes Haar. Bei all dieser Vieldeutigkeit fragt man sich doch: Wie sah eigentlich der echte Jesus aus?
Das versuchten Historiker und Forensikerinnen 2001 im Rahmen einer Dokumentation der BBC herauszufinden. Sie untersuchten Schädel jüdischer Männer aus dem Gebiet des antiken Judäa und aus der Zeit um Christi Geburt. Ihre Vermutung: Der historische Jesus hatte dunklere Haut, struppiges, kurzes Haar, einen Bart und ein deutlich breiteres Gesicht als seine Darstellung in der europäischen Kunst.
Ist das Problem des sexy Jesus aus Sevilla seine Sexualität?
Wenn Jesus also schon seit Jahrhunderten als jung, schön und muskulös dargestellt wird, warum empört sich das Internet nun ausgerechnet über den Jesus aus Sevilla?
Die Antwort ist so einfach wie entlarvend: Der Christus von Salustiano García Cruz sieht seinen Kritiker*innen einfach zu knabenhaft, zu feminin – und damit letztlich zu schwul aus. Der Künstler selbst kommentierte in der spanischen Zeitung „El Mundo“:
In Zeiten, in denen Ultrakonservative von den Vereinigten Staaten bis Russland gegen die ominöse Bedrohung einer „woken Weltverschwörung“ zum Angriff blasen, ist leider niemand mehr vor Anfeindungen sicher. Nicht mal Jesus, nicht mal an Ostern.