Demonstrationen und Proteste: ein demokratisches Grundrecht
Ein klares Bekenntnis gegen den Rechtsextremismus: Tausende in Baden-Württemberg und ganz Deutschland zeigten auf Demonstrationen Flagge gegen Rechts. Lautstarken Protest gegen geplante Sparmaßnahmen der Bundesregierung gab es von Landwirten, Spediteuren und anderen Gewerbetreibenden.
Auch in den Talkshows und auf Podien im ganzen Land werden politische und gesellschaftliche Themen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln diskutiert - das alles sind Mittel der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe. Gleichzeitig hat eine wachsende Zahl von Menschen im Land den Eindruck, dass es um die Meinungsfreiheit immer schlechter gestellt sei.
Umfrage zeigt wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie
Eine repräsentative Umfrage des SWR aus dem Januar 2024 zeigte, dass 60 Prozent der befragten Menschen "beunruhigt" in die Zukunft schauen. Diese Unsicherheit geht einher mit einer wachsenden Unzufriedenheit mit der Demokratie: Eine Mehrheit von 56 Prozent äußert, "weniger zufrieden" (36 Prozent) oder "gar nicht zufrieden" (20 Prozent) mit der Demokratie zu sein.
Diese Zahlen kennt Prof. Michael Wehner von der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB) gut. Der Politikwissenschaftler leitet seit vielen Jahren die Außenstelle der LpB in Freiburg - seit 2020 steht er dort auch der Abteilung "Regionale Arbeit" vor. Als Honorarprofessor lehrt er am Seminar für wissenschaftliche Politik an der Universität Freiburg.
Mit Engagement und Teilhabe für die Demokratie arbeiten
Die politisch extremen Ränder, aber auch ein mangelndes Interesse an demokratischen Strukturen und Institutionen: Michael Wehner weiß um die Gefahren für die Demokratie. Es gibt aber auch viele Menschen im Land, die in Initiativen, Vereinen, Organisationen, in Jugendparlamenten und im Ehrenamt Tag für Tag ihren Beitrag zu einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft leisten.
Wehner sieht die Bundesregierung bei der Erhaltung der Demokratie zwar in der Pflicht, ein Großteil der Verantwortung, um "Demokratie zu stärken und erhalten" sieht er aber bei den Bürgern und Bürgerinnen:
Mehr Polarisierung, weniger Diskussionskultur
Die Diskussionskultur, die verhärteten Fronten ganz links und ganz rechts im politischen Spektrum, die fehlende Gesprächsbereitschaft miteinander, um gemeinsam Konflikte zu lösen und die Probleme des anderen zumindest anzuerkennen - all das bereitet Wehner große Sorge.
Protestbewegung als Zeichen lebendiger Demokratie
Die Proteste der vergangenen Wochen wie Bauerproteste oder die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sieht Wehner positiv. Er merkt aber auch an: sie können nur ein Teil des demokratischen Prozesses sein.
Wichtiger als Proteste: Wahlen
Viel entscheidender seien Wahlen, sagt Wehner, und vor allem, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Auch bei Wahlen, die vielen Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg und woanders im ersten Moment vielleicht nicht so wichtig erscheinen. Als Beispiel nennt er die Kommunal- und Europawahl.
Wahlalter bei Kommunalwahl gesenkt
Bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg (am 9. Juni 2024) wird das Wahlalter das erste Mal auf 16 gesenkt. Kritiker sehen dies negativ und argumentieren, viele Jugendliche seien in dem Alter noch nicht reif genug, politische Entscheidungen zu treffen. Dem widerspricht Wehner.
Gerade in diesem Alter seien viele Jugendliche in der Schule mit Politik- oder Gemeinschaftskundeunterricht konfrontiert und könnten so womöglich fundiertere politische Entscheidungen treffen. Ein weiterer Punkt, den Wehner anmerkt: hört man auf Mediziner, setzt der Reifeprozess der Menschen immer früher ein - insofern könne man auch früher wählen gehen.
Politische Diskussionen könnten zu höherer Wahlbeteiligung führen
Die generell aufgeheizte politische Stimmung im Land könnte laut Wehner zu einer höheren - und nicht wie im ersten Moment vielleicht gedacht niedrigeren - Wahlbeteiligung führen. Polarisierung führe auch immer zu Politisierung. Deshalb würden dadurch die Menschen eher mobilisiet, zur Wahl zu gehen.