Mit diesem Zitat eines griechischen Philosophen bringt Carlo Masala das Thema dieses SWR1 Leute-Talks auf den Punkt: Warum sind Konflikte, Kriege und Gewalt ein Kennzeichen des internationalen Systems? Und welche Spielregeln gelten dort? Carlo Masala ist überzeugt: Wenn wir diese Fragen verstehen, können wir in Zukunft politisch als auch in der Gesellschaft besser damit umgehen.
Gut vs. Böse: Welche Menschen führen eher Kriege?
Es sei völlig egal, ob der Mensch von Grund auf Böse oder Gut ist, meint Masala, das erkläre Kriege nicht.
Weltregierung als Lösung gegen Krieg?
Auch die Tatsache, dass wir uns über die Jahrhunderte als Menschen und Gesellschaften weiterentwickelt haben, dass wir aufgeklärter sind, helfe in der Frage nicht weiter, warum es immer noch Kriege gibt. Carlo Masalas These: Es liegt an der Art, wie die Gesellschaften heute organisiert sind.
Die Vereinten Nationen - in Sachen Frieden ein zahnloser Tiger?
Würden er und Leute-Moderatorin Nicole Köster etwas falsch machen, würden beide automatisch durch Polizei und Justiz sanktioniert. Im internationalen System gebe es das aber nicht.
Beispiel Vereinte Nationen: Niemand werde automatisch sanktioniert, und "definitiv auch nicht die Veto-Mitglieder im Sicherheitsrat". Und genau weil es keine Sanktionsmechanismen gebe, müsse jeder für seine Sicherheit selbst Sorge tragen. Hilft für Frieden und gegen Krieg also nur noch eine große, übergeordnete Weltregierung als Ordnungsmacht?
Spielt der internationale Strafgerichtshof in Den Haag keine Rolle?
Die Konsequenzen von Schiedssprüchen des Internationalen Strafgerichtshofs hätten letztlich keine Auswirkungen auf die angeklagten Staaten. Vielen seien die Schiedssprüche egal. Kriege über den Gerichtshof zu verhindern, sei nicht möglich. Aber wichtig seien die Urteile der Richter:innen in Den Haag dennoch.
Völkerrecht und Krieg: legal vs. legitim
Das sehe man gut am Beispiel des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine und am Irak-Krieg 2003. "In beiden Fällen ein Angriffskrieg, der völkerrechtlich verboten ist, Punkt!", sagt Masala deutlich und argumentiert wie folgt:
2003: die USA sind entschlossen, den Irak anzugreifen. Dennoch versucht Amerika, dafür ein Mandat im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bekommen. Denn: Hat man dieses Mandat, dann ist der Irak-Krieg in den Augen vieler anderer Staaten nicht nur legal, sondern auch legitim.
Beispiel zwei von Carlo Masala: Russland greift die Ukraine an und versucht, Völkerrechts-konform zu argumentieren, das sei nur ein Akt der Selbstverteidigung – die ist ja erlaubt – weil man die russische Minderheit im Donbas schützen wolle. Also auch hier der Versuch, Legitimität zu erzeugen.
Ähnlich schätzt Masala auch die Konsequenzen für Putin und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine ein. "Völlig unwahrscheinlich und abwegig" sei es, dass Putin für die Kriegsverbrechen in der Ukraine vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilt wird.
Demokratien als Friedensstifter, Autokratien als Kriegstreiber?
Statistiken zeigen, dass Demokratien untereinander nach 1945 keine Kriege mehr geführt haben. Nur: Keiner wissen genau, warum das so ist, betont Carlo Masala. Der Grund könne ja auch sein, dass Demokratien immer noch in der Minderheit in der Welt und deshalb der Auffassung sind, dass man Konflikte untereinander anders regeln müsse. Aber: "Gilt das dann auch noch, wenn die Welt voller Demokratien ist?", fragt Masala.
Hat Putins Angriffskrieg die Ukraine geeint?
Aktuelle Statistiken nach 1990 zeigen, so Masala: Junge Demokratien sind sehr kriegsanfällig. Die Institutionen seien noch schwach, man brauche Kriege auch, um ein nationales Bewusstsein zu schaffen ("man ist ja noch ein neuer Staat"). Das habe man so bei den ehemaligen Sowjetrepubliken gesehen: Da habe der Krieg zu einem "Nationenbildungsprozess" geführt - der berühmte “rally ‘round the flag”-Effekt, das "sich um die Flagge versammeln", das eine neue nationale Identität schafft.
Auf diese Erkenntnis stützt sich auch diese These von Masala: Wenn die Ukraine bis zum Angriffskrieg von Putin kein Nationalstaat gewesen sein sollte – Putin hat einen daraus gemacht.