Buchenwald mit liegendem, moosbewachsenem Totholz im Serrahner Buchenwald, Mecklenburg-Vorpommern, Mueritz Nationalpark

Einfach wachsen lassen

So entsteht in Sinzig ein Urwald

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MODERATOR/IN
Steffi Stronczyk
Steffi Stronczyk

Bis zum Jahr 2100 wird der Wald in Sinzig nicht mehr angetastet. Das hat die Stadt beschlossen. Der bisher bewirtschaftete Wald soll auf einer Fläche von 1,5 Hektar verwildern.

Ein Urwald mitten in der Stadt? In Sinzig könnte das in den nächsten Jahren Realität werden. Und das Besondere: Wer möchte, kann sich Pachtanteile vom zukünftigen Urwald kaufen. Stephan Braun ist Revierförster in Sinzig und berichtet von den Urwald-Plänen.

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SWR1: Wie muss man sich so ein Stück Urwald vorstellen? Hangeln sich da irgendwann Affen durch die Bäume und seltene Vögel, Wölfe und Luchse finden da Unterschlupf?

Stephan Braun: Also Affen kommen in Sinzig zumindest noch nicht vor. Das andere, was Sie jetzt da an Großtieren genannt haben, wird sich da auch nicht einstellen. Uns ist auch bewusst, dass die Fläche dafür zu klein ist. Es geht hauptsächlich darum, dass sich ein Mal die Bäume unbeeinflusst weiterentwickeln können. Natürlich werden auch welche absterben  – der Bestand ist immerhin schon 130 Jahre alt. Und es sind nicht die großen Arten, die da eine Heimat finden werden, sondern eher so unscheinbare Totholzbewohner, wie irgendwelche Käfer oder Pilze. Spechte sind jetzt schon da – Schwarzspechte, die da ihre Höhlen gebaut haben.

Wir gehen davon aus, dass sich diese Totholzbewohner vermehren. Es wird in den nächsten 80 Jahren ein Waldbild entstehen, bei dem eben nichts mehr aufgeräumt wird, wo Bäume absterben und liegen bleiben im größeren Stile. Für uns ist dann auch interessant zu sehen, was sich an Nachwuchs entwickelt in einem ganz unbewirtschafteten Wald.

SWR1: Warum hat sich die Stadt Sinzig dazu entschlossen, das zu machen?

Braun: Zum einen hatten wir in den politischen Gremien schon öfter darüber diskutiert, wie wir überhaupt Waldflächen stilllegen. Die andere Seite war: Wir hatten schon seit Jahren immer wieder Anfragen von Leuten, ob sie sich irgendwo für einen Wald auch finanziell engagieren können – also so eine Art Sponsoring. Diese zwei Punkte haben dann unseren Bürgermeister Herr Andreas Geron vor drei, vier Jahren dazu bewegt, zu sagen: Wir könnten doch mal probieren, ob wir einen Urwald anlegen oder sich entwickeln lassen – und den dann an Interessierte verpachten bzw. im Prinzip Bürger oder Interessierte daran beteiligen.

SWR1: Jeder kann sich so ein Stück Urwald pachten. Was kostet das und was hat der Pächter davon?

Braun: Wir haben 1,5 Hektar, das sind 15000 Anteile. Das sind aber ideelle Anteile. Also man kann jetzt nicht sagen: "Auf diesen Quadratmeter stelle ich mich jetzt drauf, weil das meiner ist", sondern es ist wie bei einer Aktiengesellschaft. Da haben Sie auch Aktien an der Firma, aber können nicht sagen: "Die Maschine gehört jetzt zum Teil mir."

So ist das hier auch, es sind ideelle Anteile und der Pächter hat eigentlich die Gewissheit, dass der Wald nicht mehr bewirtschaftet wird. Und ich gehe davon aus, dass die Leute, die sich daran finanziell beteiligen, an sowas auch eine ideelle Freude haben.

Der Wald soll natürlich nicht zum Massentourismus-Hotspot werden. Aber die Leute können nachfragen, wo der Wald ist und dann können sie sich in den nächsten 80 Jahren oder bis zum Jahr 2100, angucken, ob der Wald sich in ihrem Sinne entwickelt.

Ein Baum Sprössling wächst auf dem Waldboden.
Wenn ein Wald nicht mehr bewirtschaftet wird, können neue Arten von Bäumen, Tieren und Insekten sich dort einfinden.

SWR1: Das heißt, wenn ich selbst kein Pächter bin, sehe ich nicht, dass das der Urwald wird. Oder ist die Fläche ausgewiesen?

Braun: Wir werden da keine großen Informationstafeln hinstellen. Wir werden nur in den Eckpunkten kleine, dezente Markierungen machen, dass die Leute dann wissen, hier ist er. Aber es ist nicht beabsichtigt – das war auch in politischen Gremien unstrittig und darauf wurde auch großer Wert gelegt – dass wir jetzt nicht mit riesen Wegweisern die Leute dahin führen. Das liegt dem Schutzzweck dann doch ein bisschen zuwider.

SWR1: Wenn es dann einen Urwald in Sinzig gibt, sind Sie doch dann als Förster sowieso arbeitslos, oder?

Braun: Bei den 1,5 Hektar – der Stadtwald Sinzig hat ungefähr 900 Hektar – da glaube ich schon, dass da noch Arbeit ist. Und selbst wenn dann mehr Stilllegungsflächen kommen – also das hier soll ja ein Anfang sein – [...] gibt es zumindest nach außen hin ja noch eine Verkehrssicherungspflicht. Aber es ist richtig, dass auf diesen anderthalb Hektar Fläche natürlich für den Förster und für Waldarbeiter, Forstwirte keine Arbeit mehr anfällt.

SWR1: Wenn wir jetzt nochmal die kleine Spinnerei vom Beginn des Gesprächs aufgreifen: Die Äffchen im Urwald brauchen ja auch jemanden, der sich mit ihnen beschäftigt, wenn wir die irgendwann vielleicht doch da hätten...

Braun: Es wird auf jeden Fall für meinen Nachfolger eine interessante Sache, das zu beobachten. In unserer Facebook-Gruppe haben wir uns schon mit ein paar Leuten verabredet. In 80 Jahren um Viertel nach zehn treffen wir uns da mit Wurst, Wein und Bier und gucken uns an, wie sich der Wald entwickelt hat. Bis dahin werde ich dann möglichst oft gucken gehen, was wir uns dann da angucken können.

Das Interview führte SWR1 Moderatorin Steffi Stronczyk.

Weitere Informationen zum "UrwaldRefugium Sinzig" finden Sie auf der Seite der Stadt Sinzig.

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