Kopftuchstreit, Kopftuchverbot (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

SWR1 Sonntagmorgen

Zwanzig Jahre nach dem Kopftuch-Urteil: Was hat sich verändert?

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AUTOR/IN
Mark Kleber

Kopftuchverbot für Lehrerinnen - in Baden-Württemberg zog Fereshta Ludin dagegen bis vors Bundesverfassungsgericht. Genau 20 Jahre ist das her. Seitdem hat sich vieles verändert.

Der 24.09.2003 war für Fereshta Ludin ein besonderer Tag. Bis vor das Bundesverfassungsgericht war sie gezogen, um durchzusetzen, dass sie in Baden-Württemberg als Lehrerin mit Kopftuch unterrichten darf. Doch das Land wollte damals die aus Afghanistan stammende und 1995 eingebürgerte Referendarin nicht in den Schuldienst übernehmen, das Kopftuch verstoße gegen die politische Neutralität. Fereshta Ludin dagegen argumentierte, das Kopftuch sei Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung und pochte auf das Grundrecht auf Religionsfreiheit.

Gerichtsurteil beim Kopftuchstreit (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Fünf Jahre lang kämpft Fereshta Ludin, tritt in Talkshows auf, wird zur Symbolfigur. Doch an diesem 24. September vor zwanzig Jahren trifft das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung, die es letzten Endes den Bundesländern überlässt, wie sie mit dem Kopftuch für Lehrerinnen umgehen. Nur einen Monat später legt Baden-Württemberg als erstes Bundesland einen Gesetzentwurf vor, der Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verbietet.

Emotionaler Streit um das Kopftuch

Der Streit um das Kopftuch ist immer wieder hoch emotional geführt worden. Manchen Kritikern gilt es immer noch als ein Zeichen der Unterdrückung von Frauen und für einen politischen Islam. Viele Muslima sehen es dagegen selbstbewusst als Teil ihrer Identität.

Wie sehr erhitzt das Kopftuch bei Lehrerinnen heute noch die Gemüter? „Es ist normaler geworden“, sagt eine junge Passantin in Stuttgart bei einer Zufallsumfrage, und fügt hinzu: „Persönlich denke ich auch, dass das gut so ist.“ So sehen es die meisten anderen bei dieser SWR-Umfrage, aber es gibt auch die Gegenposition: Ein Mann lehnt das Kopftuch bei Lehrerinnen deutlich ab, weil gerade in öffentlichen Einrichtungen religiöse Zeichen nicht getragen werden sollten. Eine andere sagt, grundsätzlich sei es ihr egal, stellt aber die Frage, ob Frauen wirklich freiwillig Kopftuch tragen.

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Als Lehrerin mit Kopftuch – was drückt das aus?

Eine muslimische Frau trage das Kopftuch in erster Linie aus religiösen Gründen, sagt Yasemin Karakaşoğlu im SWR1-Interview. Sie ist Professorin für Bildung in der Migrationsgesellschaft und hat 2003 für das Bundesverfassungsgericht ein Gutachten geschrieben.

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Befragungen zeigten, dass es unter den kopftuchtragenden Frauen eine Minderheit gebe, die das Kopftuch nicht aus eigener Überzeugung trage, sondern aufgrund von gesellschaftlichem oder familiärem Druck, den sie spürten. Insgesamt sieht Yasemin Karakaşoğlu das Kopftuch aber nicht als Zeichen für mangelnden Integrationswillen, sondern im Gegenteil: Den jungen Frauen, die es als Lehrerinnen tragen wollten, gehe es auch „um ein Bekenntnis, als muslimische Frau Verantwortung übernehmen zu wollen an einem so wichtigen Ort wie der Schule".

2015 neues Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts

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30% der Musliminnen in Deutschland tragen ein Kopftuch (Quelle: Mediendienst Migration)

Die Rechtslage hat sich 2015 grundsätzlich geändert. Damals befasste sich das Bundesverfassungsgericht noch einmal mit dem Kopftuch. Es urteilte, „dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist.“ Das Tragen dürfe man nur verbieten, wenn der Schulfrieden vor Ort gestört sei. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine sehr hohe Hürde für einzelne Kopftuch-Verbote an Schulen gesetzt.

Auch in Berlin dürfen Lehrerinnen jetzt Kopftuch tragen

Bis vor kurzem war an Schulen in Berlin Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches noch grundsätzlich verboten – mit Hinweis auf das Berliner Neutralitätsgesetz. Das Land wollte dafür sogar vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, aber das lehnte ab. Im März schrieb die für Bildung zuständige Senatsverwaltung deshalb an alle Berliner Schulleiterinnen und Schulleiter:

Nur in den Fällen, in denen sich konkret die Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität abzeichnet, ist das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke und Symbole zu untersagen. Die Erfahrungen anderer Bundesländer haben gezeigt, dass auch das Tragen religiöser Kleidung nicht zu erheblichen Konflikten an Schulen geführt hat.“

„An der Schule noch immer nicht alltäglich“

Damit ist das letzte pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen in Deutschland Vergangenheit. Anders als im Straßenbild oder in Geschäften sei das Kopftuch bei Lehrerinnen aber immer noch keine Alltäglichkeit, sagt Bildungsexpertin Karakaşoğlu: „Wenn wir an die Schule denken, ist da das Kopftuch bei den Lehrern immer noch eine große Ausnahme und auch immer noch mit Missfallen und Missbehagen verbunden bei einigen Schulleitungen bei Kollegien. Unsere Lehramtsstudierenden, die Praktika machen in den Schulen, erleben immer wieder, dass man ihn mit Misstrauen und auch mit abfälligen Bemerkungen begegnet.“ Das sei aber auch eine Generationenfrage und hänge u.a. davon ab, ob man mit dem Kopftuch z.B. einer Mitschülerin aufgewachsen sei.

Fereshta Ludin entschied sich für einen Weg, der es ihr erlaubte, als Lehrerin mit Kopftuch zu unterrichten: seit 1999 arbeitet sie als an einer islamischen Privatschule in Berlin.  

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Mark Kleber